Von Serienmödern und Kannibalen

Auf den Spuren spektakulärer Verbrechen: Dr. Mark Benecke im Kaminwerk

veröffentlicht am 19.01.2018

"Popstar der Wissenschaft" und Starautor: Dr. Mark Benecke trat vor 400 Zuschauern und Fans im Kaminwerk auf. Fotos: Sonnleitner

Memmingen (as). "Dr. Tod", wie einer seiner vielen Spitznamen lautet, ist längt Kult: In schwarzer Kluft, gepierct und tätowiert bis an die Ohren, tritt der Mann, der sich gern als "Popstar der Wissenschaft“ feiern lässt, im Kaminwerk auf. Der ein oder andere kalte Schauer kann einem durchaus über den Rücken laufen, wenn Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke erklärt, wie Serienmörder ticken und was sie umtreibt. Zuvor wurde das Publikum im ausverkauften Saal mit Gothic-Sounds auf den Abend in imaginärer Gesellschaft von Serienmördern und Kannibalen eingestimmt.

„Es gibt keine Wahrheit, nur viele verschiedene Standpunkte“, erläutert der Forensiker seinem Publikum im ausverkauften Kaminwerk. In seiner "Spurenwelt" ist jegliche Erfahrung wertlos, führt sie doch nur weg von der Unbefangenheit der Betrachtung. Völlig unbefangen, „wie ein kleines Kind“, geht der Mann, der immer eine Lupe dabei hat, auf Spurensuche - „ohne in eine Deutung einzusteigen oder Zusammenhänge herzustellen“, wie er sagt. Denn: „Lebensnah, wahrscheinlich oder vernünftig ist keiner dieser Fälle“, erklärt Benecke, „die Welt besteht hauptsächlich aus verrückten Dingen!".

In der Pause posiert Mark Benecke für die Presse, pflegt seinen Facebook-Fanclub und signiert Bücher mit reißerischen Titeln wie „Aus der Dunkelkammer des Bösen“ . Auch seine Fauch-Schaben (Insekten) stehen für Selfies und Streicheleinheiten zur Verfügung.

Spurensuche am Memminger Bahnhof

Seine „Betrachtung“ am Vortragsabend beginnt in der verschmutzten Unterführung am Memminger Bahnhof, die er neben anderen urbanen Spurenwelten auf der Leinwand vorführt - ein Dreck-Dorado für den weltweit gefragten Kriminalbiologen und Experten in forensischer Entomologie (Insektenkunde). Doch kleine Tierchen wie Würmer und Maden - treue Assistenten der Forensik - spielten an diesem Abend nur eine Nebenrolle. (Immerhin hatte der „Herr der Fliegen“ einige Fauch-Schaben in einer Dose mitgebracht, die der Zuschauer bei pfleglicher Behandlung inspizieren durfte).  

Das Phänomen des Serienmordes führt den Spurenkundler (der auch schon Alfred Hitlers Schädel inspizierte) vielmehr in psychologische Kategorien wie Sadismus, Kannibalismus und Pädophilie. Mit dem Phänomen konfrontiert wurde er durch ein Interview mit dem Kolumbianer Luis Alfredo Garavito Cubillos, der 300 Kinder getötet hat.

"Sexuelle Kernfantasien"

"Die meisten Täter setzen ihre sexuellen Kernfantasien um", erläutert Benecke. So zum Beispiel der Kannibale von Rothenburg, Armin Meiwes, der seinen Liebhaber mit dessen Einverständnis tötete, ihn schmackhaft zubereitete und sich einverleibte. "Eigentlich ein netter Kerl, weder psychisch krank noch sadistisch", meint der Referent. Ganz im Gegensatz zu dem ebenfalls homosexuellen, aber psychopathischen und sadistischen Kindermörder Jürgen Bartsch, "ein glühender Narzisst“, der zwischen 1962 und 1966 vier Jungen zu Tode folterte. Dass er dabei eine Art „Candlelight-Szenario“ kreierte, interpretiert Benecke (als Spurensucher ein erklärter Feind jeglicher Deutung) als „Bindungsverhalten".   

„Ich hab dich zum Fressen gern“

Eine Bindungssuche besonderer Art war auch der legendäre Fall des Serienmörders „Vater Denke“ aus Münsterberg (Niederschlesien) vor, der zwischen 1914 und 1924 Männer und Frauen allen Alters schlachtete, ihr Fleisch verspeiste oder verkaufte und die Haut zu Schuhen, Hosenträgern oder Körben verarbeitete.

„Ein gemeinsamer Nenner der Täter ist, dass sie stark bindungsgestört sind“, erklärt Benecke. Als Ersatz für ein echte Beziehung und Nähe wollen sie zum Beispiel mit der Haut des Opfers in Berührung kommen. Die „krasseste Form von Bindungsüberbrückung“ so Benecke, sei sich das Opfer bzw. Liebesobjekt einzuverleiben. So werde der Spruch „Ich hab dich zum Fressen gern“ zur grausigen Realität. Insgesamt betrachtet, käme Kannibalismus zwar regelmäßig, aber eher selten vor.

Der Schein trügt

Der durchschnittliche Serientäter habe übrigens blank geputzte Schuhe und sehe insgesamt "eher brav und überangepasst" aus. Kein scheußliches Monster also, sondern nach außen hin eher der nette Mann von nebenan, "der auf der Treppe immer so freundlich gegrüßt hat“. Zuweilen kann also auch die Abwesenheit von Dreck verräterisch sein!

Ausgeprägte Vorliebe für Tote und Untote

Mark Benecke hat einen Hang zum Spektakulären und eine ausgeprägte Vorliebe für Tote und Untote. Der Anhänger des tiefenentspannten „Dudeismus“ und Satire-Politiker („Die Partei“) ist Vorstand der deutschen Dracula-Gesellschaft und Vorsitzender des Vereins „Pro Tattoo“.

Schnoddrig-jugendlicher Vortragsstil

Nebenbei ist der Wahl-Kölner Benecke ein erzsympathischer Zeitgenosse und ein charmanter Entertainer - und begnadeter Selbstdarsteller. Auch sein schnoddrig-jugendlicher Vortragsstil kommt beim Publikum sehr gut an. So ist sein insgesamt etwa dreistündiger, engagierter Vortrag recht kurzweilig, wenn auch, bedingt durch Beneckes assoziative Denkweise, etwas sprunghaft und unstrukturiert - was die Konzentration des Zuhörers fordert.

Bunt gemischt ist sein Publikum im Kaminwerk: Neben Anhängern der Gothic-Szene und Fans seiner populärwissenschaftlichen Reality-Krimis gab es auch fachlich Interessierte aus dem Polizei- oder Medizinbereich, die sich den Vortrag als Fortbildung attestieren lassen konnten.

Dr. Benecke verwies auch auf Programme zur Gewaltprävention wie "Kein Täter werden", die unter anderem Therapien für Männer mit pädophilen Neigungen anbieten.

Info: Nach dem Studium der Biologie, Zoologie und Psychologie an der Universität zu Köln und der Promotion über genetische Fingerabdrücke absolvierte Benecke diverse polizeitechnische Ausbildungen innerhalb der Rechtsmedizin in den Vereinigten Staaten, darunter an der FBI-Academy. Benecke wird als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger herangezogen, um biologische Spuren bei vermuteten Gewaltverbrechen mit Todesfolgen auszuwerten. Er ist darüber hinaus Ausbilder an deutschen Polizeischulen sowie Gastdozent in den Vereinigten Staaten, Vietnam, Kolumbien und auf den Philippinen. (Quelle: Wikipedia)