Frauen haben die Räuberhosen an

Geschlechtertausch bei Schillers "Die Räuber" im Stadttheater

veröffentlicht am 23.09.2019

Die Räuber (v. li.): Tobias Loth, Klaus Philipp, Agnes Decker, Miriam Haltmeier, Tim Weckenbrock (verdeckt) mit ihrem wackeren Anführer Karl Moor (Elisabeth Hütter). Fotos: Forster/Landestheater Schwaben

Memmingen (as). Das 1782 uraufgeführte erste Drama des erst 18-jährigen, an einer Militärakademie studierenden Friedrich Schillers war ein Aufbäumen gegen den Drill und Zwang väterlicher und staatlicher Autoritäten. Der ideale Einstieg also in eine als politisch und kämpferisch angekündigte neue Spielzeit am Landestheater Schwaben? - Die junge Regisseurin Julia Prechsl will den Stürmer und Dränger vom Sockel holen, indem sie die Geschlechterrollen vertauscht. Leider beschränkt sich der Erkenntnisgewinn des Zuschauers am Ende jedoch im Wesentlichen darauf, dass dies nicht ausreicht, um innovatives Theater zu machen.

„Aber ist Euch wirklich ganz wohl, Vater?“ - die heuchlerische Sorge des intriganten Franz um seinen lange vergebliche geliebten und darum nun verhassten Vater, den Grafen von Moor (André Stuchlik), umrahmt Julia Prechsls Inszenierung wie ein Leitmotiv. Das Drama schildert die Rivalität zweier sehr gegensätzlicher adeliger Brüder: Auf der einen Seite steht der geniale, freiheitsliebende Karl - Augapfel seines Vaters - auf der anderen Seite Franz, der hässliche, sich ungeliebt fühlende zweitgeborene Sohn. In seiner Eifersucht auf Karl greift er skrupellos nach der Macht, um sowohl das Erbe des Vaters als auch Amalia, die Geliebte des Bruders, an sich zu reißen will.

Durch eine Intrige seines Bruders Franz denkt Karl sich vom Vater verstoßen und wird Anführer einer Räuberbande, die in den böhmischen Wäldern, angestiftet von Karls Gegenspieler, dem psychotischen Spiegelberg (Klaus Philipp), ihr zunehmend grausames Unwesen treibt.

Die Geliebte hat einen Bart

Also alles wie gehabt, oder? - Keineswegs, denn die Geschlechterrollen sind vertauscht. Da Frauen im Originalstück nur als Opfer männlicher Gewalt auftreten, haben hier einmal die Frauen die Räuberhosen an. Elisabeth Hütter und Regina Vogel (in Rüschenbluse) spielen das ungleiche Brüder- bzw. Schwesternpaar Moor, auch zwei der Räuber sind weiblich besetzt. Amalia, die einzige Frau in Schillers Drama, wird konsequenterweise von einem männlichen Darsteller, David Lau, gespielt.

Nun ist die Depression durch Mangel (Franz) oder Entzug (Karl) der väterlichen Anerkennung ein Phänomen, dass Männer und Frauen gleichermaßen betrifft. Hier mündet sie in Raserei und auswegloser Verzweiflung. Alle Akteure werden schließlich Opfer der zentralen ungelöster Vater-Sohn-Konflikte. (Interessant ist in diesem Zusammenhang die Fokussierung der Kostüme von Birgit Leitzinger auf die Schulterpartie. Die Schulter steht gemeinhin für Männlichkeit, Kraft und Tragfähigkeit, sie ist auch der Hort äußerer Anerkennung.)

Die Räuber: Karl Moor (Elisabeth Hütter), Razmann (Tobias Loth), Schweizer (Tim Weckenbrock), Roller (Agnes Decker) und Schufterle (Miriam Haltmeier).

Konflikt zwischen Freiheit und Gesetz

Im Kern schildert Schiller mit der Geschichte der ungleichen Brüder jedoch den Konflikt zwischen Freiheit und Gesetz, Individualität und Norm. Franz macht sich zum Maß aller Dinge und erhebt sich über das Gesetz. Der Rebell Karl missachtet es als Hauptmann einer Räuberbande. Beide scheitern: Karl, mit dem Idealismus eines Robin Hood dazu angetreten, eine außerhalb fürstlicher Justiz existierende Gerechtigkeit zu etablieren, verbrennt schließlich an seinem feurigen Geist und unterwirft sich am Ende der von ihm so verachteten Justiz und Geistlichkeit. Der intrigante Machtpolitiker Franz flüchtet sich in den Selbstmord, als die Räuber das väterliche Schloss, das nun ihm gehört, in Brand setzen. Indem Schiller sein Stück in Chaos und Vernichtung enden lässt, erteilt er Gewalt und Macht als Mitteln zur Freiheit eine klare Absage.

Stellenweise etwas langatmig

Es hätte der fulminente Auftakt einer kämpferischen und politischen Spielzeit werden können, doch dazu war die Inszenierung von Julia Prechsl nicht bewegend und im Wortsinne bewegt genug und wirkte dadurch stellenweise etwas langatmig. Diese Statik entsteht nicht zuletzt durch das Bühnenbild, ein raumfüllendes stählernes Gerüst mit mehreren vertikalen Ebenen. Von dort aus sprechen die Protagonisten auch in Dialogszenen oder in Sprechchören stets nach vorne ins Publikum hinein. Zum Problem wird dieses Nebeneinander besonders im letzten Akt. Hier schadet es nicht, das Stück zu kennen, denn der Handlung wirkt im Schlussakt etwas verwirrend , da verschiedene Schauplätze des Geschehens auf diesem Gerüst mit Blick ins Publikum verhandelt werden. Die Motivationen der Figuren verwischen, sie reden – teilweise gleichzeitig – aneinander vorbei, bis alles schließlich in Blut ertränkt wird.

Räuberhauptmann Karl Moor (Elisabeth Hütter, vorne) gibt einem Priester Paroli. Foto: Sonnleitner

Aussage wird nicht deutlich

Es wird auch nicht so recht klar, was der Geschlechtertausch zeigen soll – dass Frauen genau so grausam und verblendet sein können wie Männer? Oder dass sie besonders laut schreien müssen, um gehört zu werden? Laut ging es jedenfalls zu an diesem Abend auf der Bühne, doch ist die junge Regisseurin wahrlich nicht die erste ihres Faches, die Lautstärke mit Intensität verwechselt.

Neben lähmendem Pathos gibt es auch berührende Momente, etwa wenn Amalia um ihren tot geglaubten Karl weint oder der alte Graf Moor von seiner Gefangenschaft erzählt. Anrührend gezeichnet ist auch die Figur des Gegenintriganten Hermann (Miriam Haltmeier), der sich aus Franz' bösem Bann löst in dem hilflosen Versuch, begangenes Unrecht wieder gutzumachen.

Starkes Debut von Agnes Decker

Eine starke und belebende Szene ist der Auftritt von Agnes Decker als Kosinsky. Die Regisseurin gibt der neuen Schauspielerin am Landestheater viel Raum, um ihre Figur und das Geschehen um sie herum auf witzig-spielerische Weise zu hinterfragen und den Räuberwald, ansonsten eine humorfreie Zone, ordentlich aufzumischen. An dieser Stelle bekommt die leider recht starr in das Korsett des Stahlgerüsts eingebundene Inszenierung eine neue, äußerst reizvolle Dimension. Belebend wirken auch die stummen Szenen, in denen die im Streboskop-Licht zuckenden Gestalten der Räuber wie manisch agieren.

Das Premierenpublikum spendete langen, wenn auch nicht begeisterten Applaus. Das Ensemble des Landestheaters lieferte auch an diesem Abend eine sehr beachtliche Team-Leistung ab.

Weitere Vorstellungen gibt es am 1., 5., 10. und 16. Oktober. Karten unter Telefon 08331 - 94 59 16.