4.500 Teilnehmer: Große Treckerdemo in Memmingen

Landwirte kämpfen für einen Wandel in der Agrarpolitik

veröffentlicht am 10.12.2019

Um die 3.000 Traktoren waren rund um das Baywa-Gelände unterwegs, um für bessere Bedingungen in der Landwirtschaft zu demonstrieren. Fotos: J. Zwingmann

Memmingen (jz). Am Donnerstagabend herrschte Ausnahmezustand in Memmingen: Bei der von der Bauernbewegung „Land schafft Verbindung – wir rufen zu Tisch“ initiierten Schlepperdemo rund um das Baywa-Gelände beteiligten sich deutlich mehr Landwirte als erwartet. Gerechnet hatten die Initiatoren mit 1.500 bis 2.000 Traktoren, doch am Ende kamen rund 4.500 Teilnehmer mit 3.000 Fahrzeugen, um auf die aus ihrer Sicht bestehenden Missstände in der Landwirtschaftspolitik aufmerksam zu machen.

Die ersten Traktoren erreichten die Maustadt gegen 15 Uhr, kurz darauf sperrten Mitglieder der Feuerwehr den Tiroler Ring, den fortan in Richtung Süden nur noch Traktoren und keine Autos mehr befahren durften. Die Straßen rund um das Baywa-Gelände waren dicht, der Lärm der hupenden Zugmaschinen ohrenbetäubend, die Bauern entschlossen: Sie wollten ein Zeichen setzen und gemeinsam für einen Wandel in der Agrarpolitik kämpfen. Ihre Traktoren waren mit nicht zu übersehenden Schildern versehen, auf denen „Auch Bauernhöfe sind Arbeitsplätze“, „Ist der Landwirt ruiniert, wird das Essen importiert“ oder „Niemand soll es je vergessen, Bauern sorgen für das Essen“ geschrieben stand. Zudem hatte jemand ein riesiges grünes Kreuz aufgestellt, welches deutschlandweit längst zum Symbol der Protestbewegung geworden ist.

Ein großes Netzwerk aufgebaut

Viele Bauern hatten für die Demo einen weiten Weg auf sich genommen: „Wir sind aus Solidarität gekommen, um unseren bayerischen Kollegen zu helfen“, erklärte Landwirt Niko Kalaitzidis, der extra aus dem zwei Stunden entfernten, baden-württembergischen Welzheim angereist war. Man habe untereinander inzwischen ein großes Netzwerk aufgebaut und müsse sich gegenseitig unterstützen. Selbst die Köpfe der Demo, Stephan Leichtle, Norbert Riefer, Andreas Liebhaber und Michael Schütz, waren völlig überwältigt von der riesigen Beteiligung. Anwesend waren auch der frühere bayerische Landwirtschaftsminister Josef Miller, die Bundestagsabgeordneten Stefan Stracke und Klaus Holetschek, CDU-Politiker Waldemar Westermayer sowie Memmingens Oberbürgermeister Manfred Schilder.

"Politik hat völlig versagt"

An die ebenfalls erschienene bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber gerichtet forderten die Organisatoren in ihren Reden auf der provisorisch errichteten Bühne einen fairen Umgang mit der Landwirtschaft. Denn so wie es aktuell zugehe, seien Bauern nicht mehr in der Lage, Tierschutzstandards einzuhalten. „Wie sollen wir überleben, wenn ein Kalb nicht mehr wert ist als eine Maß Bier?“, wurde gefragt. Der aktuelle Kälbermarkt sei das Ergebnis eines Vollversagens der Politik. Und die Initiatoren sind überzeugt: „Solange Grundnahrungsmittel weltweit austauschbar sind, sind wir die Verlierer.“ Eine Überschwemmung der Märkte übe einen immer stärker werdenden Druck auf den Freihandel aus. Das müsse gestoppt werden.

Bauern fürchten um ihre Existenz

Die Bauern sehen ihre Existenz bedroht und sind nicht länger bereit, als „Buhmänner der Nation“ hingestellt zu werden. Ein zentrales Thema des Abends war deshalb auch die Düngeverordnung. „Gülle wird behandelt, als wäre sie etwas Schlechtes“, klagen die Landwirte. Ihre Güllegruben seien randvoll, doch anstatt das natürlichste aller Düngemittel verwenden zu dürfen, müssten sie für teures Geld ein anderes kaufen. Bei Regelungen wie dieser ist der Buchloer Landwirt Helmut Matzke überzeugt: „Das kommt nur zustande, weil diejenigen, die das Sagen haben, selbst noch nie in der Landwirtschaft gearbeitet haben.“ Man könne den hohen Anforderungen generell nicht mehr gerecht werden. „Früher hatte ein Bauer maximal 50 Kühe, heute sind es 200“, sagte Matzke und fügte hinzu: „Trotzdem müssen wir Existenzängste haben und das alles wird auch noch von der Regierung gefördert!“

Steigende Auflagen und geringere Einnahmen

Auch Mitorganisator Stephan Leichtle sieht das so: Die immer mehr werdenden Auflagen könne man schlichtweg nicht mehr erfüllen. „Biodiversität gibt es nicht zum Nulltarif“, rief der Landwirt ins Mikrophon. Seit Jahren hätten die Bauern mit stetig steigenden Kosten bei gleichzeitig immer geringeren Einnahmen zu kämpfen. Man brauche faire Preise. Daher fordern die Bauern einen Importstopp für Lebensmittel, die nicht denselben Auflagen unterliegen wie die Produkte hierzulande. „Es kann einfach nicht sein, dass die Zwischenhändler mehr am Endprodukt verdienen, als die Landwirte selbst“, stellte der Initiator klar.

Agrarende statt Agrarwende?

Von einem Joghurt, der im Supermarkt für 70 Cent verkauft werde, bekäme ein Bauer gerade mal fünf Cent, während 35 Cent an den Handel gingen. “Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Und wo bleibt das Verantwortungsbewusstsein der Verbraucher?“, fragte Leichtle in die Menge und bekam tosenden Applaus. Mit der Prophezeiung „Wir sind auf dem besten Weg, unsere Eigenproduktion an die Wand zu fahren. Wenn wir länger auf den Populismus hören, wird es keine Agrarwende geben. Dann können wir das ‚w‘ aus dem Wort gleich streichen!“ schloss er seine Rede.

„Wir können nicht zaubern“

Daraufhin ergriff Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber das Wort und zeigte Verständnis für die aufgebrachten Bauern, machte aber auch klar: „Wir können nicht zaubern“ und „Machen Sie es sich nicht so einfach!“. Mehrmals versicherte sie jedoch: „Ich stehe an eurer Seite!“. Man arbeite in der Politik bereits an einer Kommunikationsstrategie und einer Imagekampagne für Landwirte, die die Lage entschärfen solle. Verbraucher besser über Landwirtschaft aufzuklären sei in ihren Augen ein wichtiger Lösungsansatz für die Problematik. Ihr persönlicher Wunsch sei es, sich nicht von der schlechten Stimmungsspirale herunter ziehen zu lassen, sondern, dass Politik und Landwirtschaft gemeinsam an einem Strang ziehen.

Vereinzelte Buhrufe

Für ihre Ausführungen erhielt Kaniber neben verhaltenem Applaus auch immer wieder Zwischenrufe mit dem Megaphon wie „Sie wollen uns doch gar nicht helfen“ und sogar vereinzelte Buhrufe. Um die aufgebrachten Landwirte zu besänftigen, müssen den Worten wohl erst noch Taten seitens der Regierung folgen.

Ungeachtet der Temperaturen um den Gefrierpunkt harrten die Demonstranten bis zum Ende der Veranstaltung mehr als drei Stunden auf dem Gelände aus - und trotz der erhitzten Gemüter verlief alles friedlich.

Text und Bilder: Julia Zwingmann

Die friedlich demonstrierenden Landwirte sehen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt.