"Studieren in Memmingen ist keine Spinnerei"

Politischer Aschermittwoch der SPD in der FCM-Gaststätte

veröffentlicht am 09.03.2019

Über seine Vision eines Gesundheits-, Gewerbe- und Hochschulcamps in Memmingen sprach der Fraktionsvorsitzende Matthias Ressler. Fotos: Würth

Memmingen (ew). Es ging um die Europawahl und es ging um neue Visionen in der Kommunalpolitik beim politischen Aschermittwoch der Memminger SPD, der traditionsgemäß in der FCM-Stadiongaststätte stattfand. Die Redner konzentrierten sich dabei allerdings mehr auf die Themen, als den politischen Gegner zu „derblecken“, wie sonst bei solchen Veranstaltungen üblich.

Auf die versprochenen Kässpatzen musste man erst einmal warten, denn der Memminger SPD-Vorsitzende David Yeow gab erst dem Kandidaten für die Europawahl, Francesco Abate, das Wort, der ein flammendes Plädoyer gegen den Rechtsruck in Europa hielt. Abate schlug dabei eine Brücke zu seinem Geburtsland Italien, in dem „schwangere Frauen, Kranke und Kinder nicht von den Booten gelassen werden“. Das sei beschämend und dagegen müsse man ankämpfen.

Ein weiteres Anliegen Abates ist der Mindestlohn. Es könne nicht angehen, dass es kein europäisches Gesetz gibt, das verhindert, dass Arbeiter in Ungarn oder Rumänien mit zwei bis vier Euro in der Stunde abgespeist werden.

Direkt erlebte Politik

Regina Vogel sprach über die Visionen der Jungsozialisten.

Regina Vogel von den Jusos sprach im Anschluss in einer sehr engagierten Rede über die Visionen der Jungsozialisten. Sie sei in der Zeit nach der Wende aufgewachsen. Ihr habe man versprochen, alles werden zu können denn „Kriege finden woanders statt“. Heute denke sie aber, sei das falsch gewesen und unser System sei nicht sicher. „Wir schaffen uns selber ab“, konstatierte Vogel und meinte weiter, dass die demokratiegefährdenden Mechanismen zu spät erkannt worden seien.

Vogel bedauerte in ihrer Rede die anhaltende Politikerschelte und die Ignoranz vieler Menschen gegenüber unserem Parteisystem. Es gebe durchaus Lobbyistenparteien, „aber es gibt auch uns“, so die Schauspielerin weiter. Das "sogenannte Volk" ist ihrer Meinung nach zu faul, zu ungeduldig und kenne keine Kompromisse. In unserem Land könne man nicht nur wählen, sondern auch partizipieren. "Wir alle gestalten diese Gesellschaft jeden Tag und man kann nicht so tun, als ob man ein Opfer des Systems ist."

Vogel plädierte dafür, Bürger auf lokaler Ebene stärker einzubeziehen. Wo eine Schule gebaut wird, sei keine abstrakte politische Entscheidung, sondern direkt erlebte, erfahrene Politik. Wir müssen lernen, uns zu engagieren. Niemand habe ihr erzählt, dass sie vor Rassismus, Diskriminierung, Nationalismus, Krieg und dem Zerfall unserer Werte Angst haben müsse und ihr sei eine Zukunft versprochen worden. Regina Vogel möchte dieses Versprechen wahr machen und nicht aufgeben, was andere Generationen vor ihr erreicht haben.

Camp als Leuchtturmprojekt

Auch der Fraktionsvorsitzende Matthias Ressler sprach von Visionen und meinte damit den SPD-Antrag auf Planung eines Gesundheits-, Gewerbe- und Hochschulcamps in Memmingen (wir berichteten). Jeder wisse, dass das Memminger Klinikum an seine Grenzen stoße. Ressler sieht dieses Camp als Leuchtturmprojekt und verspricht sich durch weitere Ansiedlung von Gewerbe aus dem medizinischen Bereich einen besseren Gewerbemix und damit eine höhere Widerstandskraft in Krisenzeiten.

Ressler kritisierte in diesem Zusammenhang den Landtagsabgeordneten Klaus Holetschek, der nur rede und nicht handle. Holetschek mache Memmingen kleiner, anstatt das Klinikum zu stärken. Eine Fusion komme für Ressler nur in Frage, wenn der Standort nicht abgebaut wird. Auch die Aussage, dass eine eigenständige Hochschule in Memmingen nicht realistisch sei, wies Ressler entschieden zurück. Im württembergischen Teil unserer Region gebe es vier Mal so viele Studienplätze wie im bayerischen Teil. Studieren in Memmingen sei realistisch und keine Spinnerei.

„Wir haben ein hervorragend aufgestelltes Klinikum"

Hans-Martin Steiger ergänzte zum Thema Klinikfusion, dass in den Medien der Eindruck erweckt wurde, Memmingen sei nicht gut aufgestellt und haben seine Hausaufgaben nicht gemacht. Diese Halbwahrheiten würden ein völlig falsches Bild vermitteln, unser Klinikum werde bewusst heruntergeredet. Das man in der Öffentlichkeit als Bittsteller und Verlierer dastehe, hänge auch mit dem Mehrheitsbeschluss des Stadtrates, der sämtliche Forderungen des Landrats aufgenommen hat, zusammen, so Steiger weiter. Steiger forderte für etwaige künftige Fusionsgespräche erneut ein medizinisches Konzept ohne politische Vorgaben, um Doppelstrukturen zu verhindern. Auch der Eindruck, dass unser Klinikum ohne Fusion nicht überleben könne, sei völliger Unsinn und respektlos gegenüber den Mitarbeitern des Klinikums, so Steiger.

„Ein Memmingen der Bremsspuren“

Über das Bahnhofsareal sprach der ehemalige Landtagsabgeordnete Herbert Müller.

Der ehemalige Landtagsabgeordnete Herbert Müller wies in seiner Rede auf die Wichtigkeit des Bahnhofsareals hin. Die Entwicklung habe vor vielen Jahren eingesetzt, als Memmingen noch ein großes Einzugsgebiet "gleich einem Apfel" gehabt habe. Die letzte Analyse vor sieben Jahren habe aber ergeben, dass dieser Apfel, von dem unser Einzelhandel gelebt habe, von Seiten Kempten und Senden/Neu-Ulm kräftig angebissen worden ist.

Es sei wichtig, wieder Menschen nach Memmingen zu bekommen und nicht zuletzt deshalb habe man versucht, aus dem Bahnhofsviertel etwas Vernünftiges zu machen. Nach viel Diskussion und Bürgerbeteiligung kam ein Entwurf zustande, der nun infrage gestellt werde. Es gibt laut Müller sicher die ein oder andere Verbesserung, aber man könne dort keinen sozialen Wohnbau schaffen. Memmingen müsse aufpassen, dass nicht ein Projekt nach dem anderen „verschütt geht“, so Müller weiter. Man sei zu einem Memmingen der Bremsspuren geworden. Das Bürgerbegehren Bf/4 bedeute weitere fünf bis sechs Jahre Stillstand und das dürfe sich Memmingen unter keinen Umständen erlauben.

Schrebergärten im Memminger Osten

Die Bezirksrätin Petra Beer behandelte zum Abschluss den Memminger Osten. In der Nähe des Freibades gebe es 400 Schrebergärten, aber der Besitzer des Grundstücks möchte dieses möglichst teuer veräußern. Der Flächennutzungsplan weise das Gebiet als Grünfläche aus, schütze aber nicht vor anderer Nutzung. Schrebergärten seien soziale Treffpunkte und deshalb sei dieses Gebiet absolut erhaltenswert. Beer freute sich, dass die Änderung des Flächennutzungsplans und die Aufstellung eines Bebauungsplans bereits erfolgt sind und in der nächsten Stadtratssitzung beschlossen werden.