Stadtrat: Neue Wahlperiode beginnt mit einem Rückschritt

Kontroverse über Machtverteilung in Ausschüssen - Bürgermeister wiedergewählt

veröffentlicht am 06.05.2020

Die neuen Stadräte (von links und vorne): Prof. Dr. Veronika Schraut (CSU), dahinter Fritz Tröger (FDP), Nina Hartge (ÖDP), dahinter Genovefa Kühn (AfD), Michael Ruppert (CSU), dahinter Hans Pflazer (FW), Christoph Maier (AfD, ganz hinten), Sebastian Baumann (FDP), dahinter Michael Rampp (ÖDP), Evelyn Villing (Grüne) dahinter rechts: Ivo Holzinger (SPD), Dr. Monika Schunk (Grüne), dahinter Rupert Reisinger (Linke) und Bastian Dörr (CRB), Joachim Linse (Grüne), dahinter rechts Toni Demerci (CRB) und Natalie Riedmiller (Grüne, rechts vorne).

Unser Titelbild: Alle 40 StadträtInnen versammelten sich auf dem Platz der Deutschen Einheit zu ihrer konstituierenden Sitzung in der Stadthalle - in gebührendem Abstand natürlich. Fotos: Sonnleitner

Memmingen (as). In seiner ersten, konstituierenden Sitzung, die wegen der Corona-Abstandsregelungen in die Stadthalle verlegt worden war, wählte der neue Memminger Stadtrat die ehrenamtlichen Bürgermeister der Stadt und bestätigte dabei mit großer Mehrheit Margareta Böckh und Hans-Martin Steiger in ihrem Amt. Weit weniger einvernehmlich war die Entscheidung für das Verfahren, mit dem die Sitzverteilung in den Staatsratsausschüssen in Zukunft errechnet werden soll. Mit knapper Mehrheit entschied sich der Stadtrat schließlich für das D’Hondt-Verfahren, dass 2014 abgeschafft worden war, da es als nicht mehr zeitgemäß gilt.

Für 17 der 40 Stadträten/innen, die sich zum Auftakt der neuen sechsjährigen Amtsperiode trafen, war es die erste Stadtratssitzung im neuen Ehrenamt. Einen ähnlich großen Wechsel habe es bisher nur in einer Wahlperiode nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben, konstatierte Oberbürgermeister Manfred Schilder in seiner Ansprache zur neuen Schaffensperiode. Bevor die neuen Räte ihren Amtseid ablegten - mit Mundschutz und im vorgeschriebenen Abstand zueinander - bedankte sich Schilder bei Ihnen für die Bereitschaft, Verantwortung für die Geschicke der Stadt zu übernehmen. Er erinnerte aber auch daran, dass es nun gelte, das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zu rechtfertigen: „Wir sind gemeinsam aufgerufen, Memmingen weiter voranzubringen, für Lebensqualität zu sorgen und den Standort zu stärken“, betonte Schilder. Dies sei mit erheblichem Einsatz verbunden und auch mit einer gewissen Frustrationstoleranz, denn man könne es nun mal nicht allen recht machen. Eine große Herausforderung sei auch die Orientierung am Gemeinwohl, das nicht immer leicht zu erkennen sei, „denn häufig verbirgt sich hinter dem laut verkündeten Gemeinwohl bloßes und egoistisches Eigen- und Einzelinteresse!“, gab der Rathauschef zu bedenken. Es gelte, dem Schwächeren zu helfen, „auch wenn der Druck des Stärkeren übermächtig zu werden droht“.

Rückkehr zum alten Verfahren

Um Machtverhältnisse ging es auch bei der ersten Abstimmung des neuen Stadtrats über die Formel, nach der die Besetzung der Ausschüsse künftig geregelt werden soll. Obwohl das Hare-Niemeyer-System seit sechs Jahren im Stadtrat etabliert ist, schlug die Verwaltung nun im Rahmen der vorgelegten Geschäftsordnung eine Rückkehr zum D’Hondt-Rechenverfahren vor. Nach kontroverser Debatte wurde die Änderung mit einer knappen Mehrheit von 21 zu 20 Stimmen beschlossen. Das D’Hondt-Rechenverfahren ist umstritten, weil es nach Meinung von Experten kleinere Parteien bei der Sitzverteilung benachteiligt. Entsprechend kontrovers war die Debatte die dem Beschluss voranging.

Argumente statt Ausschluss

„Populistische Parteien bekämpft man mit Argumenten und nicht mit dem Ausschluss von Ausschüssen“, mit diesem Argument sprach sich Matthias Ressler, Vorsitzender der SPD-Fraktion, für das seit 2014 angewandte Niemeyer-Verfahren aus. Eine Rückkehr zu d’Hondt sei demokratisch „nicht mehr zu verantworten“, weil es Wahlergebnisse zugunsten der großen Parteien verzerre.

Auch die Fraktionsvorsitzenden Michael Hartge (ÖDP) und Professor Dr. Dieter Buchberger (Grünen/Linke), plädierten dafür, weiterhin das Hare-Niemeyer-Verfahren anzuwenden, da es den Wählerwillen besser abbilde, so Hartge.

"Zurück in die Steinzeit der Demokratie"

Drastischer drückte sich Buchberger aus: Er beschwor die jungen Stadträte "nicht alte Zöpfe durch noch ältere zu ersetzen". D’Hondt bedeute „ein Zurück in die Steinzeit der Demokratie und verdient wissenschaftlich die Note sechs“. Auch seine Fraktion schneidet bei einer Rückkehr zum alten Verfahren schlechter ab: Die Fraktionsgemeinschaft der Grünen und Linken hat sechs Stadtratssitze und damit halb so viele wie die CSU/FDP-Fraktionsgemeinschaft. „Da wäre es doch logisch, dass wir auch im Ausschuss mindestens die Hälfte der Sitze im Vergleich zur CSU/FDP haben. Stattdessen haben wir zwei Sitze und nach d‘Hondt hat die CSU/FDP fünf statt vier Sitze“, rechnete Buchberger vor.

Noch absurder sei die Unverhältnismäßigkeit bei ÖDP und den CRB: „Beide haben vier Stadtratssitze, die CSU/FDP hat zwölf. Das ist ein Verhältnis von eins zu drei“, so Buchberger. „Aber im Ausschuss erhalten ÖDP und CRB je einen Sitz, die CSU/FDP aber die erwähnten fünf“, so Buchberger. Dieses Verhältnis bilde weder den Wählerwillen noch die Sitzverteilung im Stadtrat ab, „es ist somit schlicht und einfach zutiefst undemokratisch und überhöht die Macht der CSU/FDP“, lautet das Fazit des Grünen-Fraktionschefs.

"Kleine Stimmenanteile nicht überproportional berücksichtigen"

Horst Holas, Vorsitzender der CSU/FDP-Fraktion, verteidigte die Rückkehr zum alten Rechensystem, zumal das Hare-Niemeyer-Verfahren ebenfalls angreifbar sei. Kleine Stimmenanteile würden hier seiner Ansicht nach „überproportional berücksichtigt“ und damit die Verhältnismäßigkeit im Plenum nicht richtig widergespiegelt.

Dieser Meinung schloss sich auch der neue Fraktionsvorsitzende des Christlichen Rathausblocks (CRB) Helmuth Barth an. Er wies zudem darauf hin, dass kleine Partei die Möglichkeit hätten, sich mit anderen zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammenzuschließen.

Auch die Freien Wähler sprachen sich mehrheitlich für die Rückkehr zum alten Verfahren aus - ganz einig sei man sich aber nicht, verkündete Fraktionschef Gottfried Voigt. So stimmte Stadtrat Christof Heuß gegen eine Rückkehr zu d’Hondt.

Bei der Abstimmung erreichten die Befürworter von d’Hondt zusammen mit der Stimme von Oberbürgermeister Manfred Schilder eine sehr knappe Mehrheit von 21 zu 20 Stimmen.

Mehr Infos zu den beiden Verfahren zur Berechnung der Sitzverteilung "Hare-Niemeyer" und "d'Hondt" gibt es unter anderem hier: https://www.tagesschau.de/inland/btw17/wahllexikon-h100.html oder https://anwalt-und-kommunalrecht.de/verhaeltniswahl-hare-niemeyer-verfahren-dhondtsches-hoechstzahlverfahren-und-divisorverfahren-nach-sainte-lagueschepers/

Margareta Böckh und Dr. Hans-Martin Steiger als Bürgermeister bestätigt

Vorschriftsmäßig vermummt: Oberbürgermeister Manfred Schilder (Mitte) gratulierte Margareta Böckh und Dr. Hans-Martin Steiger zu ihrer Wiederwahl.

Große Einigkeit hingegen herrschte bei der Wiederwahl von Margareta Böckh und Dr. Hans-Martin Steiger: Die zweite Bürgermeisterin Margareta Böckh wurde mit 34 von 38 abgegebenen gültigen Stimmen im Amt bestätigt. 35 gültige Stimmen erhielt Dr. Hans-Martin Steiger bei der Wahl zum Dritten Bürgermeister. Weitere Kandidaten wurde nicht vorgeschlagen. Oberbürgermeister Manfred Schilder gratulierte seinen erfahrenen und bewährten Mitstreitern sehr herzlich zur Wiederwahl: „Ich freue mich sehr auf die Fortsetzung unserer guten Zusammenarbeit“, so der OB.

Margareta Böckh ist bereits seit zehn Jahren Zweite Bürgermeisterin der Stadt Memmingen. Seit dem Jahr 1996 ist sie Mitglied des Memminger Stadtrats. „Über die vielen Jahre hinweg überzeugte sie durch Tatkraft, Hilfsbereitschaft und Geradlinigkeit“, betonte CSU-Fraktionsvorsitzender Horst Holas. Böckh stehe für Interessensausgleich und Bürgernähe. Holas erinnerte auch an den Einsatz Margareta Böckhs als Stadtoberhaupt nach dem Tod Markus Kennerknechts. Mit großer Freude und großer Dankbarkeit nehme sie die Wahl an, erklärte Bürgermeisterin Margareta Böckh. „Wir müssen die Stadt weiter voranbringen, durch die Krise hindurch in eine gute Zukunft.“

Dr. Hans-Martin Steiger ist seit drei Jahren ehrenamtlicher Dritter Bürgermeister der Stadt Memmingen. Seine Kompetenz und Bürgernähe werden allseits geschätzt, betonte SPD-Fraktionsvorsitzender Matthias Reßler. Bürgermeister Dr. Steiger erklärte, er sei in den vergangenen drei Jahren in seinem Amt als Bürgermeister sehr gerne „Ansprechpartner, Blitzableiter und Kümmerer“ gewesen. Die aktuellen Herausforderungen seien groß, betonte er: „Es geht darum, einen Konsens der Demokraten zu wahren.“

Abstand statt Handschlag und Tuchfühlung: Vereinzelt an 40 Tischen saßen die StadträtInnen in der Stadthalle.

In drei Gruppen traten die neuen Stadträte vor, um ihren Amtseid zu leisten.