
(rad). Blaue Augen, lange schwarze Haare und voller Energie – nie im Leben kommt man auf die Idee, diese Frau kümmert sich täglich um „schwere Jungs und Mädels“. Anja Ellinger tut’s seit dem 1. April 2014 als Chefin in den beiden Justizvollzugsanstalten Kempten und Memmingen.
Nun ja, es gehört sich nicht unbedingt, Frauen nach dem Alter zu fragen. Noch weniger, es auszuplaudern. Nur soviel: sie hat mit etwa Mitte Vierzig lange genug in anderen JVAs Erfahrung gesammelt, um es mit den Insassen und Insassinnen „aufzunehmen“. Anja Ellinger trägt die Verantwortung für 466 Gefangene in den beiden Justizvollzugsanstalten Kempten (350) und Memmingen (116). Und nebenher auch noch für 180 Mitarbeiter/innen. Die Letztgenannten übrigens dürfen sowohl Frauen als auch Männer bewachen – andersrum ist’s nicht erlaubt. „Ja“, lächelt die Regierungsdirektorin, „das hat sich bewährt. Die männlichen Insassen benehmen sich dann einfach besser und schauen auch ein wenig mehr auf ihr Äußeres.“ Zudem sei der Umgangston gegenüber den weiblichen Beamten und auch unter den Mitinsassen ein deutlich besserer.
"Keine Luxuszellen mit High-Tech-Einrichtung"
Die gebürtige Oberfränkin hat sich vorgenommen, vor allem die Bedingungen im Strafvollzug weiter zu verbessern. Was nicht etwa heißen soll, die Bequemlichkeit oder den Komfort der Gefangenen zu erhöhen. „Die Gefangenen haben keine Luxuszellen mit High-Tech-Einrichtung“, räumt Ellinger mit dem weit verbreiteten Vorurteil eines bequemen Strafvollzuges auf. „Jeder muss und darf sich seinen (kleinen) Fernseher in der knapp acht Quadratmeter großen, auch schon mal doppelt belegten, Zelle verdienen“ – nicht zuletzt, um die Verbindung zum Leben „draußen“ nicht ganz zu verlieren.
Nur für rund 65 Prozent der Häftlinge besteht aber die Möglichkeit, die nötigen Groschen für TV und ein wenig Luxus (Tabak etc.) zu verdienen, denn das Arbeitsangebot in der JVA ist nicht gerade üppig. Eine weitere Herausforderung für Ellinger, die nicht zuletzt das mangelnde Spotangebot bemängelt:
„Wir sind insbesondere in Memmingen an räumliche Kapazitätsgrenzen gestoßen, die beispielsweise angemessene Sportmöglichkeiten weitgehend ausschließen.“ Tischtennis ist in der Memminger JVA möglich, „aber wir haben hier keine sogenannte Muckibude“, ergänzt Ellinger. Dabei sei Sport geradezu prädestiniert, Aggressionen abzubauen. Und die gibt es zwangsläufig – allein eine Besichtigung der Zellen und Räumlichkeiten mit den unzähligen verschlossenen Türen erzeugt ein ungemein beklemmendes Gefühl. Trotz der Gewissheit, nur Besucher zu sein...
"Dankbar für ehrenamtliche Mitarbeiter"
Gefangene richtig einzuschätzen, das sei eine der größten Aufgaben. „Dahingehend hat es bei mir schon früh die Weichenstellung im Jurastudium gegeben, Psychologie hat mich schon immer interessiert.“ Eine ganz besondere Verantwortung sieht sie darin, die Menschen auf das Leben ’nach dem Knast’ vorzubereiten. Hier geht es darum, das soziale Umfeld zu sondieren, das Selbstbewusstsein zu fördern. „Eine unserer größten Herausforderungen, denn schon nach drei Jahren im Vollzug wissen die Menschen nicht mehr, wie es draußen zugeht. Wir sind darum sehr dankbar für ehrenamtliche Mitarbeiter, die Gefangene besuchen und sie auf ihrem Weg in ein straffreies Leben begleiten."
Daneben hat sich Ellinger fest vorgenommen, zusammen mit ihrer Mannschaft die Sanierung der JVA in Memmingen weiter voranzutreiben. „Das läuft alles gut, das ist mir schon bestens vorbereitet übergeben worden“, lobt sie die Arbeit ihres Vorgängers. Und die ihrer Mitarbeiter. Diese finden schon in der bislang kurzen Zeit der Zusammenarbeit nur positive Worte für ihre Chefin. „Weil sie nur zwei Tage in der Woche hier ist“, lacht Siegfried Wassermann, Dienstleiter der JVA Memmingen, und erklärt gleichzeitig, dass die Memminger JVA eben zu der Kemptner Einrichtung gehöre. Früher sei es andersrum gewesen, aber nach dem Bau der neuen Einrichtung im Oberallgäu hätten die Verantwortlichkeiten gewechselt.
Anja Ellinger begann ihre Vollzugskarriere im Jahr 2001 in der JVA Kaisheim. Danach war sie Abteilungsleiterin in der Justizvollzugsanstalt St. Georgen-Bayreuth und stellvertretende Anstaltsleiterin in Straubing.