Manchmal möchte man zurückspulen können ...

Bürgerbühnentage im Stadttheater im Rahmen der Kulturnacht

veröffentlicht am 14.07.2019

„Durch die Ritzen kommt noch Licht“: Einer der Akteure wird "gedisst", weil er sich nicht regelkonform verhält. Fotos: Sonnleitner

Memmingen (as). Sehr gut besucht waren die Präsentationen der Spielclubs des Bürgertheaters am Landestheater Schwaben im Rahmen der Langen Nacht der Kultur. Die engagierten jungen Darsteller der Spielclubs ab zehn und ab 16 Jahre konnten sich über viel Applaus freuen. Sie haben abstrakte Sujets pfiffig und originell umgesetzt und in wechselnden Szenen äußerst kurzweilig präsentiert.

„Time to say goodbye“, SPIELCLUB 10+

Der Spielclub ab zehn Jahre unter Leitung von Chefdramaturgin Anne Verena Freybott hatte sich ein besonders spannendes Thema vorgenommen: Die neun Kinder und Jugendlichen waren im Studio als Zeitreisende unterwegs.

Endlich, der letzte Schultag ist da. Die jungen Zeitreisenden erinnern sich an ihre gemeinsamen Abenteurer in verschiedenen Epochen, an den Esel bei Jesu Geburt und wie das so war mit Elvis in einer Klasse. Und wie sah nochmal die Mode 1965 aus? Wie schmeckte das Eis?

Aber sie erinnern sich auch an die schulinternen Dinge, an die Pyjama-Parties, das „menschenverachtende“ Internats-Essen und den schönen Lehrer mit den tollen Bauchmuskeln. Und natürlich an ihre Aufnahmeprüfung für die Zeitreisenden-Schule mit ihren 135 ziemlich absurden Regeln. Ihr Lieblingsfach? Natürlich Zeitologie.

Aber was ist eigentlich Zeit? Und wofür verwendet jeder der Schüler sie am liebsten? Ist das normal? Was ist überhaupt normal - ist man normal, wenn man alles so macht wie die anderen? Oder wenn man Mathe hasst, vergesslich ist oder keinen Spinat mag?

Die Zeitreisenden haben viel Gelegenheit, das herauszufinden, denn sie sehen, wie relativ viele epochale Erscheinungen sind und sie wissen, worauf es zu allen Zeiten ankam.

Mithilfe ihrer Talismane (z.B. einem Hundehaufen) begeben sie sich durch ihre Zeittunnel und sind immer zur gewünschten Zeit an dem momentan für sie richtigen Ort. Wie praktisch, wenn man zum Beispiel zurückspulen kann, etwa, um die Schwester zu entlarven, wie sie einem die Lieblingssüßigkeit wegisst, oder auch um Probleme zu lösen, bevor sie entstehen.

Bevor sie auseinandergehen, verabreden die frischgebackenen Ex-Schüler, sich in zehn Jahren wieder zu treffen. Was sich bis dahin wohl alles verändert hat?

„Durch die Ritzen kommt noch Licht“, SPIELCLUB 16+

„Wer bin ich (und was halten die anderen von mir)?“ - Rund um diese Kernfrage drehte sich der Spielclub ab 16 Jahre unter Leitung von David Lau und Thomas Gipfel. Anders als die des Spielclubs 10+ führte die Reise der Jugendlichen im Großen Haus nicht durch die Zeit, sondern zu sich selbst.

„Wir werden alle nackt geboren und der Rest ist drag“, lautet eine der Erkenntnisse des Spielclubs ab 16 Jahre. Auf dem Weg dorthin gibt es viele Fragen zu beantworten: Wer bin ich? Wie erlebe ich mich selbst und wie sehen mich die anderen? Was ist mein wahres Selbst und was ist „fake“?

Selbstfindung ist kein Kinderspiel, wird sie doch im Zeitalter von instagram, facebook & Co noch um eine Dimension verstärkt bzw. erschwert: Die mediale Selbstdarstellung. Das Selbst-Bild, nicht zuletzt entstanden aus Serien-Selfies onlineorientierter junger „Ego-Paparazzi“, die verunsichert am Social Media-Tropf hängen.

„Sei Du selbst“ - dazu muss man sich erst einmal frei machen von dem, was andere denken und erwarten, von ihren Ratschlägen und kritischen Kommentaren, und von Selbstoptimierungszwängen. Doch wird man geliked, wenn man anders ist? Und was macht einen zum „anderen“? Was wird aus der Individualität, wenn man „Ich bin einzigartig“ im Chor ruft?

Am Ende ihrer Versuchsanordnungen finden die jungen Spieler den Schlüssel in Selbstliebe statt ängstlicher Anpassung. „Ich will frei sein, egal, was andere von mir erwarten“ sagt ein Mädchen mit dunklerer Hautfarbe und bekommt dafür Applaus.

Versandfertig und zustellbereit: Das Bühnenbild besteht aus haufenweise leeren Speditionskisten. Sie bringen viel Dynamik ins Spiel, denn sie stehen für vieles: Das Unschöne an einem selbst, das wegpackt wird, aber auch für Zweifel und Hindernisse. Sie sind Platzhalter für Ballast und Mauern oder für Vorwürfe, die schließlich weggeboxt werden.

Pop Up Stories mit Ines Honsel und Frank Sattler

Die Schauspielerin und Erzählerin Ines Honsel.

Märchen meets Pop-Musik: Eine Zeitreise ins Märchenland traten die Zuhörer im prall gefüllten Studio anschließend mit den Pop Up Stories der österreichischen Schauspielerin und Erzählerin Ines Honsel und dem Musiker Frank Sattler an.

Auch im Märchen vom König Drosselbart geht es gewissermaßen und Identität und Adoleszenz, nämlich die einer hochmütigen und eigensinnigen Königstochter, die ihre Freier mit Spott überzieht und von ihrem künftigen Gemahl eine bittere Lektion in Sachen Bescheidenheit erteilt bekommt.

Nicht nur mit Worten, sondern auch mit ihrer ausdrucksvollen Singstimme versteht es Ines Honsel von der ersten Sekunde an, ihre Zuhörer zu fesseln. Gezielt unterstreicht sie ihre modernisierte Fassung des Märchens durch Gestik und mimischen Ausdruck und obwohl die Handlung von "König Drosselbart" allgemein bekannt ist, hängen die Zuhörer mit großer Spannung an ihren Lippen.

Kurz vor Schluss ändert die Erzählerin plötzlich den Verlauf, die Königstochter hat schon die Hand auf der Türklinke, um den Ballsaal endgültig zu verlassen. Doch die Zuschauer wünschen sich ausdrücklich ein Happy End. Also spult Ines Honsel das Geschehen zurück und lässt den König sehr prosaisch erklären: „Du hast Recht, ich war ein Arsch.“ Mit den Klängen von Billy Joels „Just the way you are“ schmolzen Königstochter und Publikum endgültig dahin.

Und wenn sie nicht gestorben sind ….

Die Galerie zeigt einige Aufnahmen der Spielclub-Aufführungen, erste Reihe: Spielclub 10+, zweite Reihe: Spielclub 16+ (Fotos: Sonnleitner):