
Memmingen (mg/as). Die Spielzeit 2013/2014 am Landestheater Schwaben wurde mit Gotthold Ephraim Lessings Drama "Nathan der Weise" eingeläutet. Im Zentrum des vor 230 Jahren in Berlin uraufgeführten Werks steht die viel beschworene, aber im Verlauf der Menschheitsgeschichte nie erreichte religiöse Toleranz. Ein Thema, das gerade heute, nicht zuletzt angesichts der religiös geprägten Bürgerkriege in den arabischen Ländern, brennende Zeitnähe aufweist.
Lessing siedelt sein Stück im mittelalterlichen Jerusalem an. Es ist die Zeit des Dritten Kreuzzuges, in Jerusalem herrscht Waffenstillstand. Als der jüdische Kaufmann Nathan von einer Geschäftsreise zurückkehrt, erfährt er von Daja, der Gesellschafterin seiner Adoptivtochter Recha, dass das Haus in seiner Abwesenheit brannte und ein junger, christlicher Tempelherr seine geliebte Tochter gerettet habe.
André Stuchlik spielt die Titelrolle des Nathan in einer unvergleichlich reifen Form. Die psychologische Vielschichtigkeit der Nathan-Rolle vermag Stuchlik mal mit leisen, mal mit nachdrücklichen oder auch ironischen Tönen und verhaltener Gestik wirkungsvoll zu artikulieren.
An seiner Seite sind Anke Fonferek als Daja sowie Josephine Bönsch als Nathans Adoptivtochter Recha ebenbürtige Darstellerinnen. Anrührend verkörpert Josephine Bönsch die mädchenhafte Schwärmerei Rechas für den Tempelherren, der sie aus dem brennenden Haus Nathans errettet hatte. Christian Müller, neu im Ensemble, stellt die Wandlung des zunächst kalt und schroff wirkenden jungen Tempelherrn zum sensiblen Feingeist - geleitet von seiner Liebe zu Recha und fasziniert von der Weisheit Nathans - überzeugend dar.
Dino Nolting verkörpert den Sultan Saladin, der kurz zuvor den Tempelherren begnadigt hatte, weil er seinem verstorbenen Bruder ähnelte. Auch diese, zunächst selbstherrliche, Figur wird durch die klugen, mit diplomatischem Geschick gewählten Worte Nathans zu Menschlichkeit und Toleranz bekehrt. Nathan trägt Saladin die Ringparabel vor, die eindringlich verdeutlicht, dass Christen- , Judentum und Islam eine gemeinsame Wurzel haben und dass deshalb keine dieser Religionen den Anspruch erheben darf, die bessere, die „gültigere“ zu sein.
Fridtjof Stolzenwald, der Patriarch, tritt als unerbittlicher Vertreter des Christentums in Jerusalem auf, der den Juden Nathan unbedingt brennen sehen will. Ein Kuriosum führt letztendlich zur Lösung des Konflikts. Der dem Patriarchen dienende zwar einfältige, aber grundehrliche Klosterbruder wird von Chris Urwyler mit einem verschmitzten Unterton trefflich dargestellt. Auch Michaela Fent als Saladins kluge Schwester Sitah zeigt vielschichtige Ausdruckskraft. In der Rolle des Derwisch Al Hafi überzeugt mit urwüchsigem Komödiantentum Matthias Wagner.
Die Inszenierung von Peter Kesten hält sich an die ursprüngliche Diktion, weshalb die Botschaft des Stücks glaubwürdig bleibt. Auch wenn das Bühnenbild, bestehend aus einer Hollywoodschaukel, einer Gartenlaube, Sofa nebst Campingtisch und allerlei Unrat, dem Publikum teilweise "grotesk" vorkam, so passt es doch zum Gesamtkonzept. Nach rund drei Stunden Spieldauer wurde die Premiere mit kräftigem Applaus gefeiert. Ein gelungener Auftakt der Spielzeit 2013/2014.
Weitere Vorstellungen am 5., 15., 17. und 30. Oktober. Kartenreservierung unter Tel. 08331/9459-16.