Lotte Gosch brilliert als die junge Else, die, hin- und hergerissen zwischen familiärem Pflichtgefühl, äußerer Bedrängnis und inneren Sehnsüchten, ihre weibliche Identität sucht. Foto: Sonnleitner
Memmingen (as). Mit großem Beifall wurde die 23-jährige Schauspielerin Lotte Gosch für ihr Debüt am Jungen Landestheater Schwaben gefeiert. In Thomas Arzts moderner Adaption von Arthur Schnitzlers "Fräulein Else" überzeugte sie mit einer intensiven Darstellung der zerrissenen 15-Jährigen, die zwischen jugendlicher Freiheit, familiärer Verantwortung, sexueller Bedrängnis und eigenen Sehnsüchten hin- und hergerissen ist.
Else verbringt ihren ersten Urlaub ohne Familie im Luxushotel ihrer Tante am See. Sie genießt das „Prinzessinnenzimmer“, chattet mit Freundinnen, bestellt Pizza – und spürt zugleich die Blicke der Männer. Neugier und Angst mischen sich, bis ein Pizzabote sie bedrängt und sie in Panik gerät.
Doch der wahre Konflikt lauert tiefer: Ihr Vater steht vor Gericht, und Else will beim Richter Fürsprache einlegen. Dieser Mann – Erwin, eine Glatze am Hotelpool – verlangt jedoch einen hohen Preis für den Freispruch ihres Vaters. Wie weit wird Else gehen, um ihre Familie zu retten?
„Mama hat mich verschachert"
Arzts Text verknüpft Coming-of-Age, Me-Too und Familiengeschichte. Else schwankt zwischen Rollenbildern – Diva, Lolita, Bitch –, testet ihre Identität und erkennt schließlich, dass selbst das rote Cocktailkleid in ihrem Koffer Teil einer Abmachung ist: „Mama hat mich verschachert.“
Die Regie von Anna Angelini verlagert die Handlung ins Heute, durchsetzt den inneren Monolog mit WhatsApp-Nachrichten und lässt Else am Ende weder Anzeige erstatten noch Selbstmord begehen, sondern in einer beherzten Flicht nach vorne in der Hotellobby ihren Teil des Deals erfüllen – ohne sich dem Richter vollständig auszuliefern.
Wandlungsfähig und ein bisschen verspielt
Das Bühnenbild von Julia Ebenbichler ist schlicht, wandlungsfähig und ein bisschen verspielt: Ein Koffer, ein Badetuch und eine Kiste, die Bett, Sofa und Boot zugleich ist. Ein verschiebbarer Paravent öffnet den Blick mal auf den Hotelpool, mal auf das Außen und dient nebenher als Umkleide. Die häufigen Kostümwechsel zeigen Elses Suche nach Identität, ohne die junge Darstellerin bloßzustellen. Wichtigstes Requisit ist natürlich das Handy.
Thomas Arzt skizziert in seiner Neufassung präzise die innere Zerrissenheit der jungen Else. Lotte Gosch füllt diese Rolle mit Energie, Verletzlichkeit und starker Präsenz – und vermittelt, was Theater leisten kann: „Einen Raum schaffen, in dem man im Moment ist und sich nicht entziehen kann.“