Die Lokale Memmingen
Gefro AOK JB Sport Enerix Brommler Golfclub Memmingen Innoverta Landestheater Schwaben Cineplex Kaminwerk Memmingen FC Memmingen Rechtsanwalt Philipp Hacker Radio AllgäuHit

Zwischen Alarmismus und Realität

Europa-Expertin Birgit Boeser über die aktuellen Beziehungen zwischen Russland und der EU

veröffentlicht am 15.06.2025
Russland und die EU

Burkhardt Arnold, Vorsitzender der Europa-Union, Referentin Birgit Boeser, Oberbürgermeister Jan Rothenbacher und Alexandra Hartge, Leiterin des Europabüros Memmingen. Foto: Sonnleitner

Memmingen (as). Die Memminger Europa-Union hatte jüngst zu einem Vortrag über die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland eingeladen. „Von Kooperation zum kriegerischen Konflikt“ lautete das Motto, über das die Leiterin der Europäischen Akademie Bayern, Birgit Boeser, im Memminger Rathaus referierte.

Birgit Boeser gilt als versierte Kennerin europäischer Strukturen und zeichnete in ihrem Vortrag ein deutliches und teils alarmierendes Bild der sicherheitspolitischen Lage in Europa.

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine habe sich, so Boeser, das Verhältnis zwischen Russland und der EU grundlegend gewandelt: von vorsichtiger Partnerschaft zu offener Konfrontation. Russland wende sich zunehmend von Europa ab, orientiere sich wirtschaftlich nach Osten und suche neue Absatzmärkte, insbesondere in China, Indien, aber auch in Ländern wie der Türkei oder Nordkorea. Während Russland als wirtschaftlich angeschlagen beschrieben wurde – stark abhängig vom Energieexport und durch EU-Sanktionen geschwächt – sei es gleichzeitig in der Lage, militärisch und geopolitisch weiter Einfluss zu nehmen.

"Hybride Kriegsführung"

Besonders betonte Boeser die sogenannte „hybride Kriegsführung“, die neben konventionellen Mitteln auch auf Cyberangriffe, Desinformation und verdeckte Operationen setze. In der Ostsee häuften sich laut Boeser Vorfälle von Sabotage an Unterseekabeln, außerdem sei von einer „Schattenflotte“ russischer Schiffe die Rede, die Sanktionen durch Umgehung über Drittstaaten unterlaufen solle.

Baltische Staaten fühlen sich bedroht

Russlands Verhalten gegenüber den baltischen Staaten wurde von Boeser als Fortsetzung eines Narrativs beschrieben, das bereits im Ukrainekrieg zum Einsatz gekommen sei. Zugleich verwies sie auf die wachsende Nervosität insbesondere in Polen und den baltischen Staaten, wo die Sorge vor einem möglichen Angriff offenbar zunimmt. Dass Russland den NATO-Beitritt Finnlands als Bedrohung einstufe, habe wiederum zu einem massiven Ausbau seiner Militärinfrastruktur an der gemeinsamen Grenze geführt.

„ReArm Europe“

Auch wenn vieles davon in der politischen und medialen Debatte derzeit häufig wiederholt wird, bleibt der Grundton des Vortrags deutlich: Die EU müsse sich verteidigungsfähig machen – politisch, militärisch und gesellschaftlich. Als Beispiele führte Boeser das sogenannte White Paper „ReArm Europe“ der EU-Kommission an sowie die Stationierung deutscher Truppen in Litauen. Die jüngste Verabschiedung des 17. Sanktionspakets gegen Russland sei ein weiteres Zeichen europäischer Geschlossenheit.

Boesers Fazit: Der Krieg in der Ukraine sei möglicherweise nur der Auftakt zu einer längeren Phase der Auseinandersetzung mit dem Westen. Vor allem in Nordosteuropa wachse die Überzeugung, dass ein militärischer Konflikt mit Russland nicht ausgeschlossen werden könne.

Die Stimmung im Saal war nachdenklich, teils besorgt – und nicht ohne Anlass. Doch es bleibt auch die Frage, inwiefern Worst-Case-Szenarien mit einseitiger Bedrohungslogik allein schon eine neue sicherheitspolitische Realität schaffen. Der Vortrag bot vor allem eins: viel Anlass zur Diskussion.