„Verbrecherjagd versus Bürgerspionage“

Kriminaloberkommissar informiert zum Thema Vorratsdatenspeicherung

veröffentlicht am 25.05.2018

Daniel Pflügl erläutert, welche Daten für die polizeiliche Ermittlung relevant sind. Foto: Sonnleitner 

Memmingen (as). Ist die staatliche Vorratsdatenspeicherung (VDS) - tatsächlich ein notwendiges Mittel im Kampf gegen das Verbrechen? Oder nur ein billiger Vorwand, um die Lebensgewohnheiten der Bürger auszuspionieren? Und was wird eigentlich wie lange gespeichert, was weiß der Staat über uns? – Lokale-Redakteurin Antje Sonnleitner befragte Daniel Pflügl, Kriminaloberkommissar bei der Kripo Memmingen und Landtagskandidat der Memminger Grünen, im Anschluss an einen spannenden Vortragsabend im Hotel Rohrbecks.

Herr Pflügl, die Vorratsdatenspeicherung hat in den letzten Jahren europaweit zu einer Dauerkontroverse geführt. Anhand detaillierter Schilderungen überzeugten Sie die kritischen Zuhörer aus den Reihen der Grünen davon, dass die Skepsis gegenüber des Instruments der staatlichen Vorratsdatenspeicherung zur Aufklärung von Verbrechen vor allem auf  Informationsdefiziten beruht.

Die Dinge kritisch zu hinterfragen, ist absolut okay und auch richtig. Bei der Thematik Vorratsdatenspeicherung ist mir allerdings aufgefallen, dass viele Bürgerinnen und Bürger eigentlich gar nicht genau wissen, was es damit auf sich hat. Während Konzerne wie Google, Apple & Co staubsaugerartig intimste Informationen über unsere Smartphones hamstern, dürfen Ermittler bei der Aufklärung von Schwerstverbrechen nur auf einen Bruchteil der digitalen Spuren zurückgreifen, welche wir unaufhörlich mit unseren Handys in der virtuellen Welt hinterlassen.

Wer kürzlich auf whatsapp, facebook oder Google auf „okay“ geklickt hat, ohne all das Kleingedruckte zur EU-DSGVO gelesen zu haben, hat damit einer weltweiten Nutzung, Verbreitung und Auswertung aller Informationen und Inhalte aus seinem Handy an Unternehmen und Drittanbieter zugestimmt?

Das ist richtig. Während wir in Bezug auf polizeiliche Zugriffe auf Vorratsdaten eine große Wachsamkeit an den Tag legen, nehmen wir das unüberschaubare Sammeln und Veräußern unserer höchstpersönlichen Daten durch Internetdienste, mehr oder weniger schulterzuckend in Kauf. Google setzte im  sogenannten “Big-Data-Business“ letztes Jahr beispielsweise etwa 80 Milliarden US-Dollar um. Doch wer unsere Daten letztlich käuflich erwirbt und was er damit anstellt, bleibt für uns im Dunkeln. Das finde ich besorgniserregend.

Wie Sie erklärten, ist die Datensammlung von Smartphones viel umfangreicher als uns bewusst ist?

Stimmt. Dienste wie WhatsApp greifen z.B. alle Daten ab, welche wir über unser Smartphone Preis geben. Und eine Gesichtserkennungssoftware von Facebook erfasst und analysiert nicht nur mein Gesicht auf einem hochgeladenen Handyfoto, sondern auch die Gesichter der Unbeteiligten, die im Hintergrund zu sehen sind. Dabei bleibt mir als Nutzer oft keine andere Möglichkeit als mitzuspielen: Akzeptiere ich z.B. die neuen Bedingungen von WhatsApp nicht, kann ich den Dienst schlicht und ergreifend nicht mehr nutzen.

Auf welche Daten darf der Staat denn überhaupt zugreifen?

Wichtig zu wissen ist, dass der Staat, also die Polizei, keine derartigen Daten auf Vorrat sammelt. Zur Abwehr einer erheblichen Gefahr können aber beispielsweise bei einem Provider Name und Anschrift, sogenannte Bestandsdaten, abgefragt werden, welche zu einem Telefonanschluss hinterlegt sind. Ohne ausreichende und nachvollziehbare Begründung gibt es allerdings keine Auskunft. Die andere Möglichkeit besteht bei der Aufklärung von schwersten Straftaten. Nach Prüfung durch einen Staatsanwalt und einem Richter, dürfen die Ermittler unter Vorlage eines richterlichen Beschlusses an den Provider heran treten, um beispielsweise die Standortdaten einer verschwundenen Person zu erfragen. Neben diesen Daten bekommen Ermittler im Bedarfsfall noch eine Art Verbindungsnachweis. Und das war`s dann auch schon im Großen und Ganzen. Auf Gesprächsinhalte oder sonstige übermittelte Daten, wie gesendete Fotos, kann und darf die Polizei nicht zugreifen.

Der Provider muss also lediglich Daten wie Standort, Rufnummern und IP-Adressen und auch nur dann auf richterlichen Beschluss hin zur Verfügung stellen?

Genau. Ohne richterlichen Beschluss gibt der Provider keine Daten heraus. Es ist einem Polizisten also nicht möglich, mal eben schnell aus Neugierde die Standortdaten seiner Nachbarin abzufragen.

Welche Daten sind für die polizeiliche Ermittlung besonders relevant?

Das sind vor allem die Standortdaten. Doch aufgrund fehlender gesetzlicher Regelungen speichern die Provider, also die Internet- und Mobilfunkanbieter, diese nur für kurze Zeit. Deshalb sind diese Daten oftmals nicht mehr verfügbar, wenn sich der Verdacht eines Verbrechens erst später ergibt.

Stellen Ihnen die Social Media Anbieter bei schweren Straftaten denn keine Informationen zur Verfügung?

Nein, Facebook oder WhatsApp, sammeln diese Daten bewusst außerhalb der EU und verhalten sich äußerst sperrig. Obwohl wir auch z.B. in den USA natürlich nur nach Daten fragen, die wir nach der hiesigen Rechtsgrundlage bekämen. Also Bestands-, Standort- oder Verbindungsdaten. Keine Fotos oder dergleichen.

In ihrem Vortrag räumten Sie ein, dass nicht alle Argumente der VDS-Gegner von der Hand zu weisen sind.

Wenn behauptet wird, dass der Zugriff auf Vorratsdaten durch die Polizei ohnehin nur verhältnismäßig selten vorkommt, dann ist das korrekt. Denn der Zugriff ist ja überhaupt nur bei schwersten Delikten rechtlich möglich. Und ein Mord passiert im Verhältnis zu einem Ladendiebstahl eben verhältnismäßig selten. Aber wenn er passiert, dann ist es unser Job und unser Anspruch, das Schicksal des Opfers aufzuklären.

Info: Unter Vorratsdatenspeicherung versteht man das anlasslose Speichern persönlicher Daten durch Telekommunikationsanbieter (Provider), sodass staatliche Behörden im Bedarfsfall (beispielsweise bei kriminalpolizeilichen Ermittlungen) auf diese zugreifen können. Aufgrund einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Jahr 2010 musste die gesetzliche Grundlage hierfür neu geregelt werden. Der im Oktober 2015 verabschiedete Gesetzesentwurf liegt allerdings seitdem auf Eis, nachdem der BGH bis heute zahlreiche, gegen den Entwurf eingereichte Verfassungsbeschwerden prüft.