„Andere Menschen fühlen“

Neues Intendanten-Duo stellt Programm für die kommende Spielzeit vor

veröffentlicht am 12.04.2022

Die neue künstlerische Leiter des Landestheaters Schwaben Christine Hofer (links) und Alexander May stellten nun gemeinsam mit der Leiterin des Jungen Landestheaters Claudia Hoyer (Mitte) das Programm für die neue Spielzeit 2022/23 vor. Foto: Sonnleitner

Memmingen (as). Mit den Regisseuren Christine Hofer und Alexander May übernimmt erstmals ein Tandem die künstlerische Leitung des Landestheaters Schwaben zur kommenden Spielzeit - vorerst für zwei Jahre. Wie berichtet, wechselt Dr. Kathrin Mädler, deren leidenschaftliches und sehr politisches Theater überregional Aufmerksamkeit erregt hat, zum Theater Oberhausen. In einer Pressekonferenz stellten Hofer und May nun gemeinsam mit der Leiterin des Jungen Landestheaters Schwaben, Claudia Hoyer, das Programm für die neue Spielzeit 2022/23 unter dem Motto „Andere Menschen fühlen“ vor.

Mann-Frau, Ost-West: Die neue Doppelspitze scheint sich auch gut zu ergänzen, was ihre Prioritäten und Inhalte für die neue Spielzeit betrifft. Beide haben einen reichen Fundus an Regie- und Leitungserfahrung im Gepäck. Die in Brandenburg geborene freie Regisseurin Christine Hofer studierte Regie in Berlin und arbeitet seit ihrem Abschluss 2005 als freie Regisseurin deutschlandweit erfolgreich an verschiedensten Bühnen. Zuletzt war sie Leiterin der Sparte Kinder- und Jugendtheater am Landestheater Eisenach.

Das Schaffen des in Trier geborenen freien Regisseurs Alexander May reicht von Theaterleitung über Schauspiel- und Opernregie, Hörspiel, Musical bis hin zu Großveranstaltungen wie das Kaltenberger Ritterturnier. Seit September 2021 ist May außerdem Intendant der Burgfestspiele Mayen.

„Das war ein ungewöhnlich harmonischer Wechsel, wir übernehmen ein toll funktionierendes Haus mit hochinteressantem Programm“, erzählt Christine Hofer bei der Pressekonferenz. Gemeinsam mit Alexander May will sie eigene Impulse setzen, ins gemachte Bett legen wollen die beiden sich nicht – und das können sie auch gar nicht, da Dr. Kathrin Mädler bei ihrem Wechsel ans Stadttheater Oberhausen den Großteil des Ensembles mitnimmt. Bevor die Proben losgehen, müssen also zunächst neue Darsteller gesucht werden. „Doch zu zwei Dritteln sind wir schon durch mit der Besetzung“, verrät Hofer. Namen wollen die beiden noch nicht nennen - ein Grund mehr, auf das Theaterfest am 29. September gespannt zu sein, denn dann werden die neuen Schauspieler vorgestellt.

Schon mal am Start für den Aufbruch in die neue Spielzeit: Das Intendanten-Duo Christine Hofer und Alexander May.

„Andere Menschen fühlen“

Das Motto „Andere Menschen fühlen“ ist vieldeutig, es steht für Empathie, bringt aber auch die Freude darüber zum Ausdruck, dass man sich nach coronabedingtem Abstandsgebot wieder nahe kommen kann ­­– "und es soll einen Brückenschlag darstellen, der die gesellschaftliche Spaltung überwindet", erklärt Christine Hofer. „Wir müssen uns selbst spüren, um klare Haltungen einnehmen zu können. Wer sich selbst im Kontext der Welt spürt, ist auch in der Lage, sich zu positionieren“, betonen Hofer und May.

Der neue Spielplan

Auf dem Programm stehen elf Premieren (siehe unten), jeweils zwei davon werden Christine Hofer und Alexander May selbst inszenieren. Neben großen Klassikern werden ein Musical sowie eine eigens für das LTS geschriebene Uraufführung mit Bezug zur Region aufgeführt. Außerdem kooperiert das LTS für das Projekt „Alles muss sich ändern – Jetzt!“ mit Studierenden der Bayerischen Theaterakademie August Everding München, der Universität der Künste Berlin und der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg in Ludwigsburg.

Junges Landestheater Schwaben

Das bereits etablierte Theater für Kinder und Jugendliche am Schweizerberg geht im Herbst in die erste eigene Spielzeit. Neben zwei bereits bekannten Stücken gibt es zwei neue Produktionen, die sich mit Toleranz und der Suche nach der eigenen Identität beschäftigen (siehe unten). Bestehende Partnerschaften und Kooperationen mit Schulen sollen weiter ausgebaut werden.

Bürgerbühne Schwaben

Auch hier werden die Angebote erweitert. Geplant sind vier Spielclubs für die Altersklassen ab zehn Jahren, ab 15 Jahren, 25 bis 99 Jahre und 60 bis 101 Jahre. Außerdem gibt es tageweise verschiedene Werkstätten („Stadt-Abenteuer“, „Rhythmus-Reise“ und „Figuren-Expedition“).

Weitere Formate und Extras

Bei Matineen mit Frühstück gibt es künftig Hintergrundinformationen, Ausschnitte und Diskussionsanregungen vor anstehenden Premieren.

In der Schwabenbox stellen sich Ensemblemitglieder und Mitarbeitende dem Publikum mit Musik, Anekdoten und persönlichen Lieblingstexten vor.

In der neuen Reihe „Raus aus dem Depot“ hebt das LTS literarische Schätze und bringt unter besonderen Regeln einen „Transit“ auf die Bühne. In jeder Spielzeit steht ein anderer Klassiker im Fokus (diesmal Goethes „Werther“). Das Theater arbeitet dabei zu 99 Prozent mit dem Originaltext sowie einem Spielensemble von maximal vier Personen und stellt einen Aspekt des Werks im historischen Kontext dar.

In der Rubrik „Zeit für Poeten“ finden in regelmäßigen Abständen auf der Foyerbühne Erzählformate vom Poetry Slam bis zu Kurzgeschichtendarbietungen statt.

Das bewährte Format „Theater und Kirche“ in Kooperation mit der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Martin und der katholischen Pfarreiengemeinschaft Memmingen wird weitergefürt. Dabei gestalten die Kirchengemeinden zu ausgewählten Produktionen aus dem Spielplan Gottesdienste.

Auch die „Touch Tours“ , bei denen blinde, sehbehinderte und seheingeschränkte Menschen die Möglichkeit haben, sich vor ausgewählten Vorstellungen mit dem Bühnenbild und den Kostümen vertraut zu machen, werden weiter angeboten.

Logo und Illustrationen

Als gelernter Steinbildhauer beschäftigt Alexander May sich gerne mit Fragmenten, die sich im Kopf zusammenfügen – so auch das Logo: Es zeigt den bekannten Stern in neuer Dynamik: strahlenförmig und aufgebrochen in zwei sich ergänzende Teile.

Diesen Charakter haben auch die Illustrationen zu den einzelnen Stücken in den Vorankündigungen und im Spielzeitheft: An Stelle der gewohnten Grafiken sind nun Fotoassoziationen entstanden, die vom Illustrator mit eigenen Ideen vollendet wurden.

Das neue Programm für die Spielzeit 2022/23 im Überblick

Inszenierungen im Großen Haus:

Eröffnet wird die Spielzeit mit der Shakespeare-Komödie WIE ES EUCH GEFÄLLT. Die Welt im Wald steht Kopf, Frauen sind Männer und Narren die Herren und Shakespeare lässt sie alle ein wahres Fest der Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit feiern. Inszenieren wird den Abend Regisseurin Johanna Schall, die der großen Theaterfamilie Brecht entstammt und zum ersten Mal in Memmingen inszeniert. (Premiere: Oktober 2022)

KASIMIR UND KAROLINE ist Christine Hofers erste Regiearbeit am Landestheater Schwaben. In dem Volksstück beschreibt Ödön von Horvath eine Gesellschaft, in der die soziale Spaltung immer stärker sichtbar wird. Horvath lässt die tiefe Liebe seiner Protagonisten Kasimir und Karoline mit teils komödiantischen Mitteln an der harten Realität scheitern. Das Stücks, das auf einem Rummelplatz angesiedelt ist, fällt passenderweise in die Memminger Jahrmarktszeit. (Premiere: Oktober 2022)

BRIGITTE BORDEAUX wird mit Musik von Tom van Hasselt in Inszenierung von Alexander May als Musical aufgeführt. Von heute auf morgen beschließt Winzer Herbert, eine Frau zu sein. Er nennt sich Brigitte und verkündet obendrein seine Kandidatur zur Wahl der Weinkönigin. Die großartige Geschichte, in der eine traditionelle Dorfgemeinschaft auf die Probe gestellt wird, sagt Vorurteilen und Mobbing den Kampf an. (Premiere: Dezember 2022)

In DER REIGEN von Arthur Schnitzler trifft die Dirne den Soldaten und dieser in Folge das Stubenmädchen, welches wiederum ein Rendezvous mit dem jungen Herrn nicht ausschlägt … und so setzt sich der Reigen von Liebesabenteuern fort. In einem Karussell der Triebe treibt Schnitzler seine Figuren durch alle Gesellschaftsschichten und Konventionen. Das große Ringen um den Augenblick Menschlichkeit wird von Christine Hofer inszeniert. (Premiere: März 2023)

Bei Ferdinand von Schirachs Stück TERROR wird die Bühne zum Gericht. Zur Verhandlung: Der Fall eines Kampfpiloten, der 164 Menschen an Bord eines entführten Passagierjets tötete. Das Motiv: Die Rettung eines vollbesetzen Fußballstadions, auf das das entführte Flugzeug stürzen sollte. Von den Zuschauer*innen ist ein Urteil zu fällen: Darf man Leben gegen Leben aufwiegen? Und wer darf diese Entscheidung treffen? Die Inszenierung übernimmt Bettina Rehm. (Premiere: März 2023)

ORLANDO: Dass der Held eines Romans nach hundert Seiten als Heldin aufwacht ist ein literarischer Paukenschlag, den es vor Virginia Woolfs fiktiver Biographie ORLANDO (1928) noch nicht gegeben hat. Enthoben dem normal-sterblichen Alterungsprozess durchlebt, durchliebt, durchleidet Orlando die Jahrhunderte. Regie führt das Theaterkollektiv um Martin Clausen. (Premiere: Mai 2023)

Inszenierungen im Studio:

TRANSIT WERTHER ist der erste Klassiker der neuen Reihe RAUS AUS DEM DEPOT. Wie kein anderes Werk von Goethe zieht DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS gerade junge Menschen in den Bann, vielleicht auch weil Werther einer der einsamsten Menschen ist, die in der Literatur erfunden wurden. Angesichts der Härten die die notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie mit sich brachten, bietet das Schicksal Werthers, erstaunlich aktuelle Bezüge und regt an, über diesen schweren inneren Konflikt in den Diskurs zu gehen. (Premiere: Oktober 2022)

Die Komödie DER VORNAME von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière handelt leichtfüßig und voller Wortwitz von Political Correctness, Freundschaft und menschliche Abgründe. Auf einer Familienfeier lässt Vincent die Bombe platzen: Sein noch ungeborener Sohn soll Adolphe heißen! Eine hitzige Debatte entsteht, ob man ein Kind wie Hitler nennen darf. Und das ist erst der Anfang einer irrwitzigen Höllenfahrt... Regie führt Jan Friedrich Eggert. (Premiere: Dezember 2022)

Die Münchner Autorin Nora Schüssler schreibt für das Landestheater Schwaben ENDE IN LACHEN (UA), ein Stück „übers Alt werden“. Die Kinder einer Allgäuer Arztfamilie sind längst erwachsen und in ferne Großstädte gezogen. Als bei Vater Friedrich Parkinson diagnostizierter wird ändert sich alles. Seine Frau Maria übernimmt die Pflege, ist aber alleine bald überfordert. Die Familie steht vor der Frage: Was wird nun werden? Regie führt Stephan Rumphorst. (Premiere: Januar 2023)

Heiner Müller schrieb QUARTETT in Anlehnung an den Briefroman GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN von Choderlos de Laclos. Der Zeitvertreib der Marquise de Merteuil und ihrem einstigen Liebhaber Vicomte de Valmont besteht aus Rollenwechseln, verbalen Machtkämpfen sowie dem sich Erinnern an vergangene Intrigen. Die bis aufs Blut Verfeindeten konkurrieren im Akt der Grausamkeit und entfachen ein gefährliches Spiel. QUARTETT wird von Alexander May inszeniert. (Premiere: März 2023)

ALLES MUSS SICH ÄNDERN – JETZT! (UA) ist ein szenisches Projekt mit jungen Regisseur*innen und Autor*innen verschiedener Kunst- und Theaterakademien. Hitzewellen, Hochwasser und Waldbrände: Wir hinterlassen der nachfolgenden Generation eine unumkehrbare Katastrophe und beruhigen uns mit Bezeichnungen wie: „Klimawandel“, „Klimakrise“, „Erderwärmung“. Junge Studierende stellen sich diesem brisanten Thema und rücken Fragen in den Focus eines Theaterabends, für die es noch keine befriedigenden Antworten gibt. (Premiere: Juni 2023)

Inszenierungen am Jungen Landestheater Schwaben:

Das Stück des Autors Olivier Sylvestre DAS GESETZ DER SCHWERKRAFT (14 +) ist ein Plädoyer für ein offene diverse Gesellschaft. Oben auf der Klippe treffen sich Dom und Fred. Sie werden Freunde und stellen sich gemeinsam der Aufgabe des Erwachsenwerdens und der Suche nach sich selbst. Die glitzernde Stadt am anderen Ufer wird ihr Sehnsuchtsort. Dort wollen Sie gemeinsam hin - Hand in Hand über die Brücke, die ihr Ausweg ist. (Premiere: Oktober 2022)

ASCHENPUTTEL (5 +) ist das Familienstück 2022/2023. Die Geschichte des armen Mädchens, das vor dem Ofen in der Asche schlafen muss und letztendlich doch heimlich den Ball des Prinzen besucht, ist vermutlich eines der bekanntesten Märchen der Brüder Grimm. Die sehr musikalische Fassung von Britta Schreiber stellt ein selbstbewusstes Mädchen in den Fokus, dass sich mit viel Humor und Solidarität den Weg in die Freiheit erkämpft. (Premiere: November 2022)

WIE DER WAHNSINN MIR DIE WELT ERKLÄRTE (10 +), nach dem Jugendbuch von Dita Zipfel, hat mit Lucie Schmurrer eine mutige junge Heldin im Zentrum, die einsteht für das, was sie will und der es gelingt, im Chaos der Welt ihre eigene Wahrheit zu finden. Zugleich ist es die Geschichte einer modernen Familienstruktur, in der nicht immer alles glatt läuft, sich die Menschen aber mit viel Liebe begegnen und immer geborgen wissen. (Premiere: Februar 2022).

Die Neuproduktionen werden ergänzt durch Wiederaufnahmen aus dem Repertoire des Jungen Landestheaters Schwaben: DIE BESTE KUH DER WELT (UA) (3+) und ALS DIE BOHNE ACHTERBAHN FUHR (UA) (8+).