Kein Ritter von trauriger Gestalt

Großer Applaus für Anne Verena Freybotts "Don Quijote"

veröffentlicht am 29.09.2020

Sancho Panza (Tobias Loth) lauscht den Phantastereien Don Quijotes (Tim Weckenbrock), der das goldene Zeitalter des Rittertums wieder aufleben lassen will. Im Hintergrund Elisabeth Hütter als Erzählerin. Fotos: Forster/Landestheater Schwaben

Memmingen (as). Auf eine wahrhafte Aventüre hat sich Chefdramaturgin Anne Verena Freybott mit der coronagerechten Inszenierung des Don Quijote begeben: Das über 1.000 Seiten starke Werk von Miguel de Cervantes feierte nun Premiere, komprimiert auf eine 42-seitige Theaterfassung mit zwei Darstellern und einer Erzählerin. Die charmante Inszenierung, gespickt mit witzigen Details, fand beim Publikum sehr viel Anklang.

„Wir glauben weiterhin an die Kraft des Geschichtenerzählens“, wandte sich Intendantin Kathrin Mädler an die Zuschauer - auch wenn ein ausverkauftes Haus in Corona-Zeiten 100 Zuschauer bedeutet und eine Besetzung mit drei Schauspielern bereits üppig ist, schließlich müssen ja die Abstände gewahrt sein.

Auf überaus originelle Art gelang dies mit dem Bühnenbild von Franziska Isensee, das Anklänge an einen Jahrmarkt hat. Die Querstrebe eines hohen Stativs verbindet an ihren entgegengesetzten Enden statt dem abgehalfterten Schlachtross Rosinante und dem Esel Sancho Panzas zwei Drahtesel, auf denen die Helden wie auf einem Karussell sitzen, sich abstrampeln und dabei immer nur um sich selbst kreisen. Ein schönes Bild, das sowohl die Fliehkraft der Fantasie symbolisiert als auch das Gefangensein der beiden selbsternannten Ritter in den Trugbildern Don Quijotes, dessen Ideale dem Realitätstest nicht standhalten.

Don Quijote als selbstverliebter Dandy

Tim Weckenbrock brilliert als Ritter auf dem Drahtesel.

Doch einem Ritter von trauriger Gestalt ähnelt Don Quijote (wunderbar schwerelos: Tim Weckenbrock) in dieser Inszenierung keineswegs. Der verarmte Landjunker, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts als Waisen,- Witwen- und Weltenretter auszog, um gemeinsam mit dem Bauern Sancho Panza (bauernschlau, aber treuherzig: Tobias Loth) die Aventüre zu suchen, könnte einem Oscar-Wild-Roman entsprungen sein. Geckenhaft gekleidet und selbstverliebt erinnert er eher an einen androgynen Popstar als an einen fahrenden Ritter – was die rätselhafte Figur zwar schillernder und komischer macht, aber auch etwas verflacht.

Form und Gestalt gibt die dritte im Bunde der Inszenierung: Elisabeth Hütter als zigeunerhafte Erzählerin in Springerstiefeln bündelt die losen Handlungsstränge und gibt mit ihrem Akkordeon einen musikalischen Leitfaden.

Doch im Mittelpunkt der Inszenierung steht die Antipode der beiden Männer, des Idealisten Don Quijote und des Pragmatikers Sancho Panza, die zunehmend als Team agieren. Ihre weiß getünchten Gesichter haben etwas Clowneskes und heben die beiden ins Fiktionale, anspielend auf die lange Reihe komischer Paare, deren Urbild sie waren.

Hohe Minne im Schweinestall

Don Quijote entwirft das Klischee des Ritterlebens (der Roman wird auch als Parodie auf das Rittertum interpretiert). In schillernden Farben fabuliert er ein goldenes Zeitalter der Gleichheit und Gerechtigkeit herbei, ein idealisiertes "Früher" voller tugendhafter Ritter. Stilecht jagt er einem entsagungsvollen Ideal der Liebe hinterher – zu Dulcinea, einem Bauernweib, das sich im wahren Leben weniger auf ritterliche Minne als aufs Schweinepökeln versteht.

Sein Knappe Sancho Panza erdet den Versponnenen, findet aber auch Vergnügen darin, den Boden für seine Luftschlösser in der kargen mittelspanischen Landschaft zu bereiten. So moderiert Sancho beispielsweise ein Essen im Kreise imaginärer Ziegenhirten an. Don Quijote fängt den Ball auf und improvisiert eine feurige Ansprache an die Gastgeber. Nur anhand von Blessuren, die (auf Distanz) verarztet werden, erkennt der Zuschauer, dass zumindest einige der Auseinandersetzungen mit der Außenwelt wirklich stattgefunden haben. Die meisten Herausforderungen entspringen der lebhaften Phantasie des Möchte-gern-Ritters, martialische feindliche Heere entpuppen sich als Hammelherde.

Eine Hymne an die Kraft der Fantasie

Die Inszenierung dieses ersten moderner europäischer Romans feiert die Kraft der Fantasie, auch wenn sie an den Klippen der Realität zerschellt. Miguel de Cervantes, der selbst ein überaus abenteuerliches Leben führte, hat Don Quijote nicht als Verrückten konzipiert. Wahnhaft wirkt einzig der unerschütterliche Idealismus und Optimismus, den Don Quijote angesichts niederschmetternder Erfahrungen an den Tag legt. Dabei weigert er sich bis zuletzt, seinen mangelnden Realitätssinn als Grund seines Scheiterns anzuerkennen. Vielmehr sind es böse Zauberer, die sich gegen ihn stellen, indem sie zum Beispiel Riesen in Windmühlen verwandeln. (Der Kampf gegen die Windmühlen wird im Stück nur als Erinnerung erwähnt, die Regisseurin verzichtet auf berühmte Szene.)

Trotz des spröden, enttäuschenden Endes (Freybott vergönnt es ihrer Figur nicht, in den Armen Sanchos zu sterben) belohnt kräftiger Applaus einen originellen und sehr unterhaltsamen Theaterabend.

Die Vorstellung dauert 100 Minuten, es gibt keine Pause. Weitere Termin am 4. Oktober (16 Uhr), 17. Oktober (20 Uhr), 18. Oktober (19 Uhr), 20. Oktober (20 Uhr) und 29. November (19 Uhr).