"Wir stehen vor gigantischen Herausforderungen"

Kritische Töne beim digitalen Neujahrsempfang der IHK Schwaben

veröffentlicht am 21.01.2022

Hauptredner beim digitalen Neujahrsempfang der IHK Schwaben war Prof. Klaus Josef Lutz, Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages (BIHK) und Vorstandsvorsitzender der BayWa. Screenshot: Sonnleitner

Schwaben (as). Rund 600 Teilnehmer waren zugeschaltet beim digitalen Neujahrsempfang der IHK Schwaben. In seine Begrüßung bescheinigte Dr. Andreas Kopton, Präsident IHK Schwaben, der schwäbischen Wirtschaft eine „erstaunlich hohe Widerstandkraft“: Die befürchtete Insolvenzwelle sei bislang ausgeblieben. Der Konjukturindex befinde sich auf dem Niveau von vor Corona. „Zumindest im Durchschnitt schaut es gut aus, es gibt allerdings auch viele Ausreißer“, so Kopton. Viele Unternehmen litten nach wie vor stark unter den von der Regierung verhängten Maßnahmen. Kritik an der Brüsseler Regulierungswut stand im Zentrum der Rede von Keynote-Sprecher Prof. Klaus Josef Lutz.

"Wirtschaften heißt, mit knappen Ressourcen umzugehen", erklärt Andreas Kopton. Eine künstliche Verknappung hat die Energieversorgung der Region erfahren: Schwaben als Produktionsstandort sei auf eine sichere und zuverlässige Energieversorgung angewiesen, kritisierte er die Abschaltung des Atomkraftwerks in Gundremmingen. „Mit Atomstrom aus Frankreich werden wir das vermutlich hinbekommen. Auch wenn das nicht im Sinne des Erfinders ist", so Kopton.

"Immenser Fachkräftemangel"

Als eine der größten Herausforderungen bezeichnete der Präsident der IHK Schwaben den immensen Fachkräftemangel. „Bis 2030 werden rund 70.000 Fachkräfte fehlen, die aus dem Ausland akquiriert werden müssen.“ Dafür sowie für die Anerkennung und den Abgleich beruflicher Qualifikationen aus den Herkunftsländern brauche man ein gutes, wettbewerbsfähiges Programm, mahnt Kopton an.

Auch bayernweit gebe es bis 2030 ein gewaltiges Defizit in Hinblick auf Facharbeiter und Nachwuchskräfte, betont Hauptredner Prof. Klaus Josef Lutz, Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages (BIHK), in seinem Vortrag. „Wenn wir die bis zu 1,4 Millionen zusätzlichen Arbeitskräfte nicht bekommen, die wir für die bayrische Wirtschaft benötigen, dann werden wir einen Wohlstands- und Produktivitätsverlust erleiden“, warnt Lutz, der auch Vorstandsvorsitzender der BayWa ist. Das Potenzial an Wirtschaftswachstum und Gestaltung gerate in den nächsten Jahren gewaltig unter Druck.

Viele zusätzliche Regularien aus Brüssel

Eine gigantische Herausforderung, auch für die Verbandspolitik der IHK, sei, dass mittlerweile 95 Prozent der Gesetze, die Unternehmen betreffen, aus Brüssel kommen. Viele zusätzliche Regularien seien von dort zu erwarten. "Die Wirtschaft könnte noch stärker administrativ und bürokratisch unter Druck kommen mit erheblichen Kosten für die Gesellschaft und für die Unternehmer“, befürchtet Lutz. Als Beispiel nannte er die Sustainable Finance Discloure Regulation (SFDR) der EU, ein Instrument, dass transparent machen soll, wie Finanzmarktteilnehmer Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen in ihre Investmententscheidungen und -empfehlungen integrieren. Die SFDR werde unmittelbare Auswirkungen auf das tagtägliche Geschäft haben und auf die Frage der Finanzierbarkeit von Geschäftsmodellen.

"Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft zu ineffizient"

So dürften klassische analoge Geschäftsmodelle, die man in Brüssel als „dirty business“ bezeichnet, nicht mehr gefördert werden, erläutert der BIHK-Präsident. Die ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, verantwortungsvolle Unternehmensführung) würden bei der Vergabe von Krediten in Zukunft eine Rolle spielen. „Ein Wust von Bürokratie und Administration kommt auf uns zu", befürchtet Lutz. Er betont, dass die Wirtschaft sich dem energiepolitischen Wandel keineswegs verschließe, gab jedoch zu verstehen, dass die Vorgaben der Europäischen Kommission und der Regierung oft an der Realität vorbeigehen: „Nicht nur in Brüssel, auch in Berlin haben wir ein Defizit an wirtschaftspolitischer Kompetenz – die allerwenigsten verstehen Unternehmer und Menschen, die Arbeitsplätze schaffen und sichern, die innovative Geschäftsmodelle entwickeln und die Wirtschaft am Laufen halten“, bemängelt der Jurist und Wirtschaftsmanager. Die Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft müsse effizienter werden.

100 Milliarden Euro jährlich für die Dekarbonisierung

Zu den gewaltigen Herausforderungen der kommenden Jahre mit einem Investitionsbedarf von voraussichtlich 100 Milliarden Euro jährlich bis 2030 gehört die Dekarbonisierung. Die Energiewende biete auch Chancen und Potenziale für Unternehmer, „Neues zu entwickeln und unseren Teil für die Gesellschaft zu leisten“. Aber wir brauchen auch Berechenbarkeit und vernünftige, verlässliche Spielregeln“, fordert Lutz, der die Transformation der Wirtschaft im Zuge des Green Deal nicht an einer politischen Ideologie verortet, sondern im Sinne von Umbau, Weiterentwicklung und Schutz der Wirtschaft, der Arbeitsplätze und der Umwelt verstanden wissen will. „Die Berechenbarkeit und Verlässlichkeit des Staates gegenüber der Wirtschaft spielt eine entscheidende Rolle bei der Frage, wann, wo und in welche Technologie ich als Unternehmer investieren möchte.“

"Wirrwarr an Kompetenzen und Zuständigkeiten"

Stattdessen sehe man sich mit einem Wirrwarr an Kompetenzen und Zuständigkeiten konfrontiert (immerhin gibt es allein in Deutschland 70 verschiedene, für die Energiewende zuständige, Ministerien und Behörden auf Bund- und Länderebene, Anm. der Red.).

Akut angegangen werden müsse die Strompreisentwicklung, die für viele Industriesektoren kaum zu erwirtschaften sei. „Deutschland ist nun mal ein Exportland“, gibt Lutz zu bedenken.

Großer Nachholbedarf bei Digitalisierung

Dringend verbesserungsbedürftig sei die flächendeckende Digitalisierung, hier hinke Deutschland im europäischen Vergleich gewaltig hinterher. „Allerdings nutzen auch Unternehmer die Potenziale der Breitbandtechnologie oft nicht", sieht er auch die andere Seite.

Führend sei Deutschland allerdings im internationalen Vergleich, was die steuerliche Belastung von Kapitalgesellschaften betrifft. „Angesichts der Pandemiefolgen und notwendiger Investitionen beim Umbau der Wirtschaft und in neue Technologien ist darüber nachzudenken, ob nicht eine Gesamtsteuerreform für Unternehmer und Kapitalgesellschaften unabdingbar wäre“, schlägt Prof. Lutz vor.

Sein Fazit: "Die Herausforderungen sind gewaltig, die Chancen großartig - wenn wir sie ergreifen dürfen. Das hängt sehr stark von den Regularien ab, die aus Brüssel kommen.“