Hinter der anheimelnden Kulisse im Hause der Reederin Schelesnowa lauern Hass, Dekadenz und Leere. Foto: Karl Forster/Landestheater SchwabenMemmingen (as). Die Konfrontation zwischen Kapitalismus und Sozialismus, verkörpert von der skrupellosen und machtgierigen Reedereibesitzerin Wassa und der Revolutionärin Rachel, ihrer Schwiegertochter, steht im Kern des Dramas „Wassa Schelesnowa“ von Maxim Gorki. Doch diese Szene bleibt eher beiläufig und blass in Walter Weyers Inszenierung. Nach einem starken Auftakt läuft im zweiten Teil viel dramatisches Potenzial ins Leere.
Die Angst vor gesellschaftlicher Schande spielt eine Hauptrolle in Gorkis Stück. Also tut die korrupte Unternehmerin Wassa (wie eine Spinne im Netz der Macht: Joséphine Weyers) alles dafür, die Fassade aufrecht zu erhalten. Als ihr Mann (Peter Höschler) - ein ehemaliger Kapitän, der seine Familie jahrzehntelang brutal missbraucht und gequält hat - als Kinderschänder angeklagt wird, zwingt sie ihn zum Selbstmord. Doch damit kann sie ihre Kinder nicht mehr retten: Ludmilla (Barbara Weiß) hat sich in eine Art kindlichen Schwachsinn geflüchtet, Natalja (Julia Meier) verschanzt sich hinter Zynismus und Alkoholsucht. Labil und kränklich wie sie sind, können sie die Reederei nicht fortführen und sind darum wertlos in den Augen der verbitterten Misanthropin Schelesnowa.
Ihre einzige Hoffnung ist der Enkel Kolja, Sohn ihres sterbenskranken Sohnes und seiner Frau Rachel (Michaela Fent), die sich der marxistischen Revolution verschrieben hat. Ständig auf der Flucht, musste Rachel ihren Sohn bei seiner Großmutter lassen, die sich nun weigert, in der Mutter zurückzugeben.
Im historischen Raum angesiedelt
Zwar böte es sich angesichts der heutigen Krisen und Skandale geradezu an, die kapitalistischen Auswüchse der Gier und des Machtmissbrauchs auf unsere Zeit zu übertragen. Doch Weyers belässt das Stück im historischen Raum. Dieser bezeichnet hier ganz konkret die „gute Stube“ der Schelesnowa. Vor der Kulisse dieses bildhübschen und gepflegten apricotfarbenen Wohnraums (das Bühnenbild von Sabine Mannteufel ist eine Augenweide!) wird umso augenfälliger, wie zynisch und respektlos die Familienmitglieder miteinander und mit der Dienerschaft umgehen. Am drastischsten verkörpert der völlig degenerierte Bruders Wassas (Fridtjof Stolzenwald) den Verfall der Familie und die Dekadenz des Systems.
Die verlorene Welt der Träume und Sehnsüchte der Protagonisten ist auf der romantisch beleuchteten Terrasse verortet. Ab und zu öffnet Wassa die Tür zu dieser anderen Welt, dann erklingt beschwingte klassische Musik, sie wiegt sich im Walzertakt. Doch all das bleibt Pose.
Der Kernkonflikt wird verwässert
Trotz des reichlich vorhandenen Konfliktpotenzials verliert die Inszenierung in der zweiten, zudem sehr viel längeren, Hälfte an Fahrt. Die Figuren erscheinen zunehmend flacher und schemenhafter, die Familientragödie erhält keine neuen Impulse, es fehlen Schattierungen und Zwischentöne.
Weyers zeigt Rachel und Wessa nicht nur intellektuell als ebenbürtig, beide sind kalt und berechnend, beide vernachlässigen ihre Kinder und opfern sie ihren Zielen und idealen. Anstatt die Konfrontation der beiden Frauen also als eine Art Show-down zwischen einer engherzigen Kapitalistin und einer blühenden Revolutionärin zu inszenieren, wird der Konflikt verwässert. Die Kernszene kommt blutleer daher, die zentrale Figur der Rachel bleibt blass und fern.
„Was auch immer da kommen mag, ist nicht besser als das sterbende System“, scheint die Botschaft der Inszenierung zu sein. Weyers verweigert dem Stück die Utopie, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Dennoch: Das Publikum spendete langanhaltenden Applaus, ein "Bravo" ernteten Joséphine Weyers, Barbara Weiß und Julia Meier für ihre Darstellung des gestörten Mutter-Tochter-Verhältnisses.
Weitere Vorstellungen im Großen Haus am 15., 24. und 26. Februar sowie am 11. und 14. März.