Nachts im Museum

Schaurig-schöner Balladenabend im Stadttheater

veröffentlicht am 10.06.2021

"Geisterreiter" Agnes Decker (kniend, links) mit dem "verbrannten Seemann" André Stuchlik, Klaus Philipp als "versetzte Braut" und Regina Vogel als "Kindsmörderin". Am Klavier: Ekaterina Isachenko. Fotos: Forster/Landestheater Schwaben

Memmingen (as). Nach sieben Monaten Stillstand erobert sich das Theater seinen Platz im Herzen des Publikums zurück. An die 80 nachgewiesenermaßen coronafreien Zuschauer genossen die schaurig-schöne Uraufführung eines von Intendantin Kathrin Mädler inszenierten märchenhaft-morbiden Balladenabends voller düsterer Geheimnisse im Stadttheater.

„Ich weiß nicht was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin“, mit dem Lied von der Loreley von Heinrich Heine eröffnete die Museumskuratorin, verkörpert durch die musikalische Leiterin Ekaterina Isachenko (im Programhaft auch als „Kuratorin des Fegefeuers“ bezeichnet) den spukhaften Reigen auf der Bühne und fordert ihren Sold.

Vier merkwürdige Gestalten, Figuren wie aus einem Raritätenkabinett entsprungen, bevölkern die Bühne, jede für sich isoliert, übriggeblieben, wie hineingeworfen in die Szene. Dann purzelt ein junkerhaft gekleideter junger „Mann“ (Agnes Decker) aus dem Off auf die nur schummrig ausgeleuchtete Bühne, bezahlt die Kuratorin mit klingender Münze und bringt Leben in die Szenerie.

Tragische Geschichten

Als Junker kostümiert, bringt Agnes Decker Dynamik in das Geschehen.

Zögernd beginnen die Gestalten, ihre Geschichten zu erzählen, Klaus Phillip als versetzte Braut (mit verbrannten Füßen) erzählt von Barbara Allen (Theodor Fontane), immer wieder unterbrochen vom ertrunkenen Seemann (André Stuchlik), der Fontanes Ballade vom heldenhaften Steuermann John Maynard anstimmt („Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn“). Der Junker zieht die Zuschauer vor und auf der Bühne mit Heinrich Heines, von Robert Schumann vertonter, Romanze „Die beiden Grenadiere“, in seinen Bann. Während die als biedere Maid ausstaffierte Regina Vogel das tragische Geschehen um den dänischen König Gorm Grymme (Theodor Fontane) beklagt.

Zugleich Erzähler und Protagonist

Die vier gegensätzlichen Gestalten fungieren zugleich als Erzähler und Protagonisten der Balladen, die sie vortragen, sie leben darin, gehen völlig darin auf. Jeder von Ihnen verkörpert einen oder mehrere Hauptdarsteller der mehrstrophigen erzählenden Gedichte beziehungsweise szenisch dargebotenen Geschichten, die immer im balladesken Moment des Unerhörten, der größtmöglichen Krise, gipfeln.

Scheu verkriechen sich die vier rätselhaften Wesen immer wieder, kauern ängstlich hinter den leeren Stühlen – neben den dunklen Vitrinen (Sarkophage aus Glas, in welche die Protagonisten am Ende wieder eingeschlossen werden) das einzige Mobiliar in Mareike Delaquis Porschkas Bühnenbild.

Dabei geht das skurrile Quartett mehr und mehr aus sich heraus und spielt sich schließlich die Verse gegenseitig zu. Das fragmentarische Nebeneinander von Geschichten und Gestalten gerät immer mehr zum intensiven Zwiegespräch. Die Figuren übernehmen Rollen in den Geschichten der anderen. „Der Mond scheint hell, hurra, die Toten reiten schnell“ - Agnes Decker als ritterlicher Geisterreiter erlöst Klaus Phillip, der als verlassene Braut in vollem Ornat am Boden liegt.

Ergreifend und mitreißend

Klaus Phillip als versetzte Braut mit Bartstoppeln.

All dies ist zu ergreifend dargebracht und mitreißend gespielt, um, allem Pathos zum Trotz, überzogen zu wirken. Trotz breitem Kreuz und Bartstoppeln rührt Klaus Phillips Verletzlichkeit als versetzte Braut ans Herz. Mucksmäuschenstill ist es im Saal, als Regina Vogel als rasende Kindsmörderin in „Des Pfarrers Tochter von Taubenheim“ von ihrem adeligen Verführer verschmäht wird und schließlich ihr Neugeborenes tötet.

In der hochdramatischen Welt der Ballade geht es um große Gefühle und Gesten, um Grausamkeit und Heldenmut, Treue und Verrat, um mörderische Leidenschaft und unsterbliche Liebe. Von Folter und unterdrückter Rache handelt die Titelballade „Die Füße im Feuer“ - es geht immer um alles, ums Große und Ganze - und mündet meist im Tod.

Geisterstunde im Museum

Zur Geisterstunde erzählen die Verdammten ihre Geschichten, wie um sich ihrer zu bemächtigen, und durchleben doch immer wieder dieselbe alte Qual. Insofern sind die Protagonisten Untote, Wiedergänger, denen das geteilte Leid schließlich neues Leben einhaucht. Die Weitergabe des welken Brautstraußes wird zur Geste der Anteilnahme, die Erlösung stiftet.

Die Rolle der Kuratorin zu deuten, bleibt der Phantasie des Zuschauers überlassen. Ist sie Charon, der Fährmann in die Unterwelt? Nur mit dem Unterschied, dass sie sich für die Rückkehr der Verdammten ins Leben bezahlen lässt? Oder bezahlen die Unglücklichen dafür, dass sie von einem Höllenkreis wie in Dantes Inferno in den nächsten gelangen?

Wechsel zwischen Ballade und Song

Aufgelockert wird die balladeske Tragik hier und da durch Elemente absurder Komik, die zum Schmunzeln anregen. Der Wechsel zwischen Erzählung und Gesang sowie zwischen den Kunstballaden aus dem 18. und 19. Jahrhundert und modernen Songs wie „Another World“, „Hurt“ oder „I will always love you“ ist stimmig. Mehrstimmige Lieder wie Viva la vida (Coldplay), das Duett „Die Meere“ (Johannes Brahms) oder das als Quartett dargebrachte Volkslied „In einem kühlen Grunde“ geraten zum Ohrenschmaus.

Lang anhaltender Beifall und Bravo-Rufe belohnten die Darsteller und die Regisseurin, die den Neustart nach der langer Pause zu einem zartbitteren Genuss werden ließen.

Die nächsten Vorführungen von „Die Füße im Feuer“ sind ab 4. Juli im Großen Haus zu sehen. Kartenreservierungen sowie Informationen zum Corona-Hygienekonzept des Theaters gibt es unter www.landestheater-schwaben.de. Infos auch unter Telefon 08331/94 5916.