„Politik ist dazu da, große Räder zu drehen“

Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Robert Habeck in Memmingen

veröffentlicht am 09.10.2018

Der Landtagskandidat Daniel Pflügl und der Bundesvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, Robert Habeck. Foto: Würth

Memmingen (ew). Mit so viel Andrang hatten die Veranstalter wohl nicht gerechnet. Der Saal in Rohrbecks Keller war schlicht zu klein für den Ansturm von interessierten Bürgern beim Jazzfrühstück der Grünen mit dem Bundesvorsitzenden Robert Habeck.

Selbst nachdem man mehrere Tische hinausgetragen und weitere Stühle hineingetragen hatte, war noch nicht genug Platz und die Leute saßen draußen auf der Treppe. Die Grünen sind im politischen Aufwind und so war auch das Interesse an dieser Podiumsdiskussion sehr hoch.

Zuerst stellte der Memminger Landtagskandidat Daniel Pflügl dem Publikum sich und seine politischen Ziele vor. Robert Habeck kletterte für seine Rede danach auf einen Stuhl, damit man ihn wenigstens halbwegs sehen konnte.

Die Bayernwahl habe für ganz Deutschland eine immense Bedeutung, denn die eigentlich großen politischen Fragen würden in der Politik überhaupt nicht mehr thematisiert, erklärte Habeck. In den vergangenen Jahren sei bei den Bürgern ein Verständnis eingekehrt, dass sich die Dinge sowieso zum Guten wenden. Nach dem Motto: Politik sei am besten, wenn sie sich nicht kümmert und die Menschen oder der Markt würden das schon selbst regeln.

„Politik ist nicht zum Angucken da"

Dem ist aber laut Habeck nicht so. Eine Buchhandlung zum Beispiel zahle Steuern, während die große Konkurrenz Amazon das eben nicht tue. Auch hier habe sich die Politik einfach rausgehalten. „Politik ist nicht zum Angucken da, sondern um Regeln zu erlassen“, so Habeck.

Gleiches gelte für den Dieselskandal. Wer beim Ladendiebstahl erwischt wird, werde sofort bestraft, aber gleichzeitig gebe es 15 Millionen Betrugsfälle der Automobilindustrie, die man nicht ahnde, sondern einfach laufen lasse. „Bloß nicht zu groß denken und zu radikal ansetzen ist die Maxime der Regierung“, bemängelte Habeck.

Dafür sei Politik aber nicht da und deshalb würden sich auch viele Bürger von der Politik abwenden, bedauerte Habeck. „Wir brauchen ein neues Verständnis in der Gesellschaft“ - Politik sei auch dazu da, „große Räder zu drehen“. Dazu gehöre jedoch nicht, dass man fünf Euro mehr Kindergeld bekommt. „Das reicht nicht.“

Mehr Europa gegen Steuerflucht

Ein weiteres großes  Problem sieht der Bundesvorsitzende in der Steuerflucht. Diese könne man nicht national lösen, dazu brauche man Europa. Auch die großen Probleme unserer Zeit, die Ordnung von Flucht- und Integrationsbewegung - hier spiele Europa eine friedensstiftende  Rolle  - sei mit den nationalstaatlichen Kräften kaum noch zu leisten. Ein einiges, starkes Europa könnte auch hier einen Unterschied machen.

Politik müsse in der Sprache, im Umgang, im Zuhören „mitnehmend und nicht ausgrenzend“ sein. „Wenn man gehört werden will, muss man auch zuhören, sonst funktioniert das Ganze nicht.“

Seehofer als „Problembär“

Leider habe die CSU den Populismus salonfähig gemacht. Das sei ein großer Fehler gewesen, meint Habeck. Er habe Horst Seehofer bis 2015 als einen konservativen Mann mit großer politischer Erfahrung gesehen und man hätte in der Großen Koalition ein passables Management machen können. Es stelle sich nun aber die Frage, warum Seehofer zu einem „Problembär“ geworden sei.

Die CSU habe vergessen, dass Wahlniederlagen zur Demokratie gehören. Die Politiker nähmen ihre Niederlagen als Angriff auf ihre  Person und als Majestätsbeleidigung wahr. Die CSU verliere damit das demokratische Grundverständnis.

Angstmache und fiese Sprüche

Die bayerische Regierung beantworte die Angstmache der AfD mit eigener Angstmache und Populismus mit dummen, fiesen Sprüchen, prangerte Habeck an. Bei der Landtagswahl könne es zu einem "komplizierten Ergebnis" kommen, aber man solle davor keine Angst haben. Das sei der Normalfall und ein Zeichen der Stabilität der Demokratie.

Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch habe gesagt: „Man muss den Menschen die Wahrheit nicht wie einen nassen Lappen ins Gesicht schlagen, sondern wie einen Mantel hinhalten in den man hineinschlüpfen kann.“ In diesem Sinne sollte man Politik machen, so Habeck.