„Es ist Ihr Leben!“

Neue Blickwinkel auf Demenz

veröffentlicht am 26.09.2023

Lebendig und berührend, mit Scharfsinn und Humor referierte Demenzaktivistin Helga Rohra am Welt-Alzheimertag im Maximilian-Kolbe-Haus, dabei las sie auch aus ihrem Buch „Aus dem Schatten treten“. Foto: Svenja Gropper

Memmingen (sg/dl). Im September fand die Bayerische Demenzwoche 2023 mit zahlreichen Aktionen statt. In Memmingen gab es dazu unter anderem am Welt-Alzheimertag einen aufrüttelnden Vortrag der Demenzaktivistin Helga Rohra sowie die Fotoausstellung „Demenz neu sehen“ des Vereins Desideria Care e. V., die noch bis Freitag, 29. September, zu sehen ist.

Im gut besuchten Maximilian-Kolbe-Haus referierte die Autorin und Demenzaktivistin Helga Rohra vor rund 100 Gästen kurzweilig, lebendig und bewegend über die Sicht einer Betroffenen. Sie ist eine der wenigen Menschen mit Demenz, die im öffentlichen Leben aktiv sind. Denn „das alles ist nicht sehr sexy“, wie Bürgermeisterin Margareta Böckh in ihrer Rede bemerkte, aber man müsse sich mit dem Thema Demenz beschäftigen in einem der demographisch ältesten OECD Länder. Rund 270.000 Menschen mit Demenz leben in Bayern, die Zahl der Betroffenen wird in den nächsten Jahren steigen. Umso wichtiger sei es für das Thema Demenz zu sensibilisieren und Angebote sowie Anlaufstellen in der Region bekannter zu machen. Wie beispielsweise das Netzwerk Altenhilfe, das zu diesem Nachmittag eingeladen hatte und einige Beratungsangebote bietet.

Demenz kennt kein Alter

Bei Demenz denken wir schnell an ältere Menschen. In ihrem Vortrag beleuchtete Rohra eine Gruppe, die weniger im Blick ist und der sie selbst angehört hat: Menschen um die 50, die diese Diagnose bekommen – in ihrem Fall die Lewy-Body-Demenz. „Ich und wir Menschen mit Demenz wollen nicht ihr Mitleid“, leitet sie einen Perspektivenwechsel ein. Oder mit einem internationalen Slogan ausgedrückt: „See me, not my demencia.“ Frei übersetzt: Sieh mich als Mensch, nicht nur meine Demenz.
Der Begriff „Demenz“ meint sinngemäß „ohne Geist“. „Doch so ist es nicht!“, erklärt Rohra. Sie spreche lieber von kognitiver Einschränkung, von dem Anfang eines ganz anderen Lebens, ohne dabei sofort ein Pflegefall zu sein.

Hinterfragen Sie!

Oft sei die Diagnose erstmal ein „Verdacht auf Demenz“, wobei es immens wichtig sei sich selbst gut zu beobachten, kritisch zu hinterfragen und mögliche Zusammenhänge der Symptome mit Medikamenten oder organische Ursachen abklären zu lassen. „Es ist Ihr Leben!“, fordert Rohra nachdrücklich auf: „Hinterfragen Sie! Haben Sie den Mut, Ärzte zu suchen, die Sie ernst nehmen“. Die Zahl der Alzheimererkrankungen, der häufigsten von über 50 Demenz-Arten, steige ihrer Meinung nach nicht, weil die Gesellschaft älter werde, sondern weil zu schnell diagnostiziert und zu wenig hinterfragt werde. An Demenz sterbe auch keiner, räumte Rohra mit einer landläufigen Aussage auf. Menschen können an den Folgen sterben, wenn sie vergessen ihre Medikamente zu nehmen, zu essen oder zu trinken. Sie kenne Menschen, die nach 20 Jahren mit bestimmten Formen von Demenz gut leben, selbstständig sind und am Leben partizipieren. Auch Rohra selbst ist seit über 10 Jahren ein Beispiel dafür: Obwohl sie im ersten Jahr nach der Diagnose zunächst nicht mehr sprechen konnte, ist sie heute weltweit als Autorin, Coach und Vortragsrednerin aktiv.

Bei der Eröffnung der Fotoausstellung „Demenz neu sehen“, von links: Thomas Munding, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Schwaben-Bodensee, Stephan Abele, stellv. Vorstandvorsitzender der AOK Bayern, Landrat Alex Eder, Desiree von Bohlen und Halbach, Vorstandsvorsitzende von Desideria Care e.V., Klaus Holetschek, OB Jan Rothenbacher, Stefan Proßer, Vizepräsident des Sparkassenverbands Bayern, Raimund Steber, Ärztlicher Direktor Bezirkskrankenhaus Memmingen und Regina Merk-Bäuml, Direktorin AOK Direktion Memmingen-Unterallgäu. Foto: © AOK Klaus Schöllhorn

Aus der Tabuzone

„Das Thema Demenz noch mehr aus der Tabuzone zu holen ist ganz wichtig, denn wir müssen damit rechnen, dass die Zahl der von Demenz betroffenen Menschen in Bayern bis zum Jahr 2040 auf rund 380.000 ansteigen wird. Demenz ist also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es liegt an uns allen, eine Umgebung zu schaffen, in der sich Menschen mit Demenz willkommen und wertgeschätzt fühlen“, so Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek bei der Eröffnung der Fotoausstellung „Demenz neu sehen“ des Vereins Desideria Care e.V. in Memmingen in Kooperation mit der AOK Bayern und den Sparkassen im Freistaat. 24 Bilder zeigen eindrucksvoll, dass das Leben auch mit Demenz lebenswert ist. Sie halten einzigartige und berührende Momente echter Begegnungen fest.

Die Bilder sind am Theaterplatz bis Freitag, 29. September, ausgestellt und öffentlich zugänglich.