„Die neue Seidenstraße ist bereits Realität“

Asien-Fachmann Reichart spricht über Chinas "Griff nach Westen"

veröffentlicht am 20.11.2019

Sparkassen-Vorstandsvorsitzender Thomas Munding stellt den Referenten Thomas Reichart vor. Foto: Johannes Wiest

Memmingen (jw). Die Weltmacht China, bevölkerungsreichtes Land der Erde, nimmt derzeit den zweiten Platz der weltweit führenden Wirtschaftsmächte ein und ist gleichzeitig Exportweltmeister. An schiere Gigantomanie grenzt der Bau der neuen chinesischen Seidenstraße. Über dieses Projekt berichtete jetzt der Asien-Fachmann Thomas Reichart, Auslandskorrespondent und ehemaliger Leiter des ZDF-Studios in Peking, beim Sparkassen-Forum in der Stadthalle.

„China stellt unsere Welt auf den Kopf und die Welt hat allen Grund, sich vor China zu fürchten“, begrüßte Sparkassen-Vorstandsvorsitzender Thomas Munding die zahlreichen Besucher in der voll besetzten Stadthalle. Chinas Rolle als Deutschlands wichtigster Handelspartner erfordere es, etwas näher auf das Seidenstraßen-Projekt einzugehen, im Zuge dessen seit 2013 neue Zugstrecken, Straßen und Häfen sowie Kraftwerke, Pipelines und Flughäfen entstehen. Kostenpunkt: über 1.000 Milliarden US-Dollar.

Größtes Infrastrukturprojekt der Neuzeit

„Die neue Seidenstraße ist bereits Realität“, erklärt der erfahrene Allgäuer China-Korrespondent Thomas Reichart. Sie umfasse 65 Länder und fast zwei Drittel der Weltbevölkerung. Endpunkt ist Duisburg in Deutschland. Mit diesem größten Infrastrukturprojekt der Neuzeit dehne China seinen Einfluss weltweit aus. China trete immer stärker jenseits der eigenen Grenzen auf und versuche seine eigenen Standards durchzusetzen.

China sei schon lange nicht mehr die verlängerte Werkbank der westlichen Industrienationen, sondern entwickle sich zunehmend zu einem führenden Hightech-Land, so Reichart. „Der erste Zug auf der Seidenstraße ist in Deutschland bereits angekommen.“ Mit der Ausdehnung wolle China seine Weltmachtstellung festigen. Versprochen würden Arbeit und Wohlstand für die Menschen entlang der neuen Seidenstraße. Dabei erfordere dieses Projekt einen hohen Einsatz an Material und Arbeitskräften.

Nichtsdestotrotz seien die Arbeitsbedingungen, verglichen mit den Standards in Europa, unterentwickelt. „Kein Acht-Stunden-Tag, sondern 14 bis 16 Stunden sind normaler Alltag“, erklärte Reichart. Und dies über einen langen Zeitraum. „Ein Arbeiter sieht bei diesem Einsatz seine Familie vielleicht nur einmal im Jahr“. Und in China trifft die letzte Entscheidung immer die Partei, denn China ist eine Diktatur. Dass Menschenrechtsfragen in China keine große Rolle spielen, sei auch dadurch bedingt, dass der Westen diese Themen nach wie vor mit uneinheitlicher Stimme anspreche.

Gefährliche Abhängigkeit

Eine gefährliche Abhängigkeit über viele Jahre von der chinesischen Vorherrschaft entstünde für die überwiegend finanzschwachen Länder, durch die die neue Seidenstraße führt. Anfallende Investitionskosten für den Bau von Straßen, Eisenbahnlinien und Flughäfen schießt der chinesische Staat in Form von Krediten vor. Gut zwei Dutzend Länder seien bereits heute in einer Schuldenfalle gefangen, berichtet Reichart Doch für China sei es wichtig, Märkte bis in die Mitte Europas zu bedienen.

Letztlich gehe es aber nicht darum, ob uns China interessiere, sondern darum, den Welthandel zu beleben. Dies müsse sich aber auch in fairen Handelsbedingungen niederschlagen. Gleiche Marktzugänge für westliche und chinesische Firmen seien für einen fairen Handel wichtige Voraussetzungen. Hier müsse mit China hart gerungen werden, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Für die ebenfalls mächtige Exportnation Deutschland seien faire Bedingungen Grundvoraussetzung für einen weiterhin florierenden Warenhandel auf beiden Seiten.