
Memmingen (sfü). Wie können wir bis zu unserem Lebensende selbstbestimmt bleiben? Was verstehen wir unter menschenwürdigem Sterben? Diesen und weiteren kontroversen Fragen haben sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion vier Bundestagsabgeordnete und der Moraltheologe Professor Eberhard Schockenhoff gewidmet.
Dazu hatte die Cityseelsorge Memmingen in Kooperation mit dem Evangelischen Bildungswerk und der Katholischen Erwachsenenbildung Memmingen eingeladen.
Das Gespräch fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gemeinsam gehen – Leben in Würde, Sterben in Frieden“ statt und soll zum Thema Sterbehilfe, Palliativmedizin und Hospizarbeit in Deutschland informieren. Hintergrund ist die gesetzliche Neuregelung zum „assistierten Suizid“, die Ende des Jahres geplant ist.
In einem Impulsreferat ging Professor Schockenhoff, der seit 2001 Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, auf die ambivalenten Begriffe der Selbstbestimmung und den Wert eines menschlichen Lebens ein. „'Lebenswertes Leben' soll in dieser Debatte nie von der Seite eines sozialen Nutzens betrachtet werden, sondern immer vom subjektiven Empfinden der betroffenen Person“, betonte der Theologe. Aber er erklärte auch, dass „Pflegebedürftigkeit nicht mit einem menschenunwürdigen Leben gleichzusetzen sei“.
Kosten-Nutzen-Denken aushebeln
Auch die oft genannte Selbstbestimmtheit, die Befürworter einer Liberalisierung der gegenwärtigen Gesetzeslage hervorheben, solle mit Skepsis betrachtet werden. „Wird der assistierte Suizid zu einer akzeptierten, medizinischen Dienstleistung, wächst auch der soziale Druck auf Todkranke und deren Angehörige, diese zu nutzen. Sei es um Kosten für Pflege und Behandlungen zu vermeiden oder um die Zeit der Angehörigen nicht mehr in Anspruch zu nehmen“, ergänzte der Professor. Der Wunsch nach Sterbehilfe sei dann nicht mehr aus freien Stücken, sondern aus äußerem Zwang gewachsen.
Zahlen stützen die These des äußeren Zwanges, schließlich würden in den letzten zwei Jahren ihres Lebens die Menschen auch die meisten Kosten für das Gesundheitssystem verursachen, nämlich runde 75 Prozent.
Ein Kosten-Nutzen-Denken in einer solchen Situation würde jedoch die Autonomie des Sterbenden aushebeln, befürchtet Schockenhoff. Er distanzierte sich jedoch von der Verurteilung des Freitods, legte aber nahe, dass auch der Sterbewunsch eines Todkranken hinterfragt werden müsse.
In der von BR-Moderator Rupert Waldmüller, dem Bruder von Dekan Ludwig Waldmüller, geleiteten Podiumsdiskussion repräsentierten die Bundestagsabgeordneten Gabriele Fograscher (SPD), Hilde Mattheis (SPD), Josef Rief (CDU) und Stephan Stracke (CSU) je einen der vier Gesetzesentwürfe. Diese reichten von der Beibehaltung der gegenwärtigen Rechtslage, also die straffreie passive oder indirekte Sterbehilfe durch einen Angehörigen oder einen Mediziner mit einer Ausweitung der Palliativmedizin und der Hospizarbeit, über eine restriktive Gesetzeslage, die passive oder indirekte Sterbehilfe nur in Ausnahmefällen genehmigt und sie ansonsten unter Strafe stellt, über eine liberale Vorlage, die die Hilfestellung zum Suizid unter gewissen Voraussetzungen, strafrechtlich unverfolgt lässt. Alle Gesetzesentwürfe lehnen eine geschäftsmäßige Sterbehilfe strikt ab.
Persönliche Sterbebegleitung unerlässlich
„Mit dem Tod soll kein Geld gemacht werden“, hob Hilde Mattheis hervor. Die Rechtslage für die Mediziner sowie die Ausweitung der Sterbebegleitung möchten alle Gesetzesvorlagen verbessern. „Ein Sterbender mit Todeswunsch sehnt sich oft nach Beziehung. Er hat Angst vor Schmerzen und Einsamkeit, daher ist die Investition in Hospize, persönlicher Sterbebegleitung und schmerzlindernder Medizin unerlässlich“, fügte Stephan Stracke hinzu. Auch die zahlreichen Besucher hatten die Möglichkeit, sich mit ihren Fragen an die Expertenrunde zu wenden.
Liebe und Fürsorge lassen sich nicht ins Gesetz gießen
Dies führte zu einer lebhaften Debatte mit theologischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten. Beispielsweise die Frage eines Zuhörers: "Wie kann die Gesetzeslage es verhindern, dass mancher sich „eines lästigen Pflegefalles“ entledigen wolle". Hier müsse nach wie vor auf medizinisches Urteilsvermögen und strafrechtliche Verfolgung gesetzt werden. Doch „Liebe und Fürsorge lassen sich nicht ins Gesetz gießen und es gibt auch persönliche Bereiche, in denen hat die Politik nichts zu suchen.“, so Mattheis.