„Rot“ für Alarmbereitschaft: Klinikpersonal lernt, sich zu wehren

veröffentlicht am 16.05.2017

Beim Deeskalationstraining am Klinikum Memmingen ging es ganz schön zur Sache, aber auch der Spaß kam nicht zu kurz. Im Bild: Deeskalationstrainer Christian Löckher-Hiemer und Krankenschwester Julia Kiechle. Fotos: Eva Maria Häfele/Pressestelle Klinikum Memmingen

Zahl aggressiver Patienten hat massiv zugenommen – Deeskalationstrainer gibt praktische Tipps für den Krankenhausalltag

Memmingen (dl). Die Faust zielt direkt auf das Gesicht des Angreifers. Der folgende Knieschlag soll die empfindliche Stelle zwischen den Beinen treffen. Das kann wehtun. Doch hier handelt es sich um ein Training. Die imaginären Opfer und Täter sind Pflegekräfte des Klinikum Memmingen, die in einem Seminar üben, sich gegenüber Patienten, die handgreiflich werden, zu verteidigen.

„Das Aggressionspotenzial gegenüber Helfern hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen“, weiß Dr. Rupert Grashey, Leiter der Notfallklinik am Klinikum Memmingen, wo immer wieder betrunkene und angriffslustige Patienten aufschlagen. Deswegen werden die Pflegekräfte in Selbstverteidigung geschult: „Wir haben den Bedarf erkannt und führen ab sofort regelmäßig Deeskalationstrainings durch“, erklärt Pflegedirektor Hans-Jürgen Stopora.

Für die Mitarbeiter/innen ist dabei oberstes Gebot: „Riskieren Sie nichts! Ihr Leben und Ihre körperliche Unversehrtheit gehen vor!“, betont Trainer Christian Löckher-Hiemer.

Anhand eines Ampelmodells lernen die Pflegekräfte, wann es an der Zeit ist, einen Kollegen dazu zu holen oder sich zurückzuziehen und die Polizei zu verständigen. Dabei steht „grün“ für Entspannung, „gelb“ für Aufmerksamkeit und „rot“ für maximale Alarmbereitschaft.

„Beobachten Sie Ihr Gegenüber genau"

„Selbst im grünen Bereich sollten Sie, wenn möglich, eine Distanz von zwei ausgestreckten Armlängen halten“, erklärt der Trainer. „Beobachten Sie Ihr Gegenüber genau. Bleiben Sie dabei aber freundlich.“

Im gelben Bereich soll die Distanz vergrößert werden. „Halten Sie die Hände auf Höhe des Oberkörpers, um sie im Notfall schnell vor das Gesicht ziehen und sich wehren zu können.“ Wichtig sei, immer auf sein Bauchgefühl zu achten: „Das ist Ihr innerer Wächter! Manchmal macht es Sinn, schon im gelben Bereich aus der Situation herauszugehen.“

Wird es dennoch „rot“, heißt es: „Ich stelle mich seitlich hin, um meine Lebenslinie zu schützen. Die Hände vor Gesicht und Brust, um im Notfall Angriffe abwehren zu können.“

"Aufmerksam zuhören, sachlich bleiben"

Damit es aber erst gar nicht so weit kommt, hat der Hohenschwangauer Gesundheitstrainer einige Kommunikationstechniken parat: Aufmerksam zuhören, sachlich bleiben, Emotionen unterdrücken und ausreden lassen. Wichtig sei auch, eine positive Grundeinstellung herzustellen, Interesse zu zeigen und einen Perspektivenwechsel einzunehmen: `Vielleicht hat mein Gegenüber starke Schmerzen und reagiert deswegen so aggressiv?!´

„Loten Sie die Erwartungen des anderen aus“, rät Löckher-Hiemer. „Dann können Sie viel besser mit Ihrem Gegenüber umgehen.“ Und: „Auch wenn es schwer fällt: Akzeptieren Sie die Person so, wie sie ist. Selbst wenn sie alkoholisiert und ungepflegt ist.“ Denn eine ablehnende Haltung spüre der andere sofort. Sei allerdings sehr viel Alkohol im Spiel, würden lange Gespräche auf sachlicher Basis keinen Sinn mehr machen, so Löckher-Hiemer: „Dann versteht Ihr Gegenüber maximal drei bis fünf Wörter. Zum Beispiel die klare Ansage: `Bleiben Sie hier stehen!´“

Auch lange Wartezeiten führen laut Pflegedirektor Stopora manchmal dazu, dass Patienten aggressiv werden. Hierbei sei es laut dem Trainer wichtig, authentisch zu bleiben und nicht zu lügen: „Sie brauchen keine Ausreden zu erfinden so nach dem Motto: `Der Arzt konnte nicht früher, weil... .´ Sagen Sie einfach: `Es geht heute nicht schneller.´ Punkt! Denn wenn Sie lügen, merkt man Ihnen das an.“

Unser Vorschaubild: Wie schütze ich meine Lebenslinie? Auch das lernten die 15 Teilnehmerinnen vom Klinikum Memmingen.