„Hier pflegt man wirklich als Mensch“

Ines Rudolf berichtet über ihre Arbeit auf der Palliativstation

veröffentlicht am 27.04.2019

Die stellvertretende Leiterin der Palliativstation am Memminger Klinikum Ines Rudolf liebt ihren Beruf. Foto: Sonnleitner

Memmingen (as). Der Tod und das Sterben werden in unserer Gesellschaft nach wie vor tabuisiert und so verschwindet auch die Palliativarbeit in der Grauzone alltäglicher Verdrängung. Die Lokale-Redakteurin Antje Sonnleitner sprach mit der stellvertretenden Leiterin der Palliativstation am Memminger Klinikum Ines Rudolf über ihre Arbeit.

Frau Rudolf, Sie sind seit 1993 Krankenschwester im Memminger Klinikum, erst in der Unfallchirurgie, später auf der Urologie. Was hat Sie dazu bewogen, sich in Palliativpflege ausbilden zu lassen?

Ich habe in meiner täglichen Arbeit gespürt, wie wichtig mir ein würdevoller und achtsamer Umgang mit Schwerstkranken ist. Dem wird hier Rechnung getragen! Palliativpflege orientiert sich an den Bedürfnissen jedes einzelnen Menschen. Für uns zählt: Was hilft? Was macht Freude? Was lindert?

Menschen, die nicht mehr lange zu leben haben, besinnen sich auf das, was für sie persönlich wichtig ist. Fassaden fallen, Äußerlichkeiten spielen kaum mehr eine Rolle. Die Patienten mit dieser Haltung begleiten zu können, ist eine sehr erfüllende Aufgabe, die ich Tag für Tag als Geschenk erlebe. Hier pflegt man wirklich als Mensch.

Die Palliativstation macht einen hellen und freundlichen Eindruck, wozu auch der neue Balkon sehr viel beiträgt. Kann auch ein Palliativpatient noch so etwas wie Lebensfreude empfinden?

Oh ja, auf jeden Fall! Lebensfreude erfährt jeder durch etwas anderes. Zum Beispiel durch die Erinnerung an eine Reise, das Betrachten eines Fotoalbums und vieles mehr. Auch Humor spielt bei uns eine große Rolle. Wir lachen sehr viel mit den Patienten. Spaß wird keineswegs als Zumutung verstanden, sondern eher dankbar aufgegriffen.

Die erfolgreiche Spendensammlung für den Balkon hat dazu beigetragen, die Palliativstation populärer zu machen. Wie erleben Sie den Umgang mit dem Sterben bei Patienten und Besuchern auf der Station?

Zunächst: Von den bislang 1.500 Patienten, die hier seit Entstehung der Station 2009 behandelt worden sind, konnten rund 1.000 Patienten mit besserer Lebensqualität, entlassen werden, weil quälende Begleiterscheinungen gelindert oder behoben wurden. Ungefähr ein Drittel unserer Patienten verstarben in würdevoller Begleitung auf unserer Station.

Zu Ihrer Frage: Für Patienten und deren Angehörigen, die erfahren, dass sie nur noch kurze Zeit zu leben haben, bricht meistens eine Welt zusammen. Oft befinden sie sich in einem Spannungsfeld zwischen Hoffnung und Angst Es sind viele Gespräche nötig, bis sie die Wahrheit zulassen können.

Sie betreuen hauptsächlich Krebspatienten?

Ja, wir können sechs Patienten aufnehmen, fast alle sind Krebspatienten. Der Jüngste war erst 19 Jahre alt. Krebs ist so tückisch, weil er meist lange keine Beschwerden verursacht.

Wie gehen Sie selbst damit um, dass sie vielen Patienten keine Hoffnung auf ein besseres Morgen machen können?

Das Wichtigste ist Wahrheit am Krankenbett! Wir stülpen den Patienten das Thema Tod nicht über, gehen aber offen damit um. Es ist wichtig, die Trauer und Verzweiflung der Betroffenen zuzulassen, ohne sie mit Medikamenten wegzudrücken. Wir müssen es auch aushalten, keine Antwort und keine Lösung parat zu haben und die Frage nach dem „warum“ nicht beantworten zu können.

Ich kann am Schicksal des Patienten nichts ändern, aber ich bin bei ihm und kann helfen, es erträglicher zu machen und das ist eine schöne und lohnende Aufgabe.

Die zentrale Aufgabe der Palliativmedizin ist es, Schmerzen und Symptome wie Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Atemnot zu lindern und nicht, die Krankheitsursachen zu bekämpfen. Hier werden also stärkere Medikamente als auf anderen Stationen verabreicht?

Nicht unbedingt. Als sehr bereichernd erleben wir den zusätzlichen Einsatz von Komplementärmedizin, wie z.B. der Aromatherapie und Einreibungen. Dennoch sind die Schmerzen vieler Patienten so stark, dass sie ohne Opiate nicht erträglich wären.

Was sagen Sie einem Patienten, der schneller sterben will? Assistierte Sterbehilfe ist in Deutschland ja verboten.

Die zentrale Frage ist: Was genau ist so schlimm, dass der Patient es nicht mehr aushält? Grundsätzlich vertreten wir eine lebensbejahende Haltung. Bei unerträglichen Beschwerden gibt es zudem das Mittel der palliativen Sedierung. Hier wird ein leichtes Narkose- und ein Schmerzmittel verabreicht. Der Patient darf schlafen, bleibt aber ansprechbar. Ich habe es bisher noch nicht erlebt, dass jemand trotzdem aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollte. Wichtig ist, dass sich der Patient in seiner Situation gesehen, begleitet und unterstützt fühlt.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Rudolf!