„Der Rest ist Schweigen“

Beeindruckende Hamlet-Premiere mit einem brillanten Hauptdarsteller

veröffentlicht am 16.10.2018

Hochzeit in Helsingör: Der neue König Claudius (Jens Schnarre) heiratet die Frau seines toten Bruders (Claudia Frost) - beide oben im Bild. Wenig erfreut darüber: Prinz Hamlet (Jan Arne Looss) und seine Ophelia (Regina Vogel).  - Unser Vorschaubild: Auch die Liebe zwischen Hamlet  und Ophelia fällt den Intrigen am Hof zum Opfer. Fotos: Monika Forster

Memmingen (as).  „Etwas ist faul im Staate Dänemark“ - Es ist eine große Herausforderung die Tragödie „Hamlet“, das bedeutendste Werk des genialen Uraltmeisters Shakespeare, in heutiger Form auf die Bühne zu bringen. Nicht zuletzt dank eines starken Ensembles hat Gastregisseur Jochen Strauch den Psychothriller um den an der Wirklichkeit verzweifelnden dänischen Prinzen, dessen Onkel seinem Vater Leben, Krone und Frau nahm, meisterhaft bewältigt. Fesselnd, intensiv und ausdrucksstark ist Jan Arne Looss in der Titelrolle.

„Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“ – hier könnte man den berühmten Satz aus Hamlets Monlog noch um „Schein oder Sein …. “ erweitern: Es geht um Trug und Täuschung, um die manipulativen Mechanismen der Macht, die zweifellos auch heute noch an der Tagesordnung sind - wie die Rochaden der jüngsten Politikgeschichte zeigen.

Prinz Hamlet spricht seinen berühmten Monolog in Unterhose.

„Die Zeit ist aus den Fugen“

Der Prinz ist zerrissen zwischen zwei Welten: Der nach Selbstverwirklichung strebende, selbstreflexive Menschen der Renaissance, der das bisherige Weltbild infrage stellt, wird mit der überkommenen kriegerischen Machtpolitik von Vater und Onkel konfrontiert. Ja, nicht nur das: Durch die Racheforderung des Geistes seines Vaters wird sie ihm zum verbindlichen Auftrag.

Privates und Politik vermischen sich, dennoch tritt die politische Handlung des auf eine mittelalterliche nordische Erzählung zurückgehenden Tragödienstoffes (Krieg mit Norwegen) in der  Inszenierung in den Hintergrund zugunsten der sozialpsychologischen. Hierzu gehört auch die Liebesgeschichte zwischen Hamlet und Ophelia (verzweifelnd am Geliebten: Regina Vogel) - bis auch diese von  Heimtücke und Verrat vergiftet ist.

"Nur reden will ich Dolche, keine brauchen"

Obwohl vor über 400 Jahren geschrieben: Shakespeares gilt als meisterhafter Psychologe und seine  vielschichtigen Charaktere sind erstaunlich heutig, wie besonders die Figur des Hamlets zeigt.

Prinz Hamlet ist der Fixstern im Inszenierungskosmos von Regisseur Jochen Strauch – man könnte auch sagen: die Sonnenfinsternis. Innerlich zerrissen, ist er weiser Narr und gehetztes Tier zugleich. Kahlgeschoren und halbnackt mit wildem Bodypainting, das den legendären tintenschwarzen Wams ersetzt, wirkt der Königssohn verletzlich und aggressiv zugleich. Denn der kluge und sensible Student Hamlet kann sich dem Auftrag seines Vaters nicht entziehen, seinen Tod zu rächen. Er sieht aber keinen Sinn darin und will Beweise für den Meuchelmord seines Onkels.

Widersacher bis in den Tod: Hamlet (Jan Arne Looss) und sein Onkel, König Claudius (Jens Schnarre).

"Es ist nicht und es wird auch nimmer gut"

Doch so hilfreich Denken auch oft sein kann, am Hofe seines machtgierigen und skupellosen Onkels Claudius (als aalglatter Intrigant: Jens Schnarre) und seiner ehebrecherischen Mutter (die Fassade wahrend: Claudia Frost) ist es kein geeignetes Konfliktlösungsinstrument. Derart von „des Gedankens Blässe angekränkelt“, fühlt sich Hamlet in die Enge getrieben und denkt an Selbstmord. „Wie langweilig, seicht, müd und unergiebig erscheint mir all das Getue der Welt“, heißt es in dem berühmten Monolog, indem er über das "Sein oder Nichtsein" räsoniert (Textgrundlage ist die moderne Übersetzung von Erich Fried).

Wenn Jan Arne Looss halbnackend kauernd und lauernd in Froschposition am Bühnenrand hockt und glühenden Auges ins Publikum hinein monologisiert, gibt er seinem Hamlet etwas Lauerndes, ja, Besessenes (und erinnert ein bisschen an Gollum in „Herr der Ringe“). Doch große Sprünge kann er nicht machen, es gibt keinen Ausweg, er ist gefangen.

"Mir fehlt die Galle"

Hamlet kommt zu keinem Entschluss. Er kann sich nicht zum Handeln überwinden, also zum Mord an Claudius, und flüchtet sich in den selbst auferlegten Wahnsinn. So, mit der Narrenkappe getarnt, kann er Zeit zu gewinnen und sich den Erwartungen und Manipulationen seiner Umgebung entziehen.

Verzweifelt tritt der destruktive Held schließlich  die Flucht nach vorne an. Er spaltet seine Gefühle ab, wird kalt-berechnend und brutal. Strauch lässt den sensiblen und tiefsinnigen jungen Hamlet zum vertitablen Schlächter, zum rasenden Massenmörder degenerieren. Nicht er, erklärt diese schließlich, sondern sein Wahn habe die Morde begangen.

„Der Rest ist Schweigen“

Hamlet, hier im Frack des Onkels, plant, diesen des Mordes zu überführen.

Am Schluss ist die Herrscherfamilie Geschichte - aber vorher wird es noch richtig laut, krawallig und unübersichtlich  auf der Bühne, wo Laertes, Hamlet und Claudius sich gegenseitig mit Dolch, Gift und Pistolen ins Jenseits befördern. Ein bisschen unfreiwillig komisch, war der fünfte Akt die einzige Schwachstelle des Stücks.

„Mitmachtheater“

Immer wieder wird der Publikumsraum zur verlängerten Bühne. Beim „Mitmachtheater“ als „theatralische Antwort auf die sozialen Medien“ vertauscht Regisseur Strauch die Perspektiven, indem zwei Zuschauer aus dem Publikum zu Hauptdarstellern der  Schauspieltruppe werden.  Diese führt - von Hamlet instruiert - am Hofe eine Tragödie auf, die den Königs- und Brudermörder Claudius  entlarven soll. 

Geniales Bühnenbild

Optimal und funktional ausgestattet ist die Tragödie durch die Drehkonstruktion im Zentrum der Bühne (Bühne und Kostüme: Frank Albert): Eine große weiße Treppe dient als Terrasse des Königshauses in Helsingör, als Thronsaal und Tribüne. Inwendig bietet sie Raum fürs Private, wird zum Grab für Ophelia und ihren Vater, den königlichen Ratgeber Polonius (altklug und autoritär: André Stuchlik). Außerdem dient sie als Projektionswand für das Porträt des Geistes des toten Königs Hamlet. Indem die Treppe sich immer schneller dreht, zeigt das Bühnenbild auch die zunehmende Dynamik des Stücks an.

Heftiger und lang anhaltender Applaus belohnt die durchweg glänzenden Schauspieler. Für seine Darstellung des Hamlet hätte Jan Arne Looss eigentlich Standing Ovations verdient.

Weitere Aufführungen am 17. Oktober, 4. November, 28. Dezember, 23. Februar 2019, 16.  und 18. April 2019. Karten gibt es unter 08331/ 9459-16.