„Ich habe mich nie über mein Amt definiert“

Ein Gespräch mit dem ehemaligen Landrat Hans-Joachim Weirather

veröffentlicht am 05.06.2020

Genießt seinen Vorruhestand: der ehemalige Landrat Hans-Joachim Weirather. Foto: Sonnleitner

Mindelheim/Memmingen (as). 14 Jahre lang hat er die Verantwortung für den Landkreis geschultert, seit 1. Mai genießt der 62-jährige Hans-Joachim Weirather den Vorruhestand. Lokale-Redakteurin Antje Sonnleitner sprach mit ihm über seine neue Freiheit, den Abschied vom Amt - und natürlich über Corona.

Herr Weirather, Sie haben Ihre ersten Wochen in Freiheit hinter sich. Wie hat sich das angefühlt? Ist es Ihnen leichtgefallen, umzuschalten und den schweren Rucksack mit Verpflichtungen, den Sie 14 Jahre lang getragen haben, abzulegen?

Ich genieße die neu gewonnene Freizeit, doch so schnell kann man den Schalter nicht umlegen. Vor allem nachts kreisen meine Gedanken um Dinge, die nicht mehr meine Baustelle sind. Das Gefühl der allgegenwärtigen Verantwortung hat sich bei mir eingebrannt - Loslassen braucht eben seine Zeit.

A apropos Rucksack: Wie hat Corona Ihren jetzt doch üppigeren Freizeitplan durcheinandergebracht?

Ein paar Reisen musste ich schon absagen, z. B. wollte ich Anfang Mai ausgerechnet nach Bergamo. Auch die Rennrad-Tour durch Sizilien mit meiner Radl-Gruppe fällt aus. Doch wir haben genügend reizvolle Ziele vor der Tür, wer sich gern in der Natur bewegt, hat hier im Unterallgäu genügend Möglichkeiten. Ich bin mit meiner Frau in den letzten Wochen viel gewandert. Und ich kann jetzt auch an den Oldtimern in meiner Garage herumschrauben, ohne auf die Uhr zu schauen.

Leider hat das Virus Ihnen einen angemessen feierlichen und herzlichen Abschied von Ihren Mitarbeitern vermiest. Wie sehen Sie denn aus privater Sicht die anhaltenden und einschneidenden Maßnahmen?

Ich war nah an den Experten dran und weiß, dass es eine gute Idee war, umsichtig zu handeln. Allen, die jetzt leichtfertig daherreden und die Politiker verunglimpfen, wünsche ich, mal ein paar Wochen in der Verantwortung zu stehen. Dann schaut das nämlich ganz anders aus. Niemand hätte sich gewünscht, dass wir, ähnlich wie in Bergamo, hunderte von Toten haben.

Doch im Unterallgäu standen viel Krankenhausbetten leer …

Ja, im Nachhinein betrachtet wäre es in unserer Region nicht erforderlich gewesen, die Krankhäuser derartig auf die Pandemie auszurichten. Wir hatten im Klinikverbund 100 Intensivplätze mit Beatmungsmöglichkeiten vorgehalten und in der Spitze war etwa ein Viertel davon mit Coronapatienten belegt. Viele Betten blieben frei, OPs wurden verschoben. Aber das waren notwendige Erfahrungen, und sollte eine zweite Welle kommen, werden wir die einpflegen.

Wie sollte es Ihrer Ansicht nach jetzt weitergehen?

Unsere Wirtschaft muss dringend wieder hochgefahren werden, sonst werden wir eine bittere Rechnung präsentiert bekommen – das tun wir ohnehin, da werden wir uns noch wundern. Und das funktioniert umso besser, indem die Menschen jetzt verantwortungsbewusst bleiben und die Regularien einhalten. Wenn wir dem Virus die Chance geben, sich zu verbreiten, dann tut er das, und zwar mit einer rasenden Geschwindigkeit

Zurück zu Ihrer aktiven Landratszeit: Welche Projekte, außer den großen Themen Klinikverbund, Allgäu GmbH oder Allgäu Airport, lagen Ihnen besonders am Herzen?

Es gab über die Jahre hinweg Schlüsselprojekte, die prägend waren. Dazu gehört die Generalsanierung von Schulen im laufenden Betrieb, die über Jahre hinweg viel Kraft und Zeit gekostet hat. Doch ich bin stolz darauf, dass wir das geschafft haben. Für mich als Diplom-Ingenieur waren die verschiedenen Brückenprojekte an der Iller eine spannende Herausforderung. Besonders am Herzen liegt mir der Erlebnissteg in Legau. Damals war der Widerstand gegen das Projekt geradezu militant, doch heute erfreuen sich dort viele Wanderer und Radfahrer – und auch ich als Jungpensionär – an der Schönheit der Natur.

Gibt es auch Entscheidungen, die Sie rückblickend bereuen?

Ich hege nicht den Anspruch, alles perfekt gemacht zu haben, aber nein, ich hadere nicht mit meinen Entscheidungen. Ich habe eine Entscheidung immer dann getroffen, wenn ich alle Fakten beieinander hatte. Dann allerdings ohne zu zögern. Wenn sich dann später herausstellt, dass es da noch unbekannte Faktoren gab, dann ist es nun mal so. Dafür sind wir halt Menschen und keine Hellseher.

Ihr Nachfolger ist ebenfalls ein „Freier Wähler“. Kam der Vorschlag, Alex Eder zu nominieren, von Ihnen? Wie haben Sie ihrem Parteikollegen geholfen, sich in den Startlöchern zu positionieren?

Ja, ich habe Alex Eder präsentiert und vorgeschlagen, zunächst einmal im kleinen Kreis der Freien Wähler Unterallgäu. Und nachdem er diesen kleinen Kreis überzeugt hatte, war seine Nominierung ein Selbstläufer.

Haben Sie bei seiner Entscheidung fürs Landratsamt nachgeholfen?

Ich habe ihm die Perspektiven und Möglichkeiten des Amts und des Landkreises beschrieben, doch überredet habe ich ihn nicht (lacht). Es war seine freie und souveräne Entscheidung zu kandidieren.

Und Sie stehen Herrn Landrat Eder nach wie vor dezent zur Seite, wenn er Ihren Rat sucht?

Wenn man es gut meint mit jemandem, überfallt man ihn nicht permanent und vor allem nicht ungefragt mit Ratschlägen. Bei Bedarf stehe ich meinem Nachfolger aber Tag und Nacht zur Verfügung.

Haben Sie Herrn Eder auch ins Spiel gebracht, um einen Generationswechsel zu befördern?

Ja, der Gedanke an einen Generationswechsel im Landratsamt hat mir sehr gut gefallen. Politische Entscheidungen müssen keineswegs immer von alten Männern gefällt werden. Auch im Kreistag haben wir jetzt eine starke Verjüngung. Jemand, der noch jung ist und kleine Kinder hat, hat einen ganz anderen Blick auf die Dinge als jemand, der schon alt und dessen Kinder längst erwachsen sind.

Sie sagten in einem Interview, dass Sie sich nicht mehr zu kommunalpolitischen Themen äußern wollen. Haben Sie die Nase voll von der Politik?

Ganz im Gegenteil, ich war schon immer ein politischer Mensch und das wird auch so bleiben. Aber ich habe jetzt kein Mandat mehr und als ehemaliger Mandatsträger ist es meiner Ansicht nach klüger, sich zurückzuhalten, auch aus Respekt vor dem Amt, anstatt aus der Beobachterperspektive ins Spielfeld hineinzubrüllen. Das ist kein guter Stil.

Bereuen Sie es im Nachhinein hin und wieder, einen Schlussstrich gezogen und nicht mehr kandidiert zu haben?

Nein, gar nicht, denn ich habe die Projekte, die ich mir vorgenommen habe, realisiert. Ein Landratskollege, der schon länger im Ruhestand ist, hat mir aus tieferer innerer Überzeugung den Rat gegeben: „Verzichte auf die letzte Periode.“ Man kann die Zeit im Landratsamt nicht gemütlich ausklingen lassen und noch mal sechs Jahre so richtig Gas geben, das hätte ich nicht mehr gepackt. Die Aufgabe des Landrats kostet unendlich viel Energie, Kraft und auch Nerven, denn es gibt Kommunalpolitiker, die zu sehr unfairen Mitteln greifen, um ihren Willen durchzusetzen. Darauf kann ich gut verzichten. Traurig macht mich hingegen immer noch der Abschied von meinen engeren Mitarbeitern, mit denen ich über die Jahre sehr gerne und gut zusammengearbeitet habe

Wie kommen Sie damit klar, jetzt „nur noch“ der Herr Weirather zu sein?

Im Freundeskreis wurde ich gefragt, ob es mir nichts ausmacht, auszusteigen und damit quasi wieder unbedeutend zu sein. Ich habe die Frage zunächst gar nicht verstanden, denn ich habe mich nie über mein Amt definiert und laufe jetzt auch nicht irrlichternd umeinander (lacht). Allerdings habe ich auch bereits verkündet, dass ich mich für den Ehrentitel des Altlandrats mit 62 noch zu jung fühle (schmunzelt).

Ihre Kinder und Ihre Frau haben Sie in den letzten 14 Jahren selten gesehen haben – sicherlich ist es ein Wermutstropfen, so wenig Zeit für die Familie gehabt zu haben. Würden Sie sich wieder für das Landratsamt entscheiden?

Ja, ich würde es wieder so machen, das weiß auch meine Frau. Der Wert einer Beziehung definiert sich nicht nur durch die Anzahl von Stunden, die man gemeinsam verbracht hat, sondern über die Qualität dieser Zeit. Ich habe meinen Kindern auch bei Problemen mit Mathe und Physik geholfen, wenn ich erst spätabends zu Hause war. Auch Menschen, die in der freien Wirtschaft arbeiten, sind nicht jeden Abend um fünf oder sechs Uhr zu Hause. Dagegen ist man als Landrat immer noch lokal und heimatnah unterwegs.