Wie leben jüdische Frauen heute in Deutschland?

Ausstellung des jüdischen Fotografen Rafael Herlich im Rathaus eröffnet

veröffentlicht am 19.10.2017

 "Ich bin Deutsche, ich bin Jüdin, ich lebe hier, ich feiere hier und bleibe hier. Kommt damit klar!", sagt die 40-jährige Karen Arons. Die Erzieherin lebt mit ihren drei Söhnen in Frankfurt, wo sie auch geboren wurde. Ihre Großeltern sind osteuropäische Holocaustüberlebende, ihre Eltern Israelis. "Antisemitismus ist wieder Realität in Frankfurt", erklärt Karen Arons, "man versteckt seine braunen Gedanken und Meinungen nicht mehr."  

Unser Vorschaubild zeigt Trude Simonsohn, die heute als Zeitzeugin in Schulen und Universitäten spricht. Repros: Sonnleitner

Memmingen (as). Die Ausstellung von 27 großformatigen Porträts jüdischer Frauen des Fotografen Rafael Herlich wurde nun im Rathaus eröffnet. Die Fotos sind Momentaufnahmen aus dem Leben jüdischer Frauen und Mädchen im heutigen Deutschland. Auch drei Zeitzeuginnen des Holocausts sind vertreten. Der aus Israel stammende und seit 1975 in Frankfurt am Main beheimatete Rafael Herlich sprach selbst zu den Gästen der Vernissage.

"Ich wäre so gern in Memmingen alt geworden", bekannte Lola Michaelis, geborene Guggenhheimer, die 2014 mit 101 Jahren starb. Als erste Überlebende der einstigen jüdischen Gemeinde besuchte die englische Krankenschwester i.R. 1998 ihre Heimatstadt Memmingen. Fotos: Sonnleitner

Wie leben jüdische Frauen heute in Deutschland?  - Die Porträts geben Einblick in völlig unterschiedliche Lebensentwürfe. Sie entstammen dem Bildband „Nashim“, auf den Claudia Fuchs, Frauenbeauftragte der Stadt Memmingen, zufällig bei einer Recherche im Internet aufmerksam wurde, woraufhin sie den Künstler nach Memmingen einlud. Begleitend zur Ausstellung liegt ein Flyer aus, in dem die Porträtierten über Biografisches hinaus ihre Gefühle, Gedanken und Lebenseinstellungen offenbaren.

Zusätzlich zu den 27 Porträts Rafael Herlichs sind im Rathausfoyer auf farbigen Stelen die Biografien von acht Frauen ausgestellt, die in Memmingen ihre Kindheit oder Jugend verbrachten und dem Holocaust nur entkamen, weil sie rechtzeitig in die USA, nach Schweden oder England emigrierten.

Tradition jüdischen Lebens in Memmingen

Bürgermeister Manfred Schilder wies auf die Tradition jüdischen Lebens in der Stadtgeschichte hin, die zunächst im Mittelalter beginnt und endet. Erst seit dem späten 19. Jahrhundert lebten wieder jüdische Familien in Memmingen - bis mit der Zerstörung der Synagoge am Schweizerberg im November 1938 die systematische Auslöschung der jüdischen Kultusgemeinde begann. 106 der jüdischen Einwohner Memmingens wurden während der Naziherrschaft ermordet.

Oberbürgermeister Manfred Schilder bedankt sich mit einem Bildband der Stadt Memmingen beim Künstler Rafael Herlich.

In diesem Zusammenhang verwies Schilder auch auf die weiteren Stolpersteine, die kürzlich verlegt wurden. “Das ist gut und wichtig so, wir müssen uns der Geschichte immer wieder bewusst werden und sie uns vor Augen führen“, so der Oberbürgermeister.

"Berührende zeitgeschichtliche Momentaufnahmen"

Der 1954 in Tel Aviv geborene Rafael Herlich habe als Chronist jüdischen Lebens in Deutschland mit seinen Porträts „unvergessliche, berührende zeitgeschichtliche Momentaufnahmen geschaffen“, würdigte Schilder den Künstler, der sich dann selbst ans Publikum wandte. „Mein Vater ist ein Holocaust Überlebende“, erklärte Herlich den Zuhörern. Er habe die Familie verlassen, weil er mit seiner Vergangenheit nicht fertig wurde und sie in sich verschloss.

Orly Herlich, Die Tochter des Künstlers, wanderte nach dem Abitur nach Israel aus, um das Land ihres Vaters kennen zu lernen. Vor zwei Jahren ging sie zum israelischen Militär "um dem wundervollen Land etwas zurück zu geben".


Selbstbewusst und stolz

Die Porträts des Sohnes Rafael Herlich jedoch tragen sichtbar den Grundtenor von Hoffnung, Stärke, Selbstbewusstsein und Stolz auf die eigene Kultur. Porträtiert hat er neben Zeitzeuginnen Frauen im Berufsleben und als Soldatinnen( der Bundeswehr und des israelischen Militärs), Makkabi- Sportlerinnen, Studentinnen und Schülerinnen.

"Die jüdische Tradition in Deutschland geht weiter", so Herlich, der sich auch als Aufklärer versteht: Seit Jahren reist der Fotograf durch Deutschland und spricht vor allem in Schulen, in denen jüdische Kinder heute wieder verstärkt gemobbt werden, über Rassismus und Antisemitismus.

Musikalisch stimmig umrahmt wurde die Vernissage von Günter Schwanghart auf der Klarinette.

Die Ausstellung ist bis 2. November im Rathaus zu sehen. Das Rathaus ist Montag  bis Donnerstag von 8 Uhr bis 17 Uhr, Freitag von 8 Uhr  bis 13 Uhr geöffnet. Am 1. November ist das Rathaus geschlossen. Sonderöffnungszeiten nach Vereinbarung.

Info: Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt mit der vhs Memmingen, der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft, der Frauengeschichtswerkstatt Memmingen e.V., dem Stadtarchiv und dem Kulturamt der Stadt Memmingen.

Weitere Veranstaltungen. Am Sonntag, 22. Oktober, um 11 Uhr und am Donnerstag, 26. Oktober, um 14 Uhr veranstaltet das Stadtmuseum Memmingen (Zangmeisterstraße 8, Eingang Hermansgasse) kostenlose Führungen durch die jüdische Abteilung.

Eine Spezialführung zum jüdischen Leben in Memmingen bietet Stadtführerin Sabine Streck am Sonntag, 29. Oktober von 14 bis 15:30 Uhr an. Treffpunkt ist der Brunnen am Marktplatz. Die Führung kostet fünf Euro.