"Wie die Neugründung Europas gelingt“ - Ökonom Hans-Werner Sinn mit EUmérite geehrt

veröffentlicht am 28.09.2016

Der Unternehmer Wolfgang E. Schultz ehrt den renommierten Ökonomen Prof. Hans-Werner Sinn mit dem  "EUmérite". Der emeritierte Präsident des ifo Instituts ist der 5. Preisträger des 2009 von Schultz ins Leben gerufenen Auszeichnung. Fotos: Sonnleitner

Memmingen (as). Mit dem 2009 von der Memminger Firma Magnet Schultz gestifteten EUmérite wurde in diesem Jahr der renommierte Ökonom und Autor Professor Hans-Werner Sinn geehrt. Wie kaum ein anderer Wissenschaftler hat Sinn die wirtschaftspolitische Diskussion der Bundesrepublik in Deutschland in den letzten 25 Jahren geprägt. In seinem Vortrag fordert er eine radikale Kehrtwende in der Europapolitik und eine Abkehr von der nicht legitimierten Geldpolitik der europäischen Zentralbank. 

Wolfgang E. Schultz erklärt mit seinem Lob auf den Preisträger auch die Bedeutung des "EUmérite": Prof. Sinn räume ökonomischen Gesetzmäßigkeiten sehr hohe Priorität ein, ohne "die Bedeutung von und Bereitschaft zu sozialer Verantwortung aus dem Auge zu verlieren".


„Wir befinden uns in der schwersten Krise seit dem Krieg“, beschreibt Sinn die europäischen Situation vor dem Hintergrund von Finanzkrise, Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa und fehlgeleiteten (Euro-)Rettungsaktionen. Besonders schockiert habe ihn das Misstrauensvotum der Briten am 23. Juni, so der streitbare Ökonom, der bis zu seinem (Un-)Ruhestand im März diesen Jahres als Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität wirkte.

Die Schockstarre hielt nicht lange an: Als Reaktion verfasste Sinn sein frisch erschienenes Buch mit dem vielsagenden Titel: „Der Schwarze Juni: Brexit, Flüchtlingswelle, Euro-Desaster - Wie die Neugründung Europas gelingt“. Einige zentrale Thesen aus diesem und aus seinem 2015 erschienenen Werk „Der Euro  - von der Friedensidee zum Zankapfel“ erläutert der 68-Jährige den Gästen des Festaktes in der Rathaushalle.

Europa als Fiskalunion nicht funktionsfähig

Das Grundproblem der EU sieht der Ökonom darin, dass es sich um eine Fiskalunion handele. Eine solche könne ohne politische Union aber nicht funktionieren. “Man sollte nicht gemeinsame Kasse machen, bevor der Ehevertrag unterschrieben ist“, verdeutlicht der Referent. Die Verschuldungslawine, erzeugt durch Schuldensolidarisierung und Gemeinschaftshaftung, hätte zu einem „Maximum an Unzufriedenheit“ in Europa geführt.

Entsetzt zeigte sich Sinn über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass OMT-Programm zu billigen - wodurch eine weitere Überschuldung der Gläubigerländer vorprogrammiert sei. „Regeln werden gebeugt und Verträge werden gebrochen nur um den Euro zu retten“, kritisiert der Referent. Und zum Dank, dass vor allem Deutschland die "größte Rettungsaktion der Geschichte" getragen habe, werde es wegen seiner Austeritätspolitik attackiert. Doch die Bedrohung sei ernst: "Sollte jemand austreten oder der Euro zerplatzen, tun dies auch die Forderungen“, erinnert Sinn.

Gespannt lauschten die geladenen Festgäste dem Referat von Professor Hans-Werner Sinn. 

"Eine offene Gesellschaft braucht gesicherte Grenzen"

„Die Briten wollen kein Europa, das nicht in der Lage ist, seine Grenzen zu schützen“, begründet der Ökonom, der den Schutz der Eigentumsrechte als “natürliche Grundvoraussetzung für Frieden und Wohlstand“ erachtet, den Brexit. Eine offene Gesellschaft brauche gesicherte Grenzen, wenn sie nicht zur "Wildwest-Gesellschaft" degenerieren wolle.

Als weiteren Grund für den Austritt sieht der Referent die Bürokratie, Gängelei und Regulierungswahn des „Machtapparates in Brüssel“. Die nationale Gesetzgebung sei mittlerweile auf die Umsetzung von EU-Richtlinien reduziert.

Deutschland durch Brexit "empfindlich getroffen“

Entgegen des protektionistisch gesinnten “Brüsseler Lobbyapparates“ sei Großbritannien Deutschlands Partner in freihandelsorientierter Politik gewesen und darüber hinaus der drittstärkste Absatzmarkt nach USA und Frankreich. Daher sei Deutschland durch den Brexit “empfindlich getroffen“. Durch den Austritt Großbritanniens hätten sich zudem die Machtverhältnisse in der EU vom „nördlichen Freiheitsblock“ weg zur „Festung Europa“ verschoben, die vor allem von Frankreich favorisiert werde.

Nun seien „harte Entscheidungen mit Rückgrat“ gefordert und zwar bald: „Die Zeit zu handeln, ist nicht aussitzbar“, mahnt Sinn. Der Professor, der in seinem neuesten Buch eine sofortige Änderungskündigung des Lissabonner EU-Vertrags fordert, schlägt die Einführung eines „Status der assoziierten Mitgliedschaft“ für England vor. Dieser ermögliche es auch anderen Ländern, auszutreten - zum Vorteil der Nettozahler in diesem "Umverteilungsspiel".