Endlich in Sicherheit

Hans und Jana Küchle nahmen 21 Flüchtlinge auf

veröffentlicht am 05.04.2022

21 Menschen und zwei Haustieren bietet der Reiterhof in Dickenreishausen eine Unterkunft. Fotos: Wolfgang Radeck

Memmingen (as). Über 200.000 Flüchtlinge halten sich derzeit in Deutschland auf, die Hilfsbereitschaft der Menschen ist groß. Viele Familien nehmen Flüchtlinge bei sich zuhause auf. So wie Hans und Jana Küchle. Sie haben neben Familienangehörigen von Jana noch vier weitere Familien aufgenommen. Die Lokale besuchte sie in Dickenreishausen.

21 Menschen sind es, vorwiegend Frauen und Kinder, die mit den Küchles gemeinsam unter dem Dach des Reiterhofs in Dickenreishausen wohnen. Der älteste, Opa Georgii, ist 78 Jahre alt, seine kleine Enkelin Maria gerade einmal fünf. Sie kommen aus Winnyzja im Westen der Ukraine, aus der Metropole Charkiw an der russischen Grenze und aus der Hauptstadt Kiew. „Unsere Gäste können bleiben, solange sie wollen“, erklärt Hans. Er hat einen Schlafsaal unter dem Dach eingerichtet, um die Doppelbetten herum haben die Gäste einige Habseligkeiten verstreut, auch zwei mitemigrierte Katzen machen es sich dort gemütlich.

Einige der Gäste haben sich um den Tisch in der warmen Stube versammelt, um unsere Fragen zu beantworten, die von der 13-jährigen Nikol übersetzt werden. Sie macht sich Sorgen um ihren Vater, der wie alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren in der Ukraine geblieben ist, um sein Land zu verteidigen.

Hans und Jana Küchle haben unter dem Dach einen Schlafsaal eingerichtet.

"Ich war auf dem Weg zur Arbeit“

Dass es Krieg gibt, haben sie gewusst, erzählen die Gäste, doch dann kam alles sehr plötzlich: „Die russischen Angriffe haben uns überrascht, ich war auf dem Weg zur Arbeit“, erzählt eine der Frauen. Als die Angriffe näher rückten, haben sich die Frauen mit ihren Kindern in Kellern und Bunkern versteckt. Jana erzählt von einem Kindergarten, in dem sich Kinder und alte Menschen versteckt hatten und der nun völlig zerstört ist. „Wir wissen nicht, ob sie noch leben."

Sobald es möglich war, seien sie aufgebrochen, übersetzt Nikol, teilweise zu Fuß und mit ihren Haustieren, die sie nicht zurücklassen wollten. Viele von ihnen flohen mit großem Unbehagen, denn gebrechliche und gehbehinderte Familienangehörige mussten zurückbleiben. Bei der Ausreise wurden auch Familien voneinander getrennt – „Ludmilla hatte Flugtickets für sich und ihre Töchter in Rumänien gekauft, doch die minderjährige durfte zunächst nicht mitfliegen, weil ihr Reisepass nicht mehr lange genug gültig war“, erzählt Hans Küchle.

"Nerviger Kampf mit den Behörden“

„Das nervigste ist der Kampf mit den Behörden“, erklärt er. „Unbürokratische und elementare Hilfeleistung von Privatpersonen wird durch die Bürokratie erschwert.“ So gibt es eine Liste mit Privatpersonen, die bereit sind, Menschen aufzunehmen. „Diese Liste wollte die Stadt mir jedoch nicht schicken wegen Datenschutz“, so Hans Küchle. Es wäre zudem hilfreich, wenn private Flüchtlingshelfer eine Blankokarte für die Abholung von Gästen am Flughafen bekämen, regt er an. Schwierig sei es auch, wenn jemand Medikament brauche, da die Flüchtlinge nicht krankenversichert sind.

Die Gäste sind dankbar, hier sein zu dürfen: „Wir wurden in Deutschland herzlich aufgenommen und mit Essen und Kleidern versorgt. Wir sind dankbar, hier eine Bleibe gefunden zu haben - deine Eltern haben uns gerettet“, sagt eine Frau zu Nikol. Die Tage hier in der Fremde können manchmal lang werden. Die Mütter spielen und malen mit ihren Kindern, die auch Schulaufgaben machen. "Wir kochen gemeinsam ukrainische Gerichte", erzählen sie.

"Wir haben nichts gegen die Russen"

Als das Gespräch auf politische Fragen kommt, gibt es eine lebhafte Diskussion. „40 Prozent der Russen sagen, dass sie die Ukrainer hassen“, erklärt eine Frau auf die Frage nach dem Verhältnis zu den russischen Nachbarn. „Doch wir haben nichts gegen die Russen, denn sie sind nicht schuld an dem Krieg. Putin wollte ihn“, stellt sie klar.

Präsident Wolodymyr Seleskyj wird nicht nur in diesem Kreis für sein mutiges und überlegtes Auftreten im Konflikt mit Russland sehr geschätzt. In der Ukraine wird er bereits als Kriegsheld gefeiert. Man zählt auf die Wehrhaftigkeit der Armee und ihres Oberbefehlshabers Seleskyj.

"Wünschen sich westlichen Lebensstil"

Die Ukrainer möchten ihr Leben gen Westen ausrichten, sie wünschen sich den westlichen Lebensstil. „Man hat den Ukrainern den Mund wässrig gemacht mit Versprechen, sie würden von der EU und der NATO aufgenommen, dem folgten jedoch keine Taten. Jetzt haben wir das Unglück und die Ukrainer stehen alleine da“, bemängelt Hans Küchle. Er bewundert den familiären Zusammenhalt und den unerschütterlichen Patriotismus der Ukrainer. „Das hat sich der Putin wohl leichter vorgestellt.“

Den russischen Präsidenten halten die Anwesenden für kriminell und unberechenbar. Sein eigenes Volk habe vor ihm Angst, übersetzt Nikol, „man darf nicht gegen Putin sein“.

Sie alle hoffen, bald wieder zurück in die Heimat zu können. Die neunjährige Sabina und Sonya (10) haben während unseres Besuchs Bilder gemalt, die sie uns zum Abschied schenken. Blau und gelb herrschen vor, die Farben der ukrainischen Flagge. Auf einem ist ein Haus auf einer Blumenwiese zu sehen, ein Weg führt zur Haustür - der Weg nachhause.