"Die Stadt ist fast völlig zerstört“

Bürgermeister Vladyslav Atroshenko über die Lage in Tschernihiw

veröffentlicht am 30.04.2022

In einer Videoschalte berichtete Tschernihiws Bürgermeister Atroshenko über aktuelle Lage der Stadt. Memmingens Oberbürgermeister Manfred Schilder und der Stadtrat sichern Solidarität und Unterstützung zu. Foto: Sonnleitner

Memmingen (as/dl). In einer Sondersitzung des Stadtrats informierte Tschernihiws Bürgermeister Vladyslav Atroshenko über die aktuelle Lage in Memminges Partnerstadt. Im Nordosten der Ukraine, die seit 24. Februar von der russischen Armee eingekesselt ist. Das Ausmaß der Zerstörung ist groß. Sein Bericht wurde in der Memminger Stadthalle von Anna Kolomiiets aus Tschernihiw übersetzt.

314 Menschen wurden bei den Angriffen der russischen Armee getötet, darunter auch 16 Kinder. Es sei sogar auf Menschen geschossen worden, die in Schlangen für Lebensmittel anstanden. Viele Menschen starben, weil sie keine medizinische Notfallversorgung erhielten. Putin wolle das Land über die Bevölkerung vernichten, so Atroshenko.

„Putin hat kein Recht, ein anderes Land zu überfallen und ihm seinen Willen und seine Politik zu diktieren“, betonte Atroshenko. Die bittere Ironie daran sein, dass es viele „gemischte“ Familien in der Ukraine gäbe, auch seine Frau habe einen russischen Pass, berichtet der Bürgermeister, ihr Vater sei Russe, die Mutter Ukrainerin.

Bombardierungen aus niedriger Höhe

„Die Stadt ist fast völlig zerstört“, so Atroshenko, Fast täglich fielen Bomben, Minenwerfer kamen zum Einsatz und schwere Artillerie beschädigte viele zivile Einrichtungen und wichtige Infrastruktur der Stadt. In einem Video zeigte er zerstörte Häuser und Straßen. Die Hauptbrücke zur Versorgung der Stadt sei im März zerbombt worden. Bombardierungen, erklärte der Bürgermeister, hätten tagsüber und aus niedriger Höhe stattgefunden. Die Piloten hätten ihre Ziele sehen können und sie hätten Spielplätze und andere Stadtanlagen getroffen. Die Wasserversorgung und das Kraftwerk seien weitgehend zerstört worden. Kliniken seien beschädigt worden, eine Kinderzahnklinik zerstört. 101 Hochhäuser seien zerstört worden, viele weitere Hochhäuser seien beschädigt. Zwei Schulen seien komplett zerstört, 25 Schulen und 37 Kindergärten weitgehend beschädigt.

Mit dem Wiederaufbau zu beginnen, mache vorerst keinen Sinn, da die russische Armee die Stadt erneut angreifen könnte.

Beim Wiederaufbau begleiten

Oberbürgermeister Manfred Schilder gab seiner Betroffenheit über das große Leid und die Zerstörungen in Tschernihiw Ausdruck. Er sicherte Bürgermeister Atroshenko und den Bürgerinnen und Bürgern in Tschernihiw die Unterstützung Memmingens zu. „Die Solidarität und Hilfsbereitschaft in Memmingen ist sehr groß. Wir möchten Tschernihiw auf dem Weg des Wiederaufbaus begleiten und tun, was wir können“, betonte Oberbürgermeister Schilder. Er verlas eine Resolution des Memminger Stadtrats, in der die Stadträtinnen und Stadträte sich mit der Partnerstadt ausdrücklich solidarisch erklären und Hilfe und Unterstützung zusichern.

150.000 Euro von Memminger Bürgern

Bürgermeister Atroshenko dankte für die 13 Lastwagen aus Memmingen mit Hilfsgütern, die in Tschernihiw angekommen sind. Auf dem Spendenkonto der Stadt zur Hilfe für Tschernihiw sind zudem bislang über 150.000 Euro eingegangen. Memmingen ist mit 45.000 Einwohnern deutlich kleiner als die Partnerstadt Tschernihiw, die in Friedenszeiten rund 300.000 Einwohner zählt. „Was für uns im Moment am wichtigsten ist, ist Informationshilfe“, erklärte Atroshenko. Es gebe in Deutschland und darüber hinaus Hilfs- und Aufbauprogramme, die für Tschernihiw wichtig wären. „Wir haben hier in unserer aktuellen Lage keine Möglichkeit, davon zu erfahren“, sagte der Bürgermeister.

Zu Nationalhymne der Ukraine erhoben sich die Stadträtinnen und Stadträte sowie die anwesenden Bürgerinnen und Bürger in der Memminger Stadthalle gemeinsam mit Bürgermeister Vladyslav Atroshenko in Tschernihiw.