„Der Markt öffnet sich weltweit“

Bilanz nach einem Jahr Freigabe von Cannabis als Medizin

veröffentlicht am 14.03.2018

Seit genau einem Jahr können Ärzte medizinisches Cannabis verordnen. Wenzel Cerveny, Gründer des Cannabis Verband Bayern (CVB), zog bei einem Vortrag im Hotel Rohrbecks Bilanz. Foto: Sonnleitner

Memmingen (as). Seit dem 10. März 2017 können Ärztinnen und Ärzte Cannabisblüten oder -extrakt in pharmazeutischer Qualität verschreiben. Was hat sich seither für die Patienten verbessert und gegen welche Krankheiten hilft die Pflanze überhaupt? Wenzel Cerveny vom Cannabis Verband Bayern (CVB) zog bei einem Vortrag im Hotel Rohrbecks vor spärlichem Publikum Bilanz.

Die Freigabe von Cannabis als Medizin für Schwerkranke auf Krankenschein vor genau einem Jahr sei der erste richtige Schritt, um den Rohstoff Hanf aus der „Schmuddelecke“ zu holen, so Wenzel Cerveny. „Das Gesetz ist ein Meilenstein“. Immerhin hätten die Krankenkassen im letzten Jahr die Kosten für 13.000 Patienten übernommen - „das ist weltweit einzigartig“.

Doch in Deutschland benötigen bis zu 1,6 Millionen Menschen eine auf Cannabis basierte Medizin. Nach wie vor hätten die Mediziner Angst, als „Kiffer-Ärzte“ abgestempelt zu werden, wenn sie Cannabis verschreiben. „Es gibt sogar eine schwarze Liste“, informiert der Referent und Gründer des CVB. Und viele Krankenkassen weigern sich, die Kosten zu übernehmen.

Laut Gesetz müssen die Krankenkassen bei schwerwiegenden Erkrankungen, bei denen andere Therapieoptionen ausgeschöpft sind, für die Kosten für Cannabis aufkommen. Doch das Gesetz ist noch relativ neu ist, viele Patienten und Ärzten wissen nicht, wie eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen erreicht werden kann. Und die Beantragung ist ein langwieriger Prozess. Eine weitere Hürde ist die noch unzureichende Bevorratung der Apotheken, da es immer wieder Lieferprobleme gibt.  

Wie wirkt Cannabis auf den Organismus?

Cannabis besitzt laut Cerveny, der in München einen Hanf-Laden betreibt, eine relativ hohe therapeutische Breite. 80 verschiedene Sorten von Cannabisblüten und -extrakten sind bislang offiziell zugelassen. „Nicht jede Sorte wirkt bei jedem gleich, man muss die richtige Pflanze finden“, räumt Cerveny ein.

Da die Forschung in Deutschland 80 Jahre lang verboten war, steckt sie hierzulande noch in den Kinderschuhen. Erwiesen ist: Die Cannabinoide THC und CBD sind wichtige Inhaltstoffe der Hanfpflanzen, für die der menschliche Körper Rezeptoren hat. Während THC berauschend wirkt, ist CBD nicht psychoaktiv und wirkt entkrampfend, entzündungshemmend, angstlösend und gegen Übelkeit.

CBD und THC sind eine große Hilfe für Schmerzpatienten. In unterschiedlichen Zusammensetzungen wirken sie bei Migräne, bei Angststörungen, als Spasmolytikum bei multipler Sklerose und bei Epilepsie sowie bei Parkinson. Außerdem beuge medizinischer Hanf Alzheimer und Schlaganfällen vor. Bis zur Zulassung als Krebsmedikament (die Studien seien vielversprechend, so der Referent) sei es noch ein weiter Weg, doch gegen die Nebenwirkungen der Chemotherapie wird CBD bereits verordnet.

„Cannabis als Medizin für alle"

Cervenys Forderung lautet: „Cannabis als Medizin für alle, frei zugänglich für alle ab 18 Jahren zu vernünftigen Preisen und eine Legalisierung des Selbstanbaus.“ Die jetzige Freigabe betrachtet der Cannabis-Verfechter als „Selbstverteidigung der Regierung“, die mit dem Gesetz den Anbau in Deutschland verhindert wolle.

Das ehemals als "Teufelszeug" verrufene Cannabis sei jedoch weitaus weniger gefährlich als Alkohol, der Abhängigkeitsfaktor vergleichsweise gering. „Leute die Gras rauchen, sind nikotinabhängig“, so Cerveny. THC verstärke die Wirkung des Nikotins um das vier- bis fünffache. Medizinisch sinnvoll sei es stattdessen, THC oder CBD beispielsweise als Tropfen einzunehmen.

Hürden im Alltag

Das Rezept vom Arzt schützt zunächst einmal nicht vor unliebsamen Erfahrungen bei einer Polizeikontrolle. „Immer wieder tauchen Patienten beim Cannabis Verband auf und berichten, dass die Medizin beschlagnahmt wurde“, klagt der Referent. Manchmal werde der Patient gar festgenommen, bis die Staatsanwaltschaft die Rezepte oder Bescheinigungen der Ärzte überprüft habe. „Dieser Zustand darf nicht länger hingenommen werden“, so Wenzel Cerveny.

Das Volksbegehren für das Tabuthema Cannabis hat der ehemalige Gastronom „zunächst nur aus Gaudi am Protest“ gestartet, doch bald schon wurde ihm klar: Der medizinische Bedarf ist hoch. Die meisten der über 55.000 Unterschriften, die er bereits für die derzeit laufende bundesweite Petition gesammelt hat, kamen nicht etwa von jungen Leuten, sondern von Senioren. Seit zwei Monaten ist sie nun in Bayern unterwegs. Nach Ostern will er sie in Berlin abgeben.

"In zwei Jahren für jeden zugänglich“

Im Herbst 2017 plante Cerveny ein Cannabis Therapie- und Informationscenter in München zu eröffnen, aber die Investoren scheuten den Schritt. Doch der Referent ist optimistisch: „Der Markt öffnet sich weltweit“, ist er überzeugt, „in den nächsten 24 Monaten wird Cannabis auch in Deutschland für jeden zugänglich sein“.  

Übrigens war Hanf auch in Bayern früher ein normales Lebensmittel, klärt der Referent auf. Hanfanbau (derzeit, wie berichtet, zu medizinischen Zwecken in Memmingerberg geplant, Anm. der Red.) gab es auch in der hiesigen Region.

Info: Der Cannabis Verband Bayern (CVB) wurde im Frühjahr 2014 von Vaclav Wenzel Cerveny als Dachorganisation von bayernweit 14 Cannabis Social Clubs (CSC) gegründet. Der Verband hat das bayernweite Volksbegehren „Ja zu Cannabis“ initiiert und rund 27.000 gültige Unterschriften gesammelt. Das Bayerische Verfassungsgericht hat ein Volksbegehren wegen Nichtzuständigkeit (Bundesrecht) abgelehnt. Aus diesem Grund läuft seit Februar 2017 eine bundesweite Petition (www.ja-zu-cannabis.de). Im Juli 2015 und 2017 hat der Verband die erste deutsche „CannabisXXL“-Messe in München durchgeführt.