Europa flüchtlingspolitisch am Ende? - Fachgespräch des KAB Kreisverbandes

veröffentlicht am 01.02.2016

Uwe Kekeritz (Bündnis 90 / Die Grünen) MdB und Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit sowie Sprecher für Entwicklungspolitik zu sehen. MdB Uwe Kekeritz (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit sowie Sprecher für Entwicklungspolitik, findet die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung erbärmlich. Foto: Fügenschuh

Memmingen (sfü): Kaum ein Thema bewegt die Öffentlichkeit so sehr, wie die gegenwärtige Flüchtlingsdebatte. Um die aufgeheizte Stimmung auf ein sachliches Terrain zurückzuführen, lud der Kreisverband Memmingen-Unterallgäu des Katholischen Arbeitnehmerverbandes (KAB) am vergangenen Freitag zu einem Fachgespräch in das Kolbe Haus.

Mit den Geschehnissen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht haben sich Skepsis, aber auch Ressentiments und Ängste in Bezug auf Migration und Integration in weiten Teilen der Bevölkerung Bahn gebrochen. Viele fürchten einem Anstieg von Gewalt und Terror. Während die einen Obergrenzen fordern, verlangen die anderen nach einer organisierten, zielführenden Flüchtlingspolitik.

"Flucht ist kein europäisches Problem"

„Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Flucht kein europäisches Problem ist. Menschen sind weltweit auf der Flucht und genau so, wie die Flucht ein globales Thema ist, sind es auch deren Ursachen“, erinnerte der Referent des Abends, MdB Uwe Kekeritz (Bündnis 90/Die Grünen). Der studierte Volkswirtschaftswissenschaftler und bundespolitische Sprecher für Entwicklungspolitik ist Experte auf dem weitläufigen Feld der Fluchtursachenforschung. In seinem Impulsreferat erörterte er anschaulich zahlreiche Faktoren, die neben Gewalt, Krieg und Verfolgung nicht nur den Fluchtdruck auf Menschen erhöhen, sondern auch von den Industrienationen direkt beeinflusst werden.  Dies fange mit sozialer Ungerechtigkeit und der ungleichen Verteilung von Vermögen an.

„Wenige 'Global Player' dominieren die Weltwirtschaft und dadurch auch die Politik. Kleine lokale Händler haben dagegen keine Chance. Auch die Steuer- und Finanzstrukturen begünstigen internationale Großkonzerne. In Afrika, Asien und Südamerika haben einheimische Unternehmen das Nachsehen“, erläuterte der Entwicklungspolitiker. Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Armut seien die Folge. Auch der Raubbau an der Natur und die Subventionspolitik der EU treibe Landwirte und Fischer aus den Herkunftsländern der Flüchtlinge in den Ruin.

"Auch nach eigener Verantwortung suchen"

„Wer eine wirtschaftsorientierte Politik betreibt, muss sich nicht wundern, wenn in diesen unsicheren Ländern die Dschihadisten Oberwasser bekommen. Sie ködern arbeitslose junge Männer mit Geld und sozialen Hilfsprogrammen“, fuhr Kekeritz fort. „Natürlich tragen korrupte, menschenfeindliche Regime die Hauptschuld an der Situation der Flüchtlinge, doch nur wer das große Ganze im Auge behält und bei der Ursachenbekämpfung auch nach eigener Verantwortung sucht, kann tatsächlich etwas bewegen“, betonte der Abgeordnete.

Die Bundesregierung sieht Kekeritz in Sachen Flüchtlingsproblematik in einem „erbärmlichen Zustand“. Auch die EU befinde sich derzeit auf verlorenem Posten. „Europa ist flüchtlingspolitisch am Ende. Doch wir sollten weder resignieren noch pessimistisch sein. Wo ein politischer Wille ist, da ist auch ein Weg“, schloss der Grünen-Politiker seinen Vortrag.

Rege Debatte im Anschuss

Im Anschluss stand Kekeritz den zahlreichen Besuchern der Veranstaltung Rede und Antwort. Diese brachten mit ihren Fragen zur Koordination und Unterstützung der ehrenamtlichen Helfer, der Unterbringung von Asylbewerbern und der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der EU ein reges Interesse an der Debatte zum Ausdruck. Auch das Erstarken rechter Gruppierungen und Neonazis beunruhigte viele Anwesende.

Der Bundestagsabgeordnete bekräftigte mehrfach seine Überzeugung, dass Deutschland mit der Flüchtlingssituation umzugehen vermöge, sofern zielführende, sozialpolitische Maßnahmen eingeleitet würden. Leerstände müssten effektiver genutzt, der soziale Wohnungsbau wieder forciert werden. Auf europäische Solidarität solle man dabei nicht vertrauen. Rechten Gesinnungen solle man sachlich und mit Selbstbewusstsein begegnen. „Ich kann Ihnen hier leider keine Lösung präsentieren. Aber von meinen Erfahrungen berichten und an den politischen Willen appellieren.“