
Memmingen (sfü): Eine Gesellschaft im Umbruch und in ihr Menschen, die sich nach Glück und Liebe sehnen. Mit dem Drama „Drei Schwestern“ von Anton Tschechow zeigt das Landestheater Schwaben ein Drama von zeitloser Aktualität. Die dynamische Inszenierung und das authentische Spiel überzeugten das Premierenpublikum, das begeistert applaudierte.
Nicht so sehr das Handeln, sondern die Erinnerung an eine bessere Vergangenheit und das Hoffen auf eine glücklichere Zukunft prägen das Geschehen. In Dietmar Nieders Inszenierung wirkt dieses Verharren jedoch nie statisch und repetitiv. Nicht zuletzt durch das Ausweiten der Bühne in den Zuschauerraum gelingt es Nieder, das Publikum zum Teil der Tschechow'schen Gesellschaft zu machen.

„Nach Moskau!“ wird zum Mantra dreier Schwesternaus aus bürgerlichem Hause in der russischen Provinz um 1900, doch die Realität, die Angst vor einer ungewissen Zukunft oder schlichtweg Passivität und Gewohnheit lassen den Traum vom Leben in der Großstadt in weite Ferne rücken - zu einem Sinnbild für das Glück, das doch nie realisiert werden wird.
Zudem sind sie mit einer Gesellschaft konfrontiert, welche die Ideale, mit denen sie groß geworden sind, zunehmend in Frage stellt. Die Zukunft, die sich jede für sich ausgemalt hatte, ist nicht mehr umsetzbar oder zeitgemäß. Auch heute stellt der strukturelle Wandel unserer Gesellschaft und die vielen Chancen, aber zugleich wachsenden Unsicherheiten, eine Herausforderung für den einzelnen dar. So erhöht sich der Druck zu handeln, aber auch die Furcht zu scheitern.
Lebensnahe Charaktere
Tschechow hat lebensnahe Charaktere geschaffen, mit denen sich der Zuschauer identifizieren kann: Olga Prosorow, die Lehrerin kurz vor dem Burnout - fantastisch dargestellt von Michaela Fent - die zynische und melancholische Mascha und die gebildete Irina, die sich in der Kleinstadt gefangen fühlt und befürchtet, ihr Potenzial nie verwirklichen zu können.
Doch auch die männlichen Protagonisten sind vor Unschlüssigkeit nicht gefeit. So flüchtet sich Andrej, dem eine vielversprechende, akademische Karriere vorausgesagt wurde, in eine Ehe mit der dominanten Natascha (Anke Fonferek), schlägt eine Beamtenlaufbahn ein und gerät in den Bann des Glücksspiels.
Dekadenz der russischen Bourgeoisie
Jens Hübner (a.G.), verantwortlich für Bühnenbild und Kostüme, spiegelt mittels einer surrealen Landschaft die Dekadenz der russischen Bourgeoisie um 1900 wider. Eine lebensgroße Schwarzweiß-Fotografie der drei Prosorow-Mädchen symbolisiert deren idealisierte Vergangenheit, ein Banner im Hintergrund die überzogenen Hoffnungen auf ein besseres Leben in Moskau.
Michaela Fent, Josephine Bönsch und Barbara Weiß geben jeder der drei Schwestern ein eigenes Gesicht mit individuellen Charakterzügen und Sehnsüchten. Insbesondere Weiß sticht mit ihrer Darstellung der jungen, lebenshungrigen Irina hervor. Fridtjof Stolzenwald als Andrej und Dino Nolting als Oberstleutnant Alexander Werschinin verkörpern - der eine trotzig, der andere schöngeistig und selbstmitleidig - zwei Männer, die sich ihrer Verantwortung entziehen.
Weitere Vorstellungen gibt es am 24. Oktober sowie am 8. und 10. Dezember, jeweils um 20 Uhr, und am 6. Dezember um 19 Uhr im Großen Haus. Kartenreservierung unter Telefon 08331 / 94 59 -16.