„Kommt und bringt Eure Themen mit!“ - Lokale-Redakteurin Antje Sonnleitner sprach mit der neuen LTS-Intendantin Dr. Kathrin Mädler

veröffentlicht am 31.08.2016

Die neue LTS-Intendantin Dr. Kathrin Mädler. Foto: Marion Bührle

Frau Dr. Mädler, Sie sind die erste Frau an der Spitze des Landestheaters und eine von wenigen weiblichen Intendantinnen an deutschen Theatern. Denken Sie, dass Ihre Handschrift auch von daher (vielleicht auch ganz bewusst) eine andere ist?

Ja, Männer haben eine andere Art mit Autorität umzugehen. Ich glaube, dass Frauen mit mehr Empathie an Aufgaben herangehen - dazu gehört auch die Regiearbeit mit einem Ensemble.

Wie definieren Sie die Aufgabe von Theater in der heutigen Zeit?

Theater hat eine soziale und kommunikative Aufgabe. Es gibt keine Antworten, es muss vielmehr versuchen, die richtigen Fragen zu stellen. Jede Inszenierung formuliert eine These, ist ein Angebot zum gemeinsamen Nachdenken. Ich will jedoch kein verkopftes Theater - (lacht) ich bin ein großer Fan von Melodramen und Hollywoodfilmen und habe keine Angst vor Pathos und Kitsch. Ein Stück darf mich auch verzaubern und mich herausnehmen aus allem, was mich gerade beschäftigt.

Wie kamen Sie darauf, inszenieren zu wollen, gab es eine Art "Initialzündung"?

Ich habe selbst Schultheater gespielt, da ist der Funke übergesprungen. Wir hatten ein tolles Theater in Osnabrück, meine Eltern haben mich oft mitgenommen. Dort habe ich Stücke von Klaus Kusenberg gesehen der damals Oberspielleiter in Osnabrück war. Nach dem Abitur habe ich eine Hospitanz bei ihm gemacht und kam so ans Nürnberger Theater, wo ich angefangen habe, zu inszenieren.

Sie kommen von der Dramaturgie, der theoretischen Seite des Theaters. Hatten Sie nie den Wunsch, Schauspielerin zu werden?

Ich habe keine schauspielerische Begabung. Ich bewundere, was Schauspieler leisten und aus sich hervorholen. Ich als Regisseurin bin dazu da, Feedback zu geben und den Überblick zu behalten. Die Probe ist ein gemeinsamer Prozess, Theater eine Gemeinschaftskunst. Der meiste kreative Input kommt von den Schauspielern. Das Ensemble ist das Herz des Theaters.

Das neue Logo des LTS, ein fünfzackiger Stern, ist eine politische und kämpferische Ansage. Glauben Sie, dass das Geschehen auf der Bühne die Welt bzw. die Wirklichkeit verändern kann?

Ja, denn Theater mischt sich ein, es kann Menschen bewegen und berühren. Es zeigt ein Ideal, es entwirft Räume, Situation und Geschichten, die etwas über das Potenzial der Menschen erzählen. Es zeigt Möglichkeiten auf - jenseits alltäglicher Beschränkungen. Der Zuschauer begreift etwas Existenzielles in einem Rahmen, der alles sprengt, der einen weg trägt. Dazu darf Theater sich auch was trauen, darf verunsichern und Rätsel aufgeben. Es darf auch provozieren, doch Provokation ist kein Wert an sich.

Was bedeutet "O Wunder" als Motto der neuen Spielzeit?

„O Wunder“ - dahinter steckt die Frage: "Brauchen wir ein Wunder, kann uns nur noch ein Wunder retten?" - Eigentlich geht es weniger darum, auf Wunder zu hoffen als darum, gemeinsam Lösungsansätze zu finden. Ich glaube an Theater als aufklärerische, jedoch nicht als pädagogische Instanz. Wir wissen nichts besser, nur weil wir Theater machen...

Zuletzt haben Sie als leitende Schauspieldramaturgin in Münster mit Schauspieldirektor Frank Behnke sehr erfolgreich das Schauspiel erneuert. Bedeutet zeitgenössisches Theater, dass es keine Stücke in historischem Kontext geben wird?

Theater ist kein Museum, sondern Gegenwartskunst. Es erzählt Geschichten, die mit uns heute zu tun haben. Ich glaube nicht an Werktreue. Die jungen Regisseure, die ich einlade, wissen, warum ein Stück aktuell für uns von Interesse ist und haben etwas dazu zu sagen.

Sie wollen „Themen, die uns alle umtreiben“ auf die Bühne zu bringen. Mit welchen zeitgenössischen Konflikten setzen Sie sich in der ersten Spielzeit auseinander?

Wir leben in einer krisenhaften Zeit, in der Bündnisse, Systeme und Diktaturen auseinander fliegen. Die Frage ist: „Wie kann man Gemeinschaft wieder leben?“ Als wir den Spielplan entwarfen, fing die Flüchtlingskrise gerade erst an. Einige Stücke nehmen Bezug auf das Schicksal von Emigranten.

Denken Sie, dass die Altersstruktur der Zuschauer des Landestheaters sich in den nächsten fünf Jahren verändern wird?

Ich will ein Theater für alle Altersgruppen machen, doch das Jugendtheater soll ein Schwerpunkt werden. In unserer Zeit laufen viele Kontakte virtuell ab, das Theater hingegen ist direkt. Der Mensch auf der Bühne verhandelt etwas mit mir - live und in Echtzeit. Dieser Zauber funktioniert auch bei jungen Leuten. Die möchte ich erreichen - auch mit coolen Programmpunkten wie der „Late Night“. Wenn das nicht gelingt, macht Theater sich überflüssig.

Sie planen eine „Bürgerbühne Schwaben“ mit Workshops und Spielclubs. Was kann man sich darunter vorstellen?

Ich will eine offene Bühne für die Menschen in der Stadt nach dem Motto:  „Kommt einfach vorbei und bringt eure Themen mit!“. In Spielclubs für Kinder, Jugendliche und Erwachsene kann sich jeder ausprobieren. Themen der Workshops sind z.B. Bühnenbild, Märchen oder Improvisation.  

Sie sind in Osnabrück geboren, ein Nordlicht sozusagen. Können Sie in Memmingen heimisch werden?

Durch mein Studium in München habe ich Bayern kennen und lieben gelernt. Hier in Memmingen hatte ich sofort ein warmes Gefühl. Die Menschen begegnen mir offen und herzlich und zeigen eine Neugierde und Vorfreude, die mir Mut macht. Ich freue mich riesig auf die neue Spielzeit!

 Werdegang von Dr. Kathrin Mädler

Kathrin Mädler, 1976 in Osnabrück geboren, studierte Dramaturgie, Theater- und Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Bayerischen Theaterakademie August Everding, sowie in Cincinnati, Ohio und an der University of California, Irvine. Promotion in Theaterwissenschaft in München.

Während des Studiums absolvierte sie Gast-Regieassistenzen am Staatstheater Karlsruhe und dem Burgtheater Wien. Im Anschluss an das Diplom 2002 folgten ein Forschungsaufenthalt an der University of California Irvine, Lehraufträge an der Ludwig-Maximilians-Universität und an der Westfälischen Wilhelms Universität.

Von 2005 bis 2012 war Kathrin Mädler Schauspieldramaturgin am Staatstheater Nürnberg im Leitungsteam von Schauspieldirektor Klaus Kusenberg. Dort betreute sie zahlreiche Ur- und Erstaufführungen zeitgenössischer Texte.

Seit 2012, mit dem Antritt der Intendanz von Ulrich Peters, war sie leitende Schauspieldramaturgin am Theater Münster und gestaltete dort mit Schauspieldirektor Frank Behnke die zeitgenössische Neuausrichtung des Schauspiels.

Seit 2009 inszenierte Kathrin Mädler u.a. Peter Weiss' „Die Ermittlung“ auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg (ausgezeichnet mit dem Nürnberger Theaterpreis für die beste Produktion, nominiert beim "nachtkritik-Theatertreffen"), „Penthesilea“ nach Heinrich von Kleist, die Uraufführung von Lukas Hammersteins „Damals wurde es irgendwie heller“ am Staatstheater Nürnberg, hier kam gerade ihre bejubelte Inszenierung von Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter“ heraus.