
Memmingen (as). Zutiefst beeindruckt zeigte sich das Publikum von der Premiere des Filmes "Hirngespinster" im Cineplex Memmingen. "Es hatte wohl niemand mit dieser Intensität gerechnet", vermutet Cineplex-Kino-Chef Oliver Kühne. In der anschließenden Fragerunde mit Regisseur Christian Bach und einer der Produzentinnen zeigten sich viele Zuschauer ergriffen. Besonders gelobt wurde auch die ideale Rollenbesetzung.
"Geht’s wieder los?“ fragt der 22-jährige Simon (Jonas Nay) seine Mutter. Sein an Schizophrenie erkrankter Vater Hans (Tobias Moretti) hat in einem Anfall von Verfolgungswahn die Satellitenschüssel der Nachbarn zerstört. Er fühlt sich ausspioniert, bedroht, ist überzeugt davon, dass alle Welt sich gegen ihn verschworen hat. Als er gegen die vermeintlichen Bedrohungen schließlich mit einer Axt zu Felde zieht, wird er von der Polizei festgenommen und in die Psychiatrie eingewiesen. Doch dort kann man ihn gegen seinen Willen nicht behandeln. Er wird entlassen und der Tanz auf dem Vulkan für seine Familie geht verschärft weiter - zumal Hans jetzt auch die Seinen in Verdacht hat, sich gegen ihn verbündet zu haben....
500.000 Menschen in Deutschland sind betroffen

Das von der Deutschen Film- und Medienbewertung mit dem Prädikat “besonders wertvoll“ ausgezeichnete Langfilmdebut des 37-jährigen Regisseurs Christian Bach beschäftigt sich mit einem Thema, das in der Öffentlichkeit bisher wenig wahrgenommen wird - obwohl immerhin 500.000 Deutsche davon betroffen sind: Schizophrenie, eine der großen psychiatrischen Volkskrankheiten unserer Zeit. Je nach Schwere der Erkrankung nimmt das Erleben übersteigerte Fromen an, äußere Ereignisse werden verzerrt wahrgenommen. Die Fehlinterpretationen der Erkrankten reichen bis hin zu manifesten chronischen Halluzinationen.
Ein Strudel aus Wahn, Argwohn, Angst und Verzweiflung
Statistisch gesehen, ist jeder 100. Deutsche betroffen von der Psychose, deren Ursachen nach wie kaum erforscht sind. Da die Heilungschancen schlecht sind, führt Schizophrenie bei mindestens acht von zehn Betroffenen zu Berufsunfähigkeit. So wie bei Hans Dallinger in "Hirngespinster" - ein genialer Architekt, der seine eigene Firma verlor. Getrieben von der Hoffnung auf ein Comeback, nimmt er an der Ausschreibung für ein großes Museumsprojekt teil. Der Erfolgsdruck löst einen psychiotischen Schub aus, einen Strudel aus Wahn, Angst und Verzweiflung, in den alle Familienmitglieder mit hineingezogen werden.
Klinisches Vorwissen ist aber keinesfalls nötig, um diesen, übrigens durchaus auch mit humorvollen Szenen ausgestatteten, Film zu verstehen: Auch wer mit dem Thema nicht viel anfangen kann, wird von der dichten Dramaturgie des Film und der Intensität der Darsteller und unweigerlich in den Bann gezogen. Hauptdarsteller Tobias Moretti erläutere im Vorfeld der Memminger Premiere, wie intensiv er sich auf die Rolle vorbereitet hatte: Er habe viel Zeit mit an Schizophrenie Erkrankten verbracht, Fachärzte und Pflegekräfte befragt.
Gefangen im Zwiespalt zwischen Liebe, Loyalität und verzeifeltem Hass
Doch Jonas Nay als Simon kann ihm durchaus das Wasser reichen - grandios verkörpert er den im Zwiespalt zwischen Liebe, Loyalität und verzeifeltem Hass gefangenen Sohn, der all seine Kraft und Energie darauf verwendet, das labile Familiensystem nach außen zu verteidigen und im Inneren so gut es geht am Laufen zu erhalten. Zum Beispiel, indem der 22-Jährige seine eigenen Pläne hinten anstellt, um sich um die kleine Schwester (Ella Frey), das Maskottchen der Familie, kümmern zu können. Bis er sich in die angehende Medizin-Studentin Verena (Hanna Plaß) verliebt und endlich den Aufbruch in ein eigenes Leben wagt. Mutter Elli (Stephanie Japp), die Ernährerin der Familie, bleibt - ihrer Rolle entsprechend - etwas blass. Auf Simons Frage, wie und warum sie das alles aushalte, antwortet sie schlicht, "Ich liebe ihn halt."
"Für mich ist normal, wer mit seinem Wahnsinn gut leben kann", sagt Christian Bach - doch es geht eben nicht nur um den oder die Betroffene...
Für ihre herausragende schauspielerische Leitung erhielten Tobias Moretti und Filmsohn Jonas Nay den Bayerischen Filmpreis als „bester Darsteller“ und „bester Nachwuchsschauspieler“.
"Hirngespinster" (ab 12 Jahre, 97 Minuten) ist von Donnerstag, 23., bis Mittwoch, 29 Oktober, um jeweils 17.30 Uhr und am Sonntag, 26 Oktober, um 10.45 Uhr im Cineplex Memmingen zu sehen. Im Rahmen der Reihe "Filmleben" wird der Film außerdem Montag und Dienstag, 27. und 28. Oktober, jeweils um 21 Uhr sowie Mittwoch, 29. Oktober, um 19.35 Uhr gezeigt. Kartenreservierung unter www.cineplex.de
Tipp der LOKALE-Redaktion: Unbedingt sehenswert - und das keineswegs nur, weil die Außenaufnahmen in Memmingen gedreht wurden!