"Was darf und muss Satire?" - Christoph Sieber unterzog das System einer schmerzhaften Wurzelbehandlung - mit ausreichend Lachgas. Fotos: SonnleitnerMemmingen (as). Das Memminger Maul hat seinen Schnuller ausgespuckt: Die Kabaretttage 2015 begannen im ausverkauften Stadttheater mit einer satirisch-bissigen Steilvorlage von Christoph Sieber. Die Jury konnte sich entspannt zurücklehnen: Als Gewinner des Memminger Mauls 2013 trat der vielfach ausgezeichnete und sehr vielseitige Kabarettist und Comedian mit seinem Programm "Alles ist nie genug" außer Konkurrenz auf - und mit großem (Lach-)Erfolg.
"Was darf Satire bzw. was muss sie heute leisten?" - mit dieser Frage leitet Christoph Sieber den Abend und damit die Kabarett-Tage ein. Und geht dabei auch auf das Dilemma des Kabaretts ein, das durch befreiendes Lachen unfreiwillig dazu beiträgt, die angeprangerten Missstände des erkrankten Systems zu festigen. Sieber predigt den Zorn als Weg des Bürgers vom "willenlosen Konsumenten" zum Souverän - und lebt ihn, stellvertretend, auf der Bühne.
"Was macht Sie zornig?", fragt er das Publikum. Zögerlich werden Seehofer, TTIP, die Maut und das G8 genannt. Siebers Improvisation zu diesen Themen gipfelt im "Memminger Urschrei", einer befreienden Frusttherapie für das Publikum. "Von hier geht heute ein Signal aus", verkündet der Kabarettist doch eigentlich weiß er: "Wenn das, was ich hier sage, etwas bewirken würde, dürfte ich nicht hier stehen."
Dennoch: Resignation sieht anders aus. Ob Billigwahn oder Bildungsmisere, Abgefahrenes von der Bahn oder krankes Gesundheitssystem: Der gelernte Schauspieler und Pantomime wildert in allen Ecken von Alltag und Politik. Und spitzt seine Betrachtungen gern zu absurden Szenarien zu. Wie wäre es z.B. mit einer Maut für Terroristen, damit es sich nicht mehr lohnt, zum Anschlagort zu fahren?
Aggressiven Russen und parasitäre Griechen
Christoph Sieber unterstreicht seinen Worte mit ausladender Gestik....Doch die Adressaten solcher Anregungen sind uns leid. Längst haben die Regierenden erkannt, dass eine Demokratie ohne Volk viel einfacher wäre. Kein störender Bürger, der mit schönen Worten und gefälschten Armutsberichten eingelullt werden muss. Den man klein hält, indem man ihm mit dem aggressiven Russen und dem parasitären Griechen Angst einjagt. Geballte Prügel bezieht das politische Personal als Vertreter eines zynischen kapitalistischen Systems. ("Sozialer Ausgleich heißt, dass die Jungen so viel saufen, dass die Alten vom Flaschenpfand leben können.")
Um zu beunruhigen, zeigt Sieber gern mit völlig unsatirischer Ernsthaftigkeit die Moral von der Geschicht' auf, bohrt den Stachel ins Fleisch und lässt ihn stecken. Dabei begleitet er seine Aussagen mit ausladenden Gesten. Seine langen Arme sind wie die Pendel einer Wanduhr, die anzeigt, was es geschlagen hat. „Sozialschmarotzer sind nicht Menschen, die zu uns kommen, sondern die Firmen, die von ihnen profitieren“, kommentiert er die "CSU-Hetze“ zum Thema "Sozialtourismus". Sein Plädoyer: "Wir brauchen wieder Herz in diesem Land“.
Kriegsrhetorik und Panzerbestellungen
....und ausdruckssstarker Mimik.Für Hartgesottene gibt’s noch den Blick auf die Ukraine bzw. auf die Kriegsrhetorik und Panzerbestellungen der Regierung. "Wo auch immer gespielt wird: Deutschland schickt schießendes Personal" hatte Ursula von der Leyen auf die Frage geantwortet, ob die nächsten beiden Fußball-Weltmeisterschaften tatsächlich in Russland und in Katar stattfinden könnten. Dies sei eine gefährliche Verharmlosung des Krieges, so Sieber.
Doch natürlich bestritt der Kabarettist den Abend nicht durchweg mit erhobenem Zeigefinger. Spielend gelang es ihm, das zuweilen betreten schweigende Publikum zu erheitern. Zum Beispiel mit den abstrusen Auswüchsen digitaler Technik wie dem neuen iPad, das unter Wasser E-Mails checkt. "Ablenkung mit System", meint Sieber, "wir drücken auf 1.000 Knöpfchen und glauben, wir hätten den Lauf der Welt noch im Griff." Doch was, wenn die Haustechnik intelligenter ist als die Bewohner und diese auch gerne mal aussperrt oder das Auto dank Müdigkeitserkennung lieber mal ohne uns abfährt?
Jonglage mit Worten und Bällen
Nach der Pause packt Sieber seine artistischen, pantomimischen und lyrischen Fähigkeiten aus. Und erweist sich als Meister des gepflegten Nonsens. Er jongliert mit Worten und Bällen gleichzeitig, beeindruckt mit coolen Moves als „Venyl-Gott von Memmingen“ und schrägen Parodien auf Sport und Körperkult (Rennrodler in Ganzkörperlatex). Befeuert von Lachsalven, beschließt der Komödiant den Themengalopp des Abends mit der Darstellung des Dressurpferdes Satchmo. Zum Wiehern komisch auch die Zugabe mit trauten vorweihnachtlichen Erinnerungen aus seiner ländlich-katholischen Kindheit in Niederesch.
Infos zum Programm unter ww.mm-kabarett-tage.de