"Bürgerbeteiligung statt Fremdbestimmung"

Initiative Bf/4 setzt auf Neuplanung des Bahnhofsareals mit Bürgerbeteiligung

veröffentlicht am 16.05.2019

Franziska Mamitzsch und Jakob Gutermann (links), die Sprecher der Bürgerinitiative "Zukunft Bf/4 - Zukunftsfähiges Bahnhofsareal", mit ihren Gästen: Architekt und Städteplaner Ralf Bauer aus Biessenhofen (rechts) und dem Memminger Architekten Alexander Nägele (2.v.li.). Foto: Sonnleitner

Memmingen (as). Der 26. Mai ist auch für die Stadt Memmingen eine Art Schicksalswahl: Dann stimmen die Bürger über die Zukunft des Bahnhofsareals ab. Unter dem Motto „Jetzt richtig planen statt 100 Jahre Frust“ legte die Initiative "Zukunft Bf/4 - Zukunftsfähiges Bahnhofsareal - Wir fordern Mitbestimmung!" nun vor gut 200 Zuhörern im Foyer der Stadthalle ihre Argumente für eine neue Planung des Bahnhofsareals dar und erläuterte die Kritik der Bürgerinitiative am Investorenprojekt.

Mit so viel Zulauf hatten Franziska Mamitzsch und Jakob Gutermann, die Sprecher der Bürgerinitiative "Zukunft Bf/4 - Zukunftsfähiges Bahnhofsareal" nicht gerechnet: Um die gut 200 interesseierten Besucher/innen unterzubringen, musste man vom Konferenzraum ins Foyer der Stadthalle ausweichen. Dort legte Franziska Mamitzsch anhand der Entwürfe des Investors Ten Brinke und eigener Gegenentwürfe die Argumente des Bürgerbegehrens anschaulich dar.

"Verkehrsberuhigung statt -kollaps"

Die Fläche des XXL-Supermarktes, eingezeichnet auf einer Grafik von Ten Brinke.

Ein Kernpunkt der Kritik am jetzigen Entwurf ist der geplante Gebäuderiegel in der Bahnhofstraße. Hier befinden sich die Ein- und Ausfahrten des XXL Supermarktes und eine Tiefgarage mit über 300 Stellplätzen. Der Supermarkt sei mit einer Gesamtfläche von über 2.500 Quadratmetern nicht nur völlig überdimensioniert, er ziehe zudem noch mehr Verkehr in die Innenstadt, so Mamitzsch, und die Verkehrssituation in der Bahnhofstraße sei auch jetzt schon unbefriedigend: „Hier wäre er eine Verkehrsberuhigung wünschenswert.“

Lebendiger Bahnhofsplatz

Städtebaulich gesehen mache der massive Gebäuderiegel einen abweisenden Eindruck. „Die Planung darf nicht an der Bordsteinkante aufhören“, erklärte die Bf/4-Sprecherin, auch das Umfeld müsse mit einbezogen werden. Statt einer Verriegelung durch den Gebäudeblock könne man hier die Altstadt zum Bahnhof hin öffnen, so dass ein durchgängiges Portal und ein attraktiver Stadteingang zur historischen Innenstadt, aber auch zum Memminger Osten entstünde. Der Gegenentwurf der Initiative zeigt einen lebendigen Bahnhofsplatz, der nicht nur für Ankommende und Abreisende attraktiv wäre und auch die MEWO Kunsthalle mit einbezieht.

Ein weiteres großes Manko sieht die Initiative in der derzeitigen Wohnraumplanung: In dem 7.500 Quadratmeter großen Viertel zwischen Bahnhofstraße, Heidengasse, Kalch- und Maximilianstraße sollen nur 60 Wohnungen entstehen. Zwar habe der Stadtrat hier nachgebessert (die ursprüngliche Planung sah nur neun Wohnungen vor), doch in Anbetracht des Wohnungsmangels reiche die Planung nicht aus. „Lebendig wird ein Wohnquartier durch seine Bewohner und nicht durch Büroflächen“, gibt Mamitzsch, die auch Vorsitzende des Soziokulturellen Vereins Memmingen ist, zu bedenken.

„Lieber jetzt richtig planen statt 100 Jahre Frust“

Visionen: Als Flaniermeile stellen sich die Initiatoren des Bürgerbegehrens die Bahnhofstraße vor. Grafiken: Bf/4

„Lieber jetzt richtig planen statt 100 Jahre Frust“, appellierte sie an die Zuhörer. „Memmingen ist stolz auf seine schöne Altstadt, darum wollen wir jetzt ein Viertel entwickeln, auf das wir auch wieder stolz sein können. Denn was jetzt gebaut wird, bleibt.“ Da lohne es sich, ein paar zusätzliche Jahre der Planung zu investieren, nachdem schon viele Jahre zuvor ungenutzt ins Land gegangen seien: „Das Bahnhofsviertel ist nicht erst seit gestern ein Scherbenhaufen“, entgegnete Mamitzsch auf die Kritik, die Initiative bremse die Stadtentwicklung.

„Wir wünschen uns ein Viertel das funktioniert und der Stadt guttut.“ Die enorme Bodenwertsteigerung, die mit der Sanierung und Entwicklung des Bahnhofsareals verbunden sei, müsse vor allem der Stadt Memmingen und ihren Bürgern zugutekommen „und nicht externen profitorientierten Investoren“.

"Intensive Bürgerbeteiligung statt Fremdbestimmung"

Platz zum Verweilen: So könnte der Bahnhofsvorplatz neben der MEWO-Kunsthalle aussehen.

Aus diesem Grund plädiert die Initiative für eine intensive Bürgerbeteiligung (z.B. durch Workshops) statt Fremdbestimmung. „Öffentliche Stadtratssitzungen und Infoveranstaltungen sind noch keine Bürgerbeteiligung“, kritisierte die junge Frau das bisherige Vorgehen von Stadt und Stadtrat.

Ein Stadtplanungs- anstatt eines Investorenwettbewerb, auch unter Einbeziehung eines Gremiums aus externen Fachleuten, ist das Ziel des Bürgerentscheids. „Wir wollen Stadtentwicklung als partizipativen Prozess, auch wenn das lästig ist, damit kein zweites Maxi-Center entsteht", betonte Mamitzsch.

"Fundierter Architektenwettbewerb"

„Eine historische Altstadt braucht Qualität und die entsteht über einen fundierten Architektenwettbewerb“, erklärte der Architekt und Städteplaner Ralf Bauer aus Biessenhofen. „Wenn ein Investor ohne Vorgaben plant, ist das Ergebnis eher Zufall“, sagte er in Bezug auf die aktuelle Planung. Seiner Ansicht nach schreie das Quartier nach einer Städtebauförderungsmaßnahme wie ISEK, wo die Probleme und Möglichkeiten analysiert und zwischen Fachleuten und Bürgern diskutiert würden. Dies sei allerdings der steinigere Weg, doch habe die Stadt Memmingen ja reichlich Erfahrung mit Stadtentwicklungsprozessen und Quartiersentwicklung.

"Mit gleicher Qualität bauen"

Der Blick des Memminger Architekten Alexander Nägele geht von der einzelnen Parzelle aus: Anhand von Beispielen wie dem von der Siebendächer Baugenossenschaft neugestalteten Memminger Kronenareals zeigte er auf, dass durch eine uneinheitliche, kleinteilige Planung mit unterschiedlichen Häuserformen und -größen Charakter und Atmosphäre einer gewachsenen Altstadt erhalten blieben. Anstatt auf Stadtzeilenbebauung in Form von Wohnblöcken innerhalb einer Altstadt zu setzen, könne man auch "mit gleicher Qualität bauen", dies sei allerdings handwerklich aufwendiger und darum teurer.

In der anschließenden Diskussion ging es unter anderem um formal rechtliche Fragen zu Investoren- und Architektenwettbewerb. "Wie ist es in Kaufbeuren mit Ten Brinke gelaufen", wollte ein Zuhörer wissen. Hier habe Ten Brinke das Projekt von einem anderen Investor übernommen, erklärte Jakob Gutermann und es nach Fertigstellung weiterverkauft. „Wenn wir dieses große Stück Altstadt an einen Investor vergeben, bedeutet das Kontrollverlust für immer“, so Gutermann.

Nägele gab zu bedenken, dass der Fokus von Ten Brinke außerdem nicht im Wohnbau liege: Der Investor, der naturgemäß eher Profit als Qualität im Auge habe, sei im Gewerbebau spezialisiert.

Der „Faktencheck zum Faktencheck“

Zur aktuellen Diskussion zwischen den Befürwortern des Rats- und des Bürgerbegehrens wiesen die Sprecher der Bürgerinitiative auf ihren aktuell erarbeiteten „Faktencheck zum Faktencheck“ hin, das ist die Antwort der Bf/4-Initiative auf die Kritik der Befürworter des Ratsbegehrens, die sich am Flyer der Bürgerinitiative entzündet hatte.

Diesen "Faktencheck" der Stadtratsfraktionen von CRB, CSU, Freie Wähler und SPD/FDP, die sich zum Bündnis „Lebendiges Bahnhofsquartier“ zusammengeschlossen haben, können Sie hier einsehen: https://www.lokale-mm.de/news/b%C3%BCndnis-lebendiges-bahnhofsquartier/

Die Antwort der Bürgerinitiative Bf/4 hierauf, also den "Faktencheck zum Faktencheck", finden Sie unter https://www.bahnhofsareal-memmingen.de/faktencheck-zum-faktencheck-bahnhofsareal/