„Nicht zu wählen ist keine gute Wahl“

Podiumsdiskussion der Lokalen mit SpitzenkandidatInnen im Kaminwerk

veröffentlicht am 13.03.2020

Paritätisch mit je vier Frauen und vier Männern besetzt war das Podium bei der Veranstaltung der "Lokalen" zur Kommunalwahl im Kaminwerk (von links): Sebastian Baumann (FDP), Michael Hartge (ÖDP), Christoph Steinlehner (CRB), Margareta Böckh (CSU), Heidi Weinert (Freie Wähler), Evelyn Villing (Grüne), Petra Beer (SPD) und Rupert Reisinger (Die Linke). Bildmitte: Carina Thielicke sorgte mittels einer kleinen Ampel dafür, dass die Redner ihre vorgegebene Redezeit einhielten. Foto: es

Memmingen (es). „Wer für Memmingen?“ – unter diesem Motto hatte „Die Lokale“ Vertreter aller neun Parteien und Wählergruppen zu diesem Abend eingeladen, der von Herausgeber Wolfgang Radeck und Antje Sonnleitner (Redaktion) moderiert wurde. Nur wenige Tage vor der Kommunalwahl am Sonntag hatten VertreterInnen der Parteien und Gruppierungen, die wieder oder neu in den Memminger Stadtrat einziehen wollen, noch einmal die Gelegenheit, sich, ihre Ideen und Ziele vorzustellen sowie zu aktuellen Vorhaben der Stadtpolitik wie dem Bahnhofsareal oder der Bäderfrage Stellung zu beziehen.

Rund 150 interessierte BürgerInnen waren dazu ins Kaminwerk gekommen.Und – fast – alle waren der Einladung gefolgt. Lediglich der Vertreter der AfD, Christoph Maier, hatte sein Kommen wegen dem kursierenden Coronavirus aus „Verantwortung für die Volksgesundheit“ kurzfristig abgesagt.

Auf dem Podium Platz genommen hatten die SpitzenkandidatInnen Sebastian Baumann (FDP), Michael Hartge (ÖDP), Christoph Steinlehner (CRB), Margareta Böckh (CSU), Evelyn Villing (Bündnis 90/Die Grünen), Petra Beer (SPD), Rupert Reisinger (Die Linke) und Heidi Weinert (Platz 3, Freie Wähler). Nach einer kurzen Vorstellungsrunde, bei der die acht Damen und Herren auch ihre persönliche Motivation für ihre Kandidatur erläuterten, standen zunächst die Fragen der Lokale und im Anschluss Fragen von Lesern und aus dem Publikum im Vordergrund. Im Wesentlichen drehten sich diese um aktuelle und zum Teil seit Jahren diskutierte Probleme wie bezahlbarer Wohnraum, öffentlicher Nahverkehr, mehr Bürgerbeteiligung, der Bäderneubau und das Klinikum Memmingen. Dabei zeigte sich, dass die KandidatInnen beziehungsweise ihre Parteien/Gruppen oftmals gemeinsame Ziele verfolgen, in manchen Punkten liegen die Schnittmengen und Lösungsansätze jedoch weiter auseinander.

Verschiedene Meinungen zum Thema "bezahlbarer Wohnraum"

Um in Memmingen bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, plädierte Margareta Böckh (CSU) dafür, dass „Ulmer Modell“ zum Vorbild zu nehmen. (Info: Die Domstadt kauft bereits seit Jahrzehnten systematisch Grundstücke im Stadtgebiet auf beziehungsweise veräußert diese nicht weiter. Dadurch befindet sich mittlerweile ein hoher Prozentsatz in städtischer Hand. Durch das bereits seit 1890 verwendete Ulmer Wiederkaufsrecht können unbebaute, ehemals stadteigene Flächen niemals an Privat weiterverkauft werden.) Diese Strategie wirkt sich preisdämpfend am Boden- und Immobilienmarkt aus.

Sebastian Baumann (FDP) gab zu bedenken, dass die Ulmer „uns hier 125 Jahre voraus sind, das können wir nicht aufholen“. Er brachte daher das sogenannte Aalener Modell zur Wohnraumförderung ins Spiel. Wesentliche Bestandteile sind hier Vergünstigungen von Baugrundstücken für den Bau von Sozialmietwohnungen und der Erwerb von Belegungsrechten für mittlere Einkommensbezieher.

Gerade der soziale Wohnungsbau wurde in Memmingen sträflich vernachlässigt, kritisierte Rupert Reisinger (Die Linke), das könne man nicht in kurzer Zeit wieder aufholen. Er, wie auch Petra Beer (SPD) und Evelyn Villing (Grüne), sprachen sich für eine Leerstandserfassung und eine gezielte Nachverdichtung in der Stadt aus. Heidi Weinert (FW) plädiert für mehr Bauaktivitäten in den Stadtteilen, dann müsse dort aber auch für die nötige Infrastruktur gesorgt werden. Dazu zähle auch eine Verbesserung des ÖPNV-Angebots.

Einhelliges Plädoyer für mehr Bürgerbeteiligung

Um gerade auch auf kommunaler Ebene der zunehmenden Politikverdrossenheit entgegenzuwirken, plädierten alle Podiumsteilnehmer für mehr Bürgerbeteiligung. Michael Hartge (ÖDP) bezeichnete engagierte, interessierte BürgerInnen als „großen Schatz“, den es für die Entwicklung der Stadt zu nutzen gelte. „Die Bürger zu beteiligen bringt die Leute in die Verantwortung, das wäre sehr bereichernd für alle“, meinte Evelyn Villing.

Rupert Reisinger regte einen 40-köpfigen Bürgerrat an, der gemeinsam mit dem Stadtrat wichtige Themen gemeinsam angehen soll. Dann hätte sich eine Situation wie beim Bahnhofsareal eventuell vermeiden lassen und man wäre mit Planung und Bau wohl schon wesentlich weiter.

Klinikumsneubau und Gesundheitscampus

Die Überlegungen zum Neubau eines Klinikums wurden durchweg begrüßt. Dies werde die zentrale Herausforderung für Memmingen für die nächsten Jahre, so Christoph Steinlehner. Mit der Sicherung des Vorkaufsrechts für das Ikea-Gelände seien die Voraussetzungen dafür geschaffen worden (Bericht folgt).

Um die jetzt schon gute medizinische Versorgung auszubauen, schlägt die SPD in diesem Zusammenhang die Einrichtung eines Gesundheits-Hochschulcampus vor; diese Idee wird auch von Grünen und Freien Wählern unterstützt. Daneben, so der Linken-Vertreter, dürfe aber auch die generelle ärztliche Versorgung, beispielsweise im Bereich der Fachärzte, nicht vernachlässigt werden.

Barrierefreiheit verbessern

Wie die Situation für Menschen mit Handicap in Memmingen verbessert werden könne, lautete eine der Publikumsfragen. Dass der barrierefreie Zugang nicht überall gewährleistet werden kann, sei auch den vielen historischen Gebäuden wie dem Rathaus, geschuldet, gab Margareta Böckh hier zu bedenken. Allerdings, so Steinlehner, würde nach wie vor viel zu wenig der Leitfaden der Bayerischen Architektenkammer zu Rate gezogen. „Hier stehen viele Möglichkeiten in Bezug auf barrierefreies Bauen drin“, so der CRB-Vertreter. Mit dem vermehrten Absenken von Gehwegen und der Schaffung von mehr Sitzgelegenheiten könne schon viel erreicht werden, so der FW-Vorschlag.

SPD und Grüne wollen sich verstärkt dafür einsetzen, das Thema Barrierefreiheit stärker in die Köpfe der Planer und der Verwaltung zu bringen. Einen engeren Austausch mit den betroffenen Menschen zum besseren Verständnis für ihre Probleme und Schwierigkeiten im täglichen Leben strebt die FDP an.

Tut Memmingen genug für den Klimaschutz?

Breiten Raum nahm das Thema Klimaschutz ein. Laut Bürgermeisterin Böckh solle man nicht immer nur nach der Stadt rufen, vielmehr könne und müsse jeder auch selber etwas für den lokalen Klimaschutz tun. Doch sei sich die Stadt ihrer Verantwortung bewusst und tue auch bereits einiges.

Das sah ÖDP-Vertreter Hartge deutlich anders: Zwar habe Memmingen bereits 2012 ein Klimakonzept beschlossen, passiert sei bis heute aber „wenig bis nichts“. Die ÖDP plädiert für mehr Bürgersolaranlagen, Nahwärmenetze und lokale Energieerzeugung.

Dem pflichtet der CRB bei, der sich mehr Dachbegrünung und Photovoltaikanlagen auch in der Altstadt wünscht. Die Grünen wollen den Individualverkehr in der Innenstadt deutlich reduzieren und die Stadtwerke in puncto Erneuerbare Energien zukunftsfest machen.

Die Linken geben das Ziel vor, Memmingen angesichts der allgemeinen Entwicklungen energieautark zu machen.

Jugendbeirat, Kneipensterben und Hochschule

Wenig neue Ideen gab es schließlich beim letzten Punkt des Abends: die Attraktivität der Stadt für die Jugend. Die Gründung eines Jugendbeirates wurde prinzipiell begrüßt. Aber ob ein Gastronom seine Kneipe oder Disco schließe oder nicht, sei schließlich eine private, wirtschaftliche Entscheidung. Hier habe die Stadt wenig Einfluss, so Margareta Böckh.

Das stieß teilweise auf Widerspruch: Der FDP-Kandidat sprach davon, vernünftige Rahmenbedingungen für die Gastronomen zu schaffen. Helfen könnte bei der Neuansiedelung von Gastronomiebetrieben die Stellplatzablöse zu ermöglichen, so CRB-Mann Steinlehner. Oft sei das Kneipensterben aber auch eine Folge mangelnder Toleranz. „Wenn ich mitten in der Stadt wohne, dann weiß ich, dass es auch mal lauter sein kann. Damit muss ich leben“, so Steinlehner.

Die Stadt könne durchaus Einfluss nehmen, so FW-Frau Weinert, „indem sie dem Gastronom auch einmal das Gefühl gibt, er sei sehr wohl erwünscht und nicht auf jeden Zuruf aus der Nachbarschaft gleich reagiert“.

Um der Jugend mehr öffentliches Gehör zu verschaffen, wollen alle Parteien und Wählergruppen die Jugendlichen künftig besser einbinden, ÖDP und Linke beispielsweise durch einen Jugendbeirat, die Grünen wollen mehr Streetworker.

Und was auf jeden Fall zu einer Steigerung der Attraktivität Memmingens beitragen würde, wäre eine Hochschule. „Da bleiben wir auf jeden Fall dran“, so Margareta Böckh.

Wahlrecht wahrnehmen!

Am Ende appellierten die vier Damen und vier Herren an das Publikum, das Wahlrecht wahrzunehmen. Nur wer wählen gehe, könne auch etwas bewegen und stärke die Demokratie, die, darin waren sich alle einig, durch populistische, ausgrenzende und aufhetzende Rhetorik zunehmend in Gefahr gerate. „Nicht zu wählen ist keine gute Wahl“, sagte auch Lokale-Herausgeber Wolfgang Radeck abschließend.