Bürgerinitiative Bf/4 punktet beim Publikum

Podiumsdiskussion zur Gestaltung des Bahnhofareals

veröffentlicht am 22.05.2019

Auf dem Podium (von links): Andreas Kern, Prokurist bei Ten Brinke, Oberbürgermeister Manfred Schilder, die Moderatoren Thomas Schwarz und Volker Geyer (Memminger Zeitung) sowie Franziska Mamitzsch und Jakob Gutermann, Sprecher der Bürgerinitiative BF/4 „Für ein zukunftsfähiges Bahnhofsareal". Fotos: Sonnleitner

Memmingen (as). Von regem Interesse an der Entwicklung des Bahnhofsviertels zeugte die gut gefüllte Stadthalle bei der Podiumsdiskussion, zu der die Memminger Zeitung die Bürger/innen eingeladen hatte. Sechs Tage vor dem Bürgerentscheid am Sonntag, 26. Mai, war die Stimmung etwas angespannt. Im Laufe der Diskussion zeigte sich anhand des Beifalls recht deutlich, dass die Argumente der Bürgerinitiative mehr Zustimmung fanden.

Obwohl viele Punkte nach wie vor strittig sind, hatten sich die meisten Zuhörer bereits entschieden, ob sie dem Bürger- oder dem Ratsbegehren am Sonntag ihre Stimme geben. Dies zeigte eine Befragung durch die Moderatoren Thomas Schwarz, Chef der Lokalredaktion der Memminger Zeitung, und MZ-Redakteur Volker Geyer zu Beginn der Veranstaltung.

Die Fragen der Moderatoren an beide Parteien - bestehend aus Oberbürgermeister Manfred Schilder und Ten Brinke-Prokurist Andreas Kern als Befürworter des Ratsbegehrens auf der einen, sowie Franziska Mamitzsch und Jakob Gutermann, Sprecher der Bürgerinitiative BF/4 „Für ein zukunftsfähiges Bahnhofsareal“, auf der anderen Seite des Podiums - waren in verschiedene Themenblöcke unterteilt: Grundstück, Wohnraum, Handel/Supermarkt, Verkehrssituation, Architektur und Ästhetik sowie ein "Was wäre, wenn?" - ein Ausblick auf die Zeit nach dem Bürgerentscheid.

Nachdem die Initiatoren des Bürgerbegehrens nachvollziehbar dargelegt hatten, warum sie erst so spät ihre Einwände erhoben hatten, wurde zunächst die Eigentumsfrage am Grundstück des Bahnhofsareals geklärt, das zu 30 Prozent der Stadt und zu 60 Prozent der MEWO gehört, zu zehn Prozent ist es in privater Hand.

An dieser Stelle sei mir eine Bemerkung in eigener Sache erlaubt: Anstatt jetzt auf das Hin und Her der Argumente beider Seiten einzugehen, wird die Verfasserin dieses Artikels die Positionen der Parteien „en block“ darlegen - zumal dieser Bericht der Entscheidungsfindung und nicht der zusätzlicher Verwirrung dienen soll.

Zunächst sei hier die Position der jungen Herausforderer Mamitzsch und Gutermann umrissen, da es diese Diskussion ohne sie nicht geben würde.

Diese Grafik von Ten Brinke zeigt die Fläche, die für Supermarkt und Gastronomie vorgesehen ist.

Argumente der Bürgerinitiative Zukunft Bf/4 (Bürgerbegehren):

Mamitzsch und Gutermann kritisieren grundsätzlich, dass das Areal an einen einzigen Investor verkauft werden soll und die Stadt dadurch jegliche Handhabe verliere. Weder profitiere die Stadt in Zukunft von steigenden Grundstückspreise noch könne sie verhindern, dass der Wohnraum teurer werde.

Neuen Wohnungen zu schaffen, ist für sie das zentrale Kriterium – zumal ein lebendiges Bahnhofsquartier, wie es sich die Gegenseite sich auf die Fahnen geschrieben hat, nicht durch Büroflächen und Geschäfte entstehe. Und die grundlegende Ausrichtung des Investors sei von Anfang das Gewerbe und nicht die Schaffung von Wohnraum gewesen.

Statt eines auswärtigen Investors könnten nach Ansicht der Initiative MEWO und Siebendächer als Genossenschaften bezahlbaren Wohnraum schaffen. Als Investoren ließen sich dann zusätzlich weitere Akteure aus dem Umfeld gewinnen: „Memmingen ist eine wirtschaftlich starke Stadt und für vernünftige Projekte findet man auch Akteure“, so Gutermann.

Des Weiteren kritisieren die beiden jungen Memminger, dass der Supermarkt im Zentrum der Planung mit 2.500 Quadratmetern überdimensioniert sei. Denn die angestrebte "Nahversorgung" bedeute, dass man fußläufig nur für den kleinen Bedarf einkaufe.

Dieses Bild zeigt die Verkehrssituation an der Bahnhofstraße. Grafik: Ten Brinke (bitte zum Vergrößern anklicken).

Hohes Verkehrsaufkommen

Verkehrschaos in und um die belebte Bahnhofstraße herum befürchten Mamitzsch und Gutermann durch den zusätzlich entstehenden Verkehr durch Supermarkt-Zulieferer, Einkäufer und Hotelgäste, die die geplante zweigeschossige Tiefgarage nutzen. Auch durch den ÖPNV würde künftig mehr Verkehr auf der Bahnhofstraße entstehen. Unklar sei auch, wie Radfahrer sich in diese Situation einfinden sollen. Auch diesen Aspekt müsse man in die Planung einbeziehen.

Bahnhofsplatz zum Verweilen

In punkto Architektur und Ästhetik plädierte Mamitzsch für eine Einbeziehung des Bahnhofsvorplatz und der MEWO Kunsthalle, die bis jetzt außen vor blieb, in die Planung. Dazu soll der Bahnhofsvorplatz neben der Kunsthalle eine neue Aufenthaltsqualität bekommen. Die Bf/4 möchte eine Öffnung der Altstadt zum Bahnhof hin statt des geplanten geschlossenen Gebäuderiegels mit einer "toten Anlieferungszone im Erdgeschoss für den Supermarkt".

Statt eines Investorenwettbewerbs schlagen Mamitzsch und Gutermann zunächst einen Stadtentwicklungs- und Architektenwettbewerb mit strengen Vorgaben und in der Folge erst die Vergabe an Investoren vor. Ansonsten plane der Investor und nicht die Stadt.

Aktive Bürgerteilnahme

Ihre Vorstellung von Partizipation sei nicht, dass die Bürger Fragen stellen dürften, sondern dass sie in die Planung mit einbezogen würden. Und für eine aktive Bürgerbeteiligung sei der laufende Prozess jetzt zu weit fortgeschritten. Außerdem möchte die Bf/4 ein externes Fachgremium einbeziehen.

„Das Hauptargument der Gegenseite ist, dass jetzt etwas passieren müsse“, bemängelte Mamitzsch. "Wir wollen auch, dass etwas passiert, aber es soll etwas Gutes dabei entstehen. Und dafür müssen wir jetzt richtig planen“, so Mamitzsch.

Argumente von Oberbürgermeister Manfred Schilder (Ratsbegehren):

Oberbürgermeister Manfred Schilder betonte, dass der Investor Ten Brinke ohne Zustimmung der Stadt nichts planen könne: „Die Planungshoheit bleibt bei der Kommune.“ Für weitere Einwände seitens der Bürgerschaft zeigte er sich offen: „Wir sind noch nicht am Ziel, der Prozess läuft.“ Erst nach der sechswöchigen Auslegungsfrist des Bebauungsplanes würde eine Entscheidung im Bauausschuss getroffen. In der Zwischenzeit könnten die Bürger ihre Einwände geltend machen. Dies gelte für alle Punkte der Planung.

So könne noch einiges nachgebessert werden, wie es auch bei der Wohnungsplanung bereits geschehen sei, die von anfänglich neun bis auf aktuell 60 Wohnungen aufgestockt worden sei. Falls am Sonntag eine Mehrheit für das Bürgerbegehren stimme, lade die Stadt zu einem Bürgerforum ein.

"Größtmöglicher Nutzen für Bürger"

Was den (künftigen) Grundstückswert betrifft, wolle die Stadt sich nicht an Spekulationen beteiligen, denn sie suche nicht den größtmöglichen Profit, sondern den größtmöglichen Nutzen für die Bürger und Bewohner.

Bezüglich der Miethöhe im künftigen Bahnhofsviertel sei eine einkommensorientierte Förderung in Diskussion. Ansonsten gelte die ortsübliche Miete, „die sicherlich nicht bei vier Euro pro Quadratmeter liegen wird“.

Investitionsvolumen von 45 Millionen Euro

Auf den Vorschlag Jakob Gutermanns hin, die Wohnbaugenossenschaften als Investoren in Betracht zu ziehen, antwortete der Rathauschef, die MEWO besitze zwar 60 Prozent des Grundes, sei aber an einem Einstieg als Investor nicht interessiert, da es sich um ein Investitionsvolumen von 45 Millionen Euro handele.

Auf die Frage, warum die Stadt sich für einen Investorenwettbewerb entschieden habe, antwortete Schilder: „Ganz einfach, wir hatten keinen Investor, also haben wir erst einmal einen gesucht.“

Von Volker Geyer befragt, ob der zusätzliche Verkehr kein Problem darstelle, berief sich Schilder auf das Verkehrsgutachten, das Stadt und Stadtrat vorliegt. Demnach werden Bahnhof- und Kohlschanzstraße zwar stärker befahren sein, dies habe aber keine Auswirkungen. Auch die Polizei habe keine Einwände gehabt. In der Kohlschanzstraße bleibe es bei unter 20.000 Fahrzeugen pro Tag, auch für die umliegenden Straßen seien keine negativen Folgen zu erwarten.

ÖPNV und Radverkehr

Zum Thema ÖPNV und Radverkehr erwiderte der Oberbürgermeister, dass der ZOB als Knotenpunkt eine zentrale Rolle in der ÖPNV-Planung spiele, zu der bereits ein tragfähiges Konzept vorliege. Auch der Anteil des Radverkehrs solle in Memmingen deutlich ausgeweitet werden, doch müsse man das Thema "ganzheitlich im gesamten Stadtgebiet" und nicht speziell auf das Bahnhofsareal bezogen angehen.

Schilder betonte noch einmal, dass die Vorgehensweise von Stadt und Stadtrat korrekt war und verwies auf die drängende Zeit: „Wir brauchen eine Entscheidung." - "Ich würde es bedauern, wenn das Ratsbegehren scheitert", erklärte der OB. "Ich stehe hinter dem Entwurf. Er stellt eine zukunftsfähige Lösung dar.“

Auf die Frage der Moderatoren, ob das Engagement von Ten Brinke auch nachhaltig sei bzw. ob die Stadt sich diesbezüglich absichern könne, versicherte Schilder, Ten Brinke habe ein Interesse an einer nachhaltigen Entwicklung und sei ein zuverlässiger Partner.

Argumente von Andreas Kern, Prokurist bei Ten Brinke:

Ten Brinke-Prokurist Andreas Kern würde ein Scheitern der Pläne ebenfalls sehr bedauern: „Dann waren vier Jahre Planungsphase umsonst", so Kern. Eine sechsstellige Summe habe man bereits investiert. Man habe sich die Anregungen der Stadt zu Herzen genommen und bereits viel verbessert.

Was die Wohnungsfrage betrifft, sieht Kern viel zusätzliches Potenzial an revitalisierbaren Wohnungen im jetzigen „Scherbenviertel“. In der Bahnhofstraße sei lärmbedingt allerdings kein Wohnen vorgesehen, hier soll lediglich das Hotel mit 150 Zimmern entstehen.

Wohnraum sei vor allem in den Obergeschossen geplant, zeigt Kern anhand eines Planes auf. Da man den genauen Bedarf aber jetzt noch nicht kenne, wolle man keine „panische Wohnbebauung", der dann eventuell benötigte Gewerbefläche zum Opfer fielen.

"Kein größtmöglicher Reibach“

Kern wehrte sich gegen den Vorwurf der reinen Profit-Orientierung seines Unternehmens. So mache man keinen „größtmöglichen Reibach“ mit der Vermietung: „Dann hätten wir Eigentumswohnung geplant. Aber wir wollen ein Gesamtkonzept mit Mietwohnungen“, so Kern. Auch der Supermarkt sei nicht nach diesem Kriterium geplant: „Mit zehn kleinen Läden könnten wir mehr Wirtschaftlichkeit erzielen.“

Der Ten Brinke-Prokurist betonte, dass alles mit rechten Dingen zugehe: „E war ein sauberer und vorgabegerechter Prozess. Unsere Planung war transparent, beim Baurecht hat der Stadtrat das letzte Wort. Die Vorbereitung geschah in Diskussion mit der Stadtverwaltung, sämtliche Themen wie Verkehr und Schall sind in das Gespräch eingeflossen. Ich wüsste nicht, was ich anders machen könnte“, so Andreas Kern.

Doch ein Unternehmen brauche Planungssicherheit und sei auf die Zustimmung und Akzeptanz der Bürgerschaft angewiesen: "Wir vermieten über Zeiträume von 15 bis 20 Jahren und sind abhängig von Einkäufern und Touristen. Das muss passen und auch Zustimmung finden.“

Das Interesse am Schicksal des Bahnhofsareals ist groß.

Lebhafte Frage- und Diskussionsrunde

Dann erteilte Thomas Schwarz den Zuhörern das Wort, die davon reichlich und leidenschaftlich Gebrauch machten. Themen waren unter anderem eine eventuelle Verkleinerung des Supermarktes, das Einbinden der Kunsthalle und der Einbezug von "Akteuren, die seit 40 Jahren in der Stadt aktiv sind", statt eines externen Investoren. Kritik gab es auch am "nicht nachvollziehbaren" Verkehrsgutachten.

Empört zeigten sich viele Bürger/innen über das falsche Bild, dass Ten Brinke in einer Grafik von der künftigen Bahnhofstraße gezeichnet hatte: Hier war eine Flaniermeile mit Schaufenstern zu sehen, wo laut Planung der Gebäuderiegel mit An- und Ausfahrt für den Supermarkt und die Tiefgarage entstehen soll. (wir berichteten).

Weitere Argumente beider Seiten finden Sie auf:

https://www.lokale-mm.de/news/b%C3%BCrgerbeteiligung-statt-fremdbestimmung/ (Bf/4 "Für ein zukunftsfähiges Bahnhofsareal“ - Bürgerinitiative - Bürgerbegehren)

https://www.lokale-mm.de/news/ein-nein-w%C3%BCrde-stillstand-bedeuten/ (Bündnis „Lebendiges Bahnhofsquartier“ - Stadtratsfraktionen von CRB, CSU, Freie Wähler und SPD/FDP - Ratsbegehren)

Zum FAKTENCHECK:

https://www.lokale-mm.de/news/b%C3%BCndnis-lebendiges-bahnhofsquartier/ (Faktencheck des Bündnisses „Lebendiges Bahnhofsquartier“)

https://www.bahnhofsareal-memmingen.de/faktencheck-zum-faktencheck-bahnhofsareal/ (Antwort auf den Faktencheck durch Bf/4 "Für ein zukunftsfähiges Bahnhofsareal“ )