Von der "Reinheit des Willens, Opfer zu bringen"

"VerVolkt" ist noch bis 7. August im Stadtmuseum zu sehen

veröffentlicht am 13.06.2022

Braunhemden und Hakenkreuz: Der Memminger Rathausplatz 1934.

Memmingen (as). Noch bis 7. August ist die viel beachtete, von Regina Gropper kuratierte Ausstellung "VerVolkt – Dieses Projekt kann Spuren von Nazis enthalten!“ im Stadtmuseum zu sehen. Das Forschungs- und Sammlungsprojekt soll nicht nur an die Opfer des Nationalsozialismus in Memmingen und dem Allgäu erinnern, sondern „aufmerksam machen auf etwas, das nie wirklich weg war“. Im Zentrum steht ein Film , den der Allgäuer Filmemachers Leo Hiemer eigens für „VerVolkt“ produziert hat.

Die NSDAP übernahm auch in Memmingen 1933 die Führung, eindrucksvolle Bilder aus privaten Nachlässen zeigen, wie das Memminger Kinderfest in den 1930er Jahren für die Nazi-Propaganda instrumentalisiert wurden. Auch der seit 1931 in Memmingen amtierende Oberbürgermeister Dr. Heinrich Berndl macht in der Ausstellung keine gute Figur. Auf einem Foto steht er in seiner Rolle als SA-Truppführer neben Hermann Esser, dem Staatsminister für Volksaufklärung und Propaganda, einem Wegbereiter des Holocaust. „Dr. Berndl ist sicherlich eine der schwierigen Personen der Memminger Zeitgeschichte. Wenn es den Interessen der Stadt nützte, beteiligte er sich auch aktiv an der Judenverfolgung.“, erklärt Heimatpflegerin und Stadtführerin Sabine Streck bei einer Führung durch die Ausstellung.

Dieses Leuchtbild erhielt Kreisleiter Wilhelm Schwarz 1942 von der Stadt Memmingen zu seinem 40. Geburtstag.

Adolf-Hitler-Platz, so hieß der Weinmarkt damals, als das Leben auch in Memmingen der nationalsozialistischen Propaganda angepasst und kontrolliert wurde (immerhin hat der Führer die Stadt im Januar 1928 persönlich beehrt). Die Juden wurden vom öffentlichen Leben systematisch ausgeschlossen, erste Vorboten dieser Ausgrenzung zeigten sich bereist 1920. 1933 begann auch in Memmingen die Entrechtung, Vertreibung und Ermordung der jüdischen Mitbürger. Wer nicht rechtzeitig floh, wurde später deportiert. „1941 werden die letzten in Memmingen lebenden Juden in ein Haus mit zwei Wohnungen umgelagert.1942 wurden 25 von ihnen deportiert und in einem Konzentrationslager im Osten getötet“, ist der Tafel „Memmingen und der Nationalsozialismus“ zu entnehmen.

Sabine Streck erzählt von Kreisleiter Wilhelm Schwarz, Herausgeber des Allgäuer Beobachters, der 1948 im Synagogenprozess vor dem Landgericht Memmingen zu zwei Jahren Haft wegen Zerstörung der Synagoge verurteilt wurde. Obgleich er in Folge immer wieder verurteilt wurde und Berufsverbot erhielt, dufte er ab 1958 bis zu seinem seligen Ableben wieder in Memmingen als Anwalt tätig sein.

„Memmingen rühmte sich 1942 (…) als judenfrei. Rund um die Stadt gab es zahlreiche ‚Musterdörfer‘, bis heute wird auf dem Land über Täter und Opfer eisern geschweigen“, ist auf einer Tafel zu lesen.

Vorsicht Umerziehung: Diese Bilder zeigen unter anderem, wie der rassenreine Deutsche auszusehen hat.

In einem großen Raum sind die Ausstellungstafeln vom Martin-Luther-Platz ausgelegt, die durch Vandalismus mehrmals selbst zum Zeugnis von Zerstörung wurden.

„Stärke liegt (…) in der Reinheit des Willens, Opfer zu bringen“, wird der Führer in einer der ausliegenden Dokumentationen zitiert. Ein Raum widmet sich unter dem Motto „Anne Franks schwäbische Geschwister“ den verfolgten Kindern und Jugendlichen, die im KZ starben oder aufgrund von Behinderungen zum Opfern der Kindereuthanasie wurden, die sich der „Ausmerzung nutzloser Ballastexistenzen“ verschrieben hatte. Ein bekanntes Schicksal ist das von Ernst Lossa, der 1944 mit 14 Jahren in der „Heil-und Pflegeanstalt“ Irsee ermordet wurde.

In einem Raum, der sich der Umerziehung und Gehirnwäsche durch die Nazis widmet, zeigten sich die Teilnehmer der Museumsführung sehr beeindruckt von einem Album, das aus Fotos eines Memminger Nachlasses zusammengestellt wurde. Das Exponat zeige eindrucksvoll, „wie braun diese Stadt war“, so Streck. In einer Vitrine sind die Schulhefte eines Memminger Mädchens ausgestellt, die von der pädagogischen Propaganda durch die Nazis zeugen. So auch das Morgengebet einer Kindertagesstätte: „Händchen falten, Köpfchen senken und an Adolf Hitler denken“. Beleuchtet wird auch die Rolle von Lehrern und Pfarrern, die als „Brandstifter auf dem Land“ fungierten.

VerVolkt II: Ergänzt wurde das Sammlungsprojekt mit dem Verfolgungsschicksal des Memminger KPD-Leiters Josef Diefenthaler und seiner Ehefrau Linda sowie mit Informationen über den Legauer Pfarrer Magnus Gött und dessen Briefwechsel mit Adolf Hitler.

Medienstationen: Zu sehen ist neben dem Film "Kann Spuren von Nazis enthalten" auch ein Kurzfilm von Leo Hiemer mit dem Titel „Zwei Männer! Zwei Gitarren! Die Faltas!".

Programmhinweis: Am Dienstag, 28. Juni, 19 Uhr liest Robert Domes in der Stadtbibliothek aus seinem Buch „Waggon vierter Klasse“. Telefonische Anmeldung unter 08331/850-134.

Blumenkränze und Hitlergruß: Auch das Memminger Kinderfest wurde in den 1930er Jahren für die Nazi-Propaganda instrumentalisiert.