Schneidende Ironie: Satirische Scherenschnitte von Wolfgang Niesner im Stadtmuseum

veröffentlicht am 13.08.2016

"Ausblick" hat Wolfgang Niesner dieses Bild getauft. Fotos: Sonnleitner

Memmingen (as). "Schnittiges" im Memminger Stadtmuseum: Im Heimatmuseum Freudenthal (2. Stock) sind noch bis 30. Oktober satirische Scherenschnitte des 1925 in Freudenthal geborenen Zeichners und Grafikers Wolfgang Niesner zu sehen. 

Mit "Vorwärts" betitelte Wolfgang Niesner diesen Blechfriedhof.

Eine gepanzerte Friedenstaube, ein Affe, aus dessen Analtrakt der Fortschritt in Form einer Blechlawine hervorgeht, eine rauchende und weinende Nachkriegs-Germania, Zeitgenossen, die sich im Paragraphendschungel des Grundgesetzes verirren oder von Buchstaben erschlagen werden.... Ein Mann liegt am Boden, niedergestreckt vom motorisierte Fortschritt, der über hinweg rollt… - das sind nur einige der Sujets, die Wolfgang Niesner mit seiner Schere aufs Korn nahm.

Mit einer kleinen, spitzen Hautschere karikierte er die Auswüchse des Zeitgeistes. Als "Glossen, Satiren und Randbemerkungen zu der Zeit, die ich zu durchschreiten habe“, beschrieb Niesner seine „schnittigen“ Zeitsatiren. „Nicht selten vollziehen sich dabei Wendungen ins Groteske und Drastische erst im Verlauf des Umganges mit der Schere bzw. schon in den Gedanken an deren Gebrauch…“.

Nicht der reine Silhouettenschnitt reizte ihn, sondern der Kontrast der Schwarzweißwirkung. Die zeichnerischen Elemente erführen durch den Schnitt eine „Zuspitzung und Präzisierung“, beschrieb der Künstler in seinem Aufsatz: „Zur Technik des Scherenschnittes“ (in: Ernst Biesalski"Scherenschnitt und Schattenriß", 1978). 

„Überfallsmäßige“ Heimsuchung

Wenn das Wohnumfeld ins Wanken gerät... Inspiriert wurden solche Motive von Niesners Umgebung in Neuperlach.

Spott und Ironie sind die bevorzugten Ausdrucksmittel seiner Scherenschnitte, die der Zeichner und Grafiker als "Nebenzweig" seines vielfältigen künstlerischen Schaffens bezeichnete. Doch eine Nebensache waren sie keineswegs. An einen befreundeten Maler beschrieb er seinen Drang zur schneidenden Darstellung als „überfallsmäßige“ Heimsuchung.

„Fast scheint es mir, als käme ich dem, was mich am Leben und an den Menschen reizt, auf andere Weise nicht bei“, bekannte Niesner, der seit 1950 als freischaffender Grafiker in München lebte. Seine Neigung zu satirisch-grotesker Überzeichnung zeitkritischer Inhalte prädestinierte seine Schwarz-weiß-Grafik auch für die satirische Wochenzeitschrift „Simplicissimus“, die ab 1954 wieder publiziert wurde. 

Bezog 1970 ein Atelier in Münchens Trabantenstadt Neuperlach was ihn dazu anregte, sich mit der modernen Wohnwelt und anderen Gegenwartserscheinungen auseinander zu setzen, was ihn zu zahlreichen kritischen Bildern über das Wohnen und Leben in modernen Retortenstädten inspirierte.

Info: Der 1925 in Freudenthal (Tschechoslowakai) geborene Wolfgang Niesner studierte 1942 bis 1944 an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Nach Kriegsdienst und -gefangenschaft landete er 1946 in Niederbayern und bekam Arbeit in einem Flüchtlingsbetrieb für kunsthandwerkliche Dinge. Dort entstanden die ersten Radierungen und Holzschnitte.

1950 übersiedelte Niesner  nach München, wo er als freischaffender Grafiker arbeitete und sich an Ausstellungen beteiligte. Er war Mitglied im Verein für Original-Radierung, dessen 1. Vorsitzender er später wurde. 1994 verstarb er überraschend an den Folgen einer Operation.

Wolfgang Niesners Arbeiten wurden in Memmingen bereits mehrfach ausgestellt. Seit 2005 befindet sich das druckgrafisches Werk als Dauerleihgabe seiner Witwe Friederike Niesner im Bestand der MEWO Kunsthalle.