Memmingen (as). Auf der Tagesordnung des Kultur- und Stiftungsausschusses (III. Senat des Stadtrates) im Rathaus-Sitzungssaal stand die Umsetzung der UN-Behindertenrechts-konventionen auf kommunaler Ebene. Prof. Dr. phil. Markus Jüster von der Fakultät Soziales und Gesundheit an der Fachhochschule Kempten, der das Projekt wissenschaftlich begleitet, informierte die StadträtInnen über die nächsten Schritte zur Erarbeitung eines Aktionsplanes.
Langfristiges Ziel des Aktionsplanes ist es, behinderte Menschen in staatliche Schulen und in den 1. Arbeitsmarkt zu integrieren, anstatt sie durch wohlgemeinte Sonderwege letztendlich auszugrenzen. "2012 waren vier Prozent der Schulkinder in Förderschulen untergebracht. Denen werden wir bei Hartz IV wieder begegnen", prophezeite Jüster. Mittlerweile bezeichne man Schulen für Lernbehinderte bereits als "Hartz-IV Schulen".
Dass integrative Schulen funktionierten, sähe man am Beispiel Norditaliens, erklärte der Soziologe und Sozialpädagoge, der als Gastprofessor in Bologna tätig war. "In Deutschland wird viel Geld investiert, um Sondersituationen für Behinderte zu schaffen", kritisierte Jüster. Damit nehme man außerdem den "normalen" Kindern die Möglichkeit, soziale Kompetenz aufzubauen und Verantwortungsgefühl zu entwickeln. Er bemängelte auch, dass die Behindertenwerkstätten hier zu Lande nur eine Vermittlungsquote von einem Prozent haben. In Skandinavien fänden 14 Prozent der dort beschäftigten Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Stelle.
Auf den Einwand von Stadträtin Mechthild Feldmeier, die Menschen fühten sich im geschützen Rahmen der Institutionen wie z.B. der Lebenshilfe wohl, meinte Jüster, Inklusion setze voraus, dass man auch die Behinderten aus ihren "Komfortzonen" heraushole. "Die einzelnen Institutionen müssen kritisch prüfen, ob sie nur in ihrem eigenen Rahmen funktionieren oder übergreifend integrativ wirken", so Jüster.
"Wir müssen den bisherigen Pfad verlassen, aber dabei aufpassen, dass wir nicht übers Ziel hinausschießen", gab Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger zu bedenken. Die Kooperation der 1. und 2. Klassen der Elsbethenschule zeige, dass man bereit sei, neue Wege einzuschlagen. Neue Wege, die, so Stadtrat Herbert Diefenthaler, zu früh in Sackgassen mündeten. Man stehe erst am Anfang, erklärte Prof. Jüster, die Inklusion müsse über zehn bis 15 Jahre wachsen und gut vermittelt werden, um auch bei den Eltern nicht behinderter Kinder Zustimmung zu finden.
Prof. Jüster erklärte das Vorgehen bis zur großen "Start-up-Konferenz" im Januar 2014: Um effektive Unterstützungsszenarien zu entwerfen, werden drei Gremien eingesetzt. Oberstes Gremium ist der Steuerungskreis, der strategische Entscheidungen fällt und den Gesamtprozess steuert. Im Lenkungskreis werden die Abläufe der Projekte abgestimmt - gemensam mit den Leitern der vor Ort gebildeten Arbeitskreise und dem Behindertenbeirat . Alle drei Gremien tagen mindestens einmal im Quartal.
Auf dem Programm von Prof. Dr. Jüster steht zunächst eine Bestandsaufnahme der Situation behinderter Bürger in Memmingen: Er wird Institutionen für behinderte Menschen aufsuchen, um sich über den aktuellen Stand sowie die Pläne und Perspektiven in den verschiedenen Einrichtungen zu informieren. Bis Mitte Oktober will Jüster dem Steuerungskreis die Ergebnisse unterbreiten.
Jüster erinnerte daran, dass 98 Prozent aller Behinderungen im Laufe des Lebens erworben werden. " Wir tun damit alle auch für uns selbst etwas!"