„Wir wollen mit Vollgas aus der Krise starten“

Landrat Alex Eder spricht über seine neue Aufgabe, seine Pläne und Ziele – und über Corona

veröffentlicht am 25.05.2020

Seit 1. Mai lenkt der neue Landrat Alex Eder die Geschicke des Landkreises Unterallgäu. Fotos: Radeck und Sonnleitner

Unterallgäu (as). Mit überragender Mehrheit hatte er sich gegen seinen Mitbewerber Rainer Schaal von der CSU in der Stichwahl durchgesetzt: Alex Eder, der Kandidat der Freie Wähler, sitzt seit 1. Mai im Chefsessel des Landratsamts Unterallgäu. Die Lokale sprach mit ihm über die ersten Wochen im neuen Amt unter dem Zeichen von Corona, seine Vorhaben für die Zeit danach und seine Verortung bei den Freien Wählern. Der Blick geht auch zurück auf den Herbst 2019, als der Baudirektor Alex Eder sich entschloss, die Politik zum Beruf zu machen.

Herr Eder, Sie sind seit knapp einem Monat im Amt - eigentlich noch keine Zeitspanne, ein erstes Resümee zu ziehen. Dennoch, wie war der Auftakt, wie sahen Ihre ersten Arbeitstage bzw. -wochen aus?

Spannend, aufregend, die Arbeit hat auf jeden Fall viel Spaß gemacht. Ich fange schon vor 7 Uhr an, was anfangs für einige Verwirrung gesorgt hat, aber wenn ich als erster da bin, kann ich schon mal in Ruhe einen Teil des Postberges abarbeiten. Und egal wie spät ich gehe, die Arbeit ist nie erledigt.

Es ist sehr viel wert, dass das Haus so gut funktioniert und lediglich der Chefsessel neu besetzt wurde. Ich bin sehr herzlich und freundlich aufgenommen worden und werde von allen Seiten unterstützt.

Steht Ihr Vorgänger Hans-Joachim Weirather Ihnen im Zweifelsfall noch zur Seite?

Herr Weirather hält sich natürlich zurück, doch wenn ich seinen Rat brauche, ist er immer für mich da.

Ihre ersten Wochen im Amt standen ganz im Zeichen von Corona. Der Landkreis ist aufgrund der aktuellen Krise sehr gefordert, insbesondere finanziell. Haben Sie schon einen Überblick, inwieweit der Haushalt und bereits beschlossene Maßnahmen „über den Haufen“ geworfen werden müssen?

Bei der ersten Kreisausschusssitzung ging es auch um die Mehrausgaben für Corona. Wir suchen nach Einsparmöglichkeiten da wo es uns derzeit am wenigsten weh tut. Es gab viel Diskussionsbedarf, denn sparen tut halt immer weh. Doch wir können nicht so weitermachen, als ob nichts gewesen wäre. Der Landkreis hat in den letzten Jahren zwar Schulden abgebaut, doch so ein richtig dickes Polster ist nicht da.

Bleiben wir bei Corona, das Virus hat uns gewaltig im Griff und beschränkt insbesondere in Bayern den beruflichen wie privaten Alltag. Wie beurteilen Sie die Zustimmung der Menschen zu den Maßnahmen der Regierung?

Das Feedback ist sehr zwiespältig. Ich bekomme viele Nachrichten. Die einen fordern mich auf, diesen „Irrsinn“ doch bitte zu beenden, wobei der Landkreis keine Spielräume für Lockerungen hat. Auch wir müssen uns an die Vorgaben des Freistaates halten. Die anderen fordern hartes Durchgreifen gegen Demonstranten und verlangen, dass jeder sich zusammenreißt und brav seine Maske aufsetzt. Die Bürger, die abwägen, schreiben keine E-Mails. Bei mir kommen vor allem die Extreme an.

Haben Sie als Landrat für die Demonstrationen und Forderungen nach weiteren und schnelleren Öffnungen Verständnis?

Für friedliche Demonstrationen wie die in Mindelheim, bei denen sich alle an die Spielregeln halten, habe ich absolutes Verständnis. Unsere Grundrechte sind es immer wert, dass wir dafür einstehen und Beschränkungen gründlich prüfen. Und wenn Ängste da sind, muss man das auch sagen dürfen. Andererseits ist es vom jetzigen Standpunkt aus leicht zu sagen, dass die Verantwortlichen übertrieben haben - eine verhinderte Katastrophe dankt einem halt niemand.

Was steht bei Ihnen in den nächsten Wochen ganz oben auf der Agenda?

Wir habe viele Verkehrsthemen, demnächst steht ein Gespräch über die Staudenbahn an sowie der weitere Ausbau des Flexibusnetzes. Ich möchte den Vorsprung des Landkreises in Bezug auf regenerative Energien weiter ausbauen und plane einen Gipfel mit den Unternehmen, um darüber zu beraten, wie wir uns hier weiter aufstellen. Letzte Woche hatten wir eine erste Runde mit Wirtschaftsvertretern aus der Region.

Sie stehen also schon in den Startlöchern für die Zeit nach der Krise?

Ja, wir hatten in den letzten 14 Tagen nur eine Neuinfektion im Unterallgäu. Derzeit sammeln wir Ideen, damit wir mit Vollgas aus der Krise herausstarten können, sobald es vom Gesundheitlichen her möglich ist. Wir hoffen, mit einem blauen Auge davonzukommen.

Ein Blick zurück: Im Herbst 2019 fragten die Freien Wähler Sie, ob Sie als Landrat kandidieren wollen. Kam die Anfrage überraschend?

Absolut! Ich kannte durch meine beruflichen Stationen an verschiedenen Staatlichen Bauämtern bereits einige Landräte. Diese waren im jeweiligen Landkreis immer sehr wichtige Ansprechpartner. Es waren immer viele Schnittpunkte da, wenn es zum Beispiel um das Kreisstraßennetz ging oder wenn sich der jeweilige Landrat für eine Ortsumgehung eingesetzt hat. Für mich waren die Besprechungen mit den Landräten etwas Besonderes, das waren Termine, für die man sich seine schönste Krawatte herausgesucht hat. Ich habe nie daran gedacht, selbst einmal auf dieser Seite des Tisches zu sitzen und die Politik zum Beruf zu machen.

Wie kam der Sinneswandel zustande?

Der Beruf des Landrats beinhaltet genau das, was ich auch an meinem bisherigen Beruf schätzte: Draußen vor Ort ganz konkret Dinge zu bewirken und zu entscheiden. Orientiert an Richtlinien dennoch Spielräume zu finden. Die Spielräume sind, definiert durch Recht und Gesetz, ungefähr die gleichen, aber das Aufgabenspektrum ist halt viel breiter. Und das hat mich sehr gereizt. Mir eröffnete sich da eine Chance, die ist einmalig im Leben. Das wollte ich mit ganzer Kraft angehen.

Hatten Sie erwartet, mit so großem Vorsprung vor Ihren Mitbewerbern zu gewinnen?

Ich habe mir durchaus Chancen ausgerechnet, doch die Zustimmung bei der Wahl war größer als ich erwartet hatte Für viele mag es ein Déjà Vu gewesen sein - mit Hans-Joachim Weirather hatte man gute Erfahrungen gemacht, auch er war Kandidat der FW mit einem ganz ähnlichen beruflichen Hintergrund und hatte bis zu seiner Nominierung keine Ambitionen auf eine politische Karriere.

Sie sind parteiloses Mitglied der Freien Wähler Unterallgäu. Ist es ein Vorteil, als Landrat keine parteipolitische Karriere durchlaufen zu haben, um über Parteigrenzen hinweg agieren zu können?

Die Grundidee der Freien Wähler, sich unabhängig vor Ort zu engagieren, ohne Verstrickungen nach München oder Berlin, finde ich vom Gedanken her attraktiv. Darin habe ich mich wiedergefunden. Die Eignung für politische Ämter muss vom Fachverstand abhängen. Es darf nicht darum gehen, dass jemand lang genug die richtigen Leute kannte, um in wichtige Positionen zu kommen.

Diese Grundidee scheint beim Wähler ganz gut anzukommen und eine Vertrauensbasis zu schaffen.

Ja - für mich ist es ein großer Unterscheid ob es um Kommunal- oder Bundespolitik geht. Wenn es um ein gesamtes Bundesland geht, muss man sich darauf verlassen können, dass es gewisse Grundkonzepte gibt wie die Programme der Parteien. Auf kommunaler Ebene brauchen wir den parteilichen Überbau nicht, weil wir mit unseren eigenen Besonderheiten beschäftigt sind, die sich regional stark unterscheiden. Hier geht es darum, dass jemand da ist, der sich in erster Linie um die Region kümmert.

Als jüngster Landrat in Schwaben sind Sie im Digitalen zuhause - was nicht nur den bislang stark papierlastigen Abläufen im Landratsamt zugutekommt, sondern auch in vielen anderen Bereichen wie Bildung, Energie und Klima Verbesserungen bringt. Das Digitale hat sogar Vorteile für die Demokratie: Sie planen digitale Information und Aufklärung über politische Entscheidungen des Kreistags sowie die Abfrage von Stimmungsbildern. Wie genau kann man sich Letzteres vorstellen?

Ich bin ein Freund von direkter Demokratie und könnte mir vorstellen, bei Fragen, die sich dafür eignen, Stimmungen und Meinungen abzufragen, um näher am Bürger dran zu sein. Das sind zwar nur Tendenzen, doch wenn ich mich in ein 60-köpfiges Kreistagsgremium hineinbegebe und sage, wir stimmen heute über etwas ab, zu dem 80 Prozent der Unterallgäuer diese und jene Meinung haben, dann weiß ich: Selbst wenn es zu einer anderen Entscheidung kommt, habe ich die Aufgabe, ganz klar zu kommunizieren, warum.

Unter ihrer Wahlkampf-Rubrik „Weiter so und mehr davon“ haben Sie sich eine Fülle von Aufgaben und Zielen vorgenommen. Vom energetisch autarken und klimaneutralen Unterallgäu über Digitalisierung und Schulförderungen, Mobilitätskonzept, Fachkräftewerbung bis zur Förderung des intakten Vereinslebens und eines seniorenpolitischen Gesamtkonzepts reichen die Pläne. Was liegt Ihnen am meisten am Herzen, was hat Priorität?

Ich habe meine Wünsche in den verschiedenen Abteilungen des Hauses angesprochen, doch derzeit bin ich noch so damit beschäftigt, das tägliche Hamsterrad am Laufen zu halten, das ich nur wenig Zeit finde. Ich werde die politische Wunschliste, mit der ich auch im Wahlkampf angetreten bin, Stück für Stück realisieren. Doch die öffentliche Hand ist ein großer Tanker, den man nicht mal so eben schnell umlenken kann.

Info: Der 1983 in München geborene Alex Eder folgte am 1. Mai 2020 auf Hans-Joachim Weirather als Landrat des Landkreises Unterallgäu. Alex Eder studierte von 2003 bis 2008 Bauingenieurwesen an der Technischen Universität München und schloss als Dipl.-Ing. Univ. ab. Nach dem Referendariat zum Regierungsbaumeister (ab 2008) war er als Abteilungsleiter an verschiedenen Staatlichen Bauämtern sowie am Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr tätig. Seit 2019 war er Abteilungsleiter im Rang eines Regierungsdirektors am Staatlichen Bauamt Krumbach (Schwaben).