„Gute Aussichten für produzierendes Gewerbe“

Die Lokale im Gespräch mit IHK und Arbeitsagentur

veröffentlicht am 02.08.2021

Auch angesichts der fortschreitenden Digitalisierung fallen die Prognosen von IHK und Agentur für Arbeit für die Zukunft des produzierenden Gewerbes und die Beschäftigung in Schwaben positiv aus. Symbolfoto: Geralt/ pixabay

Dr. Matthias Köppel, Leiter Geschäftsbereich Standortpolitik der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben. Foto: privat

Maria Amtmann, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Kempten-Memmingen. Foto: privat

Allgäu/Schwaben (as). Anlässlich des Digitalen Mittagstalks „Der regionale Arbeitsmarkt im Wandel“ von IHK Schwaben und den schwäbischen Agenturen für Arbeit am 17. Juni sprach "Die Lokale" mit Maria Amtmann, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Kempten-Memmingen, und Dr. Matthias Köppel, Leiter Geschäftsbereich Standortpolitik der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben, über gegenwärtige und künftige Herausforderungen des Wirtschaftsstandorts Schwaben.

Laut einer Studie von IHK Schwaben und den regionalen Agenturen für Arbeit hat die Corona-Pandemie den Strukturwandel des Arbeitsmarktes beschleunigt. Können Sie uns kurz erklären, was sich verändert hat?

Die Corona-Pandemie hat einen Beschäftigungsrückgang im Handel, Gastgewerbe, Produzierenden Gewerbe und einen Beschäftigungszuwachs im Bereich öffentliche Dienstleister, Gesundheitswesen und Verwaltung gebracht. Die (durch Corona beschleunigte) Digitalisierung hat sogar zu einer Beschäftigungszunahme geführt. So haben z. B. Dienstleistungen der Informationstechnologie um 58 Prozent zugelegt. Auch die Baukonjunktur läuft weiterhin sehr gut.

Das verarbeitende Gewerbe, Maschinenbau und Fahrzeugbau sind für die Beschäftigung in Schwaben die wichtigsten Branchen. Der Zuwachs in den Dienstleistungsbranchen ist jedoch deutlich größer. Müssen die Betriebe demnach mit personalen Engpässen rechnen?

Das verarbeitende Gewerbe mit Maschinenbau und Fahrzeugbau bleibt aus unserer Sicht auch weiterhin für viele ArbeitnehmerInnen attraktiv. Aktuell rechnen wir hier nicht mit Einbrüchen. Im Gegenteil: die aktuelle Lage und auch die Aussichten für produzierende Unternehmen sind sehr gut. Aber es muss bedacht werden, dass ein Teil der Tätigkeiten Potenzial für die Automatisierung aufweist. Daher machen auch IT-Weiterbildungen für Beschäftigte in der Industrie enorm viel Sinn, zumal der Trend zu Digitalisierung auch in den Unternehmen selbst fortschreitet.

Müssen wir Angst vor der digitalen Transformation haben, wird sie viele Arbeitsplätze kosten?

Dr. Köppel: Diese Sorge ist verbreitet, doch das Gegenteil ist der Fall: Noch nie gab es mehr digitale Prozesse und gleichzeitig mehr Menschen in Arbeit als heute. Und auch Strukturwandel wird es immer geben, da die wirtschaftliche Entwicklung nie stehen bleibt.

Maria Amtmann: Wir verspüren bereits jetzt ein stetiges Voranschreiten in diese neue Arbeitswelt. Nur selten schlägt sich das in komplett neuen Berufsbildern nieder, wie zum Beispiel Kaufmann/Kauffrau für E-Commerce. In der Regel erfolgt lediglich eine inhaltliche Modernisierung der Berufsbilder (z.B. KFZ-Mechatroniker/in; Kaufmann/-frau für Digitalisierungsmanagement, Mediengestalter/in Bild und Ton).

Herr Dr. Köppel, wäre ein größeres Hochschulangebot nötig, damit Arbeitskräfteangebot und -bedarf in Hinsicht auf Qualifikation und fachliche Spezialisierung zueinander passen? Die Studie ergab ja, dass die Zahl der Beschäftigten mit einem mindestens vierjährigen abgeschlossenen Hochschulstudium, zwar ansteigt, Schwaben diesbzgl. aber dennoch hinter der bayerischen Entwicklung zurückbleibt.

Alle Hochschulen in Bayerisch-Schwaben versuchen, mehr Studienplätze anzubieten. Das ist eine sehr gute Entwicklung, die die IHK Schwaben unterstützt. Idealerweise schaffen wir es noch mehr, die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung zu betonen. Einen Ausbildungsberuf zu erlernen und später eine Weiterbildung oder ein Studium anzuschließen, bringt nach unserer Erfahrung hervorragende Arbeitskräfte hervor, die von Arbeitgebern enorm geschätzt werden.

Wie sehen Sie das, Frau Amtmann?

Wirtschaftskraft und Wohlstand einer Region setzen nicht zwingend eine sehr hohe „Akademikerquote“ voraus. Ein im dualen System ausgebildeter Arbeitnehmer kann somit durch stetige Weiterbildung für die veränderten Bedürfnisse des Marktes im Einzelfall besser gerüstet sein als ein Akademiker, der mit Erreichen des akademischen Grades nicht mehr in weitere Qualifizierungen investiert.

Aus der Studie der IHK und der Arbeitsagenturen geht hervor, dass es im Bundes- und Bayernvergleich erheblichen Aufholbedarf gibt, um den Wirtschaftsstandort Schwaben zukunftsfähig aufzustellen. Welche Maßnahmen sind hierfür nötig?

Wir wollen einen insgesamt höheren Bildungsgrad erreichen, die nötige Infrastruktur für Digitalisierung schaffen, den Wissensaustausch zwischen Wirtschaft und Wissenschaft forcieren, Bürokratie für Unternehmen abbauen, gerade auch für Start-ups, und die Energiepreise senken.

Herr Dr. Köppel, Prognosen zufolge arbeiten bis 2040 1,4 Millionen Menschen weniger im verarbeitenden Gewerbe, bedingt durch nachlassende Export-Dynamik und zunehmender Digitalisierung in Wirtschaftsbereichen wie der Automobilindustrie, die vor dem Wandel zur E-Mobilität steht. Kann unsere Region das kompensieren?

Das Exportvolumen in zwanzig Jahren ist von heute aus gesehen nicht zu prognostizieren. Die Industrie in Deutschland ist insgesamt gesehen hoch wettbewerbsfähig. Wir beobachten auch nicht, dass Lieferketten in der Industrie nun lokaler werden. Das heißt, wir werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in 20 Jahren auf der ganzen Welt Abnehmer für unsere Produkte finden. Der Wandel zur E-Mobilität ist nicht neu, alle Automotive-Unternehmen stellen sich seit Jahren auf diese neuen Märkte ein. Klar ist aber auch: Einfach wird diese Transformation nicht.

Frau Amtmann, trotz Kurzarbeit waren im Mai 2021 36.452 Menschen in Schwaben arbeitslos. Das sind 3,3 Prozent. Im Mai des Vorjahres lag die Quote bei 2,5 Prozent. Wie schätzen Sie die Gefahr einer Verfestigung von Arbeitslosigkeit nach oder mit der Corona-Krise ein?

Wir befinden uns bei der Arbeitslosigkeit im Allgäu noch nicht auf dem Niveau vor Corona, aber auf einem guten Weg. Im Juni 2021 waren bereits etwa 2.000 Menschen weniger arbeitslos als im Juni 2020. Etwa die Hälfte des Weges zum Vor-Corona-Niveau ist geschafft. Sehr viele der pandemiebedingt arbeitslos gewordenen Menschen werden mit zunehmenden Lockerungen in der Wirtschaft wiedereingestellt. Dies zeigt sich vor allem im Handel und im Gastgewerbe. Ein nicht unbeträchtlicher Teil hat sich inzwischen auch in andere Wirtschaftszweige, die Personalbedarf aufweisen, umorientiert.

Herr Dr. Köppel, welchen Rat würden Sie jungen Menschen geben, die einen Ausbildungsplatz suchen?

„Informiere dich über Ausbildungsberufe, vor allem auch über die, die weniger bekannt sind. Das geht über Praktika und auch auf Jobmessen. Klicke hier rein, für einen guten Überblick: https://www.ihk-lehrstellenboerse.de/ und wähle am Schluss einen Ausbildungsberuf wählen, der dir wirklich gefällt.“

Was raten Sie, Frau Amtmann?

Es gibt noch viele freie Ausbildungsplätze. Die Berufsberater unterstützen sehr gerne jeden Jugendlichen auf dem Weg in die berufliche Zukunft - durch persönliche, telefonische oder Videoberatung. Jeder Jugendliche sollte außerdem ein Praktikum durchlaufen, um eine konkrete Vorstellung von den Anforderungen im jeweiligen Ausbildungsberuf zu haben. Das verhindert Enttäuschungen und im schlimmsten Fall auch Ausbildungsabbrüche.