"Unternehmen benötigen eine Perspektive"

IHK Schwaben zu den wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns

veröffentlicht am 27.01.2021

Dr. Andreas Kopton, Präsident der IHK Schwaben, und Hauptgeschäftsführer Dr. Marc Lucassen. Foto: IHK Schwaben

Augsburg (rad). „Die Stimmung in der Wirtschaft kippt“ - mit dieser Meldung hat die IHK zuletzt deutlich die aktuelle Lage in der heimischen Wirtschaft aufgezeigt. Wir haben uns mit dem Präsidenten der IHK Schwaben, Dr. Andreas Kopton, sowie dem Hauptgeschäftsführer Dr. Marc Lucassen darüber unterhalten.

Herr Dr. Kopton, in Anlehnung an Ihre letzte Pressemeldung, woran machen Sie Ihre Behauptung fest, dass die Stimmung in der Wirtschaft kippt?

Wir spüren das an den zahlreichen Rückmeldungen aus der Unternehmerschaft. Ihr fehlt schlichtweg die Perspektive. Während im Frühjahr die Akzeptanz und das Verständnis für die Corona-Maßnahmen groß waren, wächst das Unverständnis in der Wirtschaft zunehmend. Nach wie vor hat die Politik keine Exit- oder Langfriststrategie. Das Management der Corona-Krise beruht auf Lockdowns, die vor allem zulasten einzelner Branchen gehen. Zusätzlich für Unmut sorgt das oftmals problematische Krisenmanagement bei der operativen Umsetzung der Maßnahmen, z. B. die Verzögerungen bei der Auszahlung der staatlichen Hilfen. Und auch ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Wirtschaft diesen Weg nicht mehr lange bestreiten kann. Noch ist es zu früh, um den wirtschaftlichen Schaden des Lockdowns genau beziffern zu können. Doch klar ist: Mit jedem weiteren Tag, den der Lockdown andauert, nimmt das Insolvenzrisiko zu. Wir spüren bereits einen Anstieg bei der Nachfrage nach unserer Insolvenzberatung.

Welche Branchen sind insbesondere in unserer Region vom wirtschaftlichen Lockdown besonders betroffen?

Während die Bauwirtschaft oder die Industrie bislang besser durch den zweiten Lockdown gekommen sind, wächst die wirtschaftliche Not in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft, den verbrauchernahen Dienstleistungen oder im Einzelhandel täglich.

Mit Blick auf die seit beinahe einem Jahr währende Pandemie, hätten die Wirtschaftsvertreter und die führenden Wirtschaftsunternehmen sich Ihrer Meinung nach viel früher deutlich zu Wort melden müssen?

Die Industrie- und Handelskammern melden sich stetig zu Wort – das geschieht nur nicht immer öffentlich. Wir fungieren in der Corona-Krise vor allem als Transmissionsriemen. Wir greifen gezielt die Sorgen und Nöte der Unternehmen auf und speisen diese Positionen in den politischen Prozess ein. Wir weisen fortlaufend auf Probleme und Missstände hin – sowohl bei den Unterstützungs- und Förderprogrammen als auch bei den wirtschaftsbezogenen Corona-Maßnahmen. Dieses Vorgehen hat sich bewährt. So wurde das Kurzarbeitergeld bereits im letzten Jahr verlängert.

Sie befürchten im laufenden Jahr eine große Anzahl an Insolvenzen. Ist das dann in der Masse auch eine Folge daraus, dass in der Corona-Krise das Anmelden einer Insolvenz abgeschwächt wurde? Manch einer spricht von einer „staatlich verordneten“ Insolvenzverschleppung.

Die Aussetzung der Insolvenzpflicht im vergangenen Jahr hat vielen Unternehmen kurzzeitig Luft verschafft. Viele haben den dadurch gewonnen Spielraum genutzt und über die Sommermonate, als quer durch die bayerisch-schwäbische Wirtschaft eine deutliche konjunkturelle Erhöhung zu spüren war, ihr Überleben gesichert. Trotzdem war es richtig, dass die Politik die Aussetzung der Antragspflicht im Falle einer Zahlungsunfähigkeit nicht weiter verlängert hat. Das hätte im schlimmsten Fall zu einer Kettenreaktion geführt, die Lieferanten, Partner und Gläubiger in einen Abwärtsspirale von zahlungsunfähigen Unternehmen gezogen hätte. Eine Zunahme der Insolvenzen ist jetzt nicht ausgeschlossen, obwohl die Politik derzeit darüber diskutiert, an einer anderen Stelle nachzubessern. So steht der Vorschlag im Raum, die Antragspflicht für die Unternehmen auszusetzen, die aufgrund der Corona-Krise staatliche Hilfen beantragt, aber noch nicht bekommen haben. Daher ist es umso wichtiger, dass die Hilfszahlungen zeitnah bei den Unternehmen ankommen. Es kann nicht sein, dass Unternehmen zahlungsunfähig werden, weil der Staat versprochene Gelder nicht auszahlt.

Hat die Politik oder/und die Vertreter der Wirtschaft den Blick auf die Interessen und Probleme der kleinen und kleinsten Unternehmen zu lange vernachlässigt?

Als Industrie- und Handelskammer haben wir alle Unternehmen im Blick. Daher haben wir sofort interveniert, als anfangs den kleineren Unternehmen der Zugang zu Förderkrediten staatlicher Banken versperrt war. Die Politik hat manchmal nicht immer alle Branchen im Fokus – wie etwa die Veranstaltungsbranche oder die Kunst- und Kreativwirtschaft. In solchen Fällen drängen wir umgehend auf Nachbesserungen. Der Teufel der Hilfsmaßnahmen steckt im Detail – scheinbare Kleinigkeiten können große Gruppen von Betrieben von gewissen Zuwendungen ausschließen oder benachteiligen. Daher sind wir im ständigen Austausch mit der Politik, damit die Unterstützung allen Unternehmen zugutekommt, die unter den Corona-Maßnahmen leiden.

Sie fordern einen Systemwechsel, weg von der Symptom- hin zur Ursachenbekämpfung – wie sollte die Ursachenbekämpfung Ihrer Meinung nach aussehen?

Wir müssen den Unternehmen wieder eine Perspektive geben. Wir müssen ihnen ermöglichen, selbst Umsätze zu erwirtschaften, statt sie von staatlichen Hilfsprogrammen abhängig zu machen. Wir müssen Konzepte entwickeln, wie wir den Gesundheitsschutz sicherstellen und gleichzeitig den Re-Start der Wirtschaft gestalten. Ganze Branchen monatelang herunterzufahren, darf nicht das alleinige Mittel sein, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Wir müssen andere Strategien diskutieren: Was ist z. B. mit der Corona-Warn-App? Wie können wir dieses Tool effektiver einsetzen? Wieso hatten wir in Bayern Click&Collect für den Einzelhandel verboten, während andere Bundesländer diese Möglichkeit bereits angeboten haben? Uns müssen doch neue digitale Lösungen einfallen, anstatt nach einem Jahr immer noch einfach alle Geschäfte zu schließen.

Kontaktbeschränkungen hin oder her, die immer rigider werdenden Beschränkungen der Politik bringen nicht den durchschlagenden Erfolg bei der Pandemiebekämpfung. Müssen wir nicht vielmehr lernen, mit einer derartigen Bedrohung zu leben und uns darauf einzustellen? Die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben bei jeder Bedrohung herunterzufahren kann keine Dauerlösung sein.

Wie wir mit solch einer Bedrohung umgehen, sollte gesamtgesellschaftlich diskutiert werden. Als Vertreter der Wirtschaft habe ich zunächst die verheerenden Folgen für die Unternehmen vor Augen. Ein monatelanger Lockdown hat selbstverständlich auch dramatische Konsequenzen in vielen anderen Lebensbereichen, etwa für Kinder und Jugendliche. Die Abwägung von verschiedenen Grundrechten ist immer schwierig, doch diese Diskussion müssen wir alle führen.

Was wünschen Sie sich als IHK von der deutschen und insbesondere bayerischen Politik für die aktuelle Pandemie und für künftigen Bedrohungen ähnlicher Art?

Bislang war die bayerische Politik sehr gesprächsbereit und offen für Kritik und Anregungen. Das sollte auf jeden Fall so bleiben. Bei allem Verständnis für die Komplexität einer Pandemie: Langfristiges Denken schadet nie. Gerade in solch harten Zeiten benötigen Unternehmen eine Perspektive, die sie motiviert und auf die sie hinarbeiten können. Gleichzeitig sollten wir uns noch mehr trauen, Maßnahmen so unbürokratisch wie möglich zu gestalten. Für analoge Anmeldeformulare, nicht funktionierende Softwareanwendungen und Kleingedrucktes hat heutzutage niemand mehr Verständnis.