Wer hat Wellington getötet?

Sehenswerte Premiere von „Supergute Tage" im Großen Haus

veröffentlicht am 13.02.2019

Der Mord am Nachbarshund Wellington erschüttert die Welt des Asperger-Autisten Christopher (David Lau) in Thomas Ladwigs Inszenierung von „Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone“ nachhaltig. Bei seinen Ermittlungen deckt er auf, wo in seiner Familie der Hund begraben liegt ... Fotos: Forster/Landestheater Schwaben

Memmingen (as). Wellington ist tot. Erstochen mit einer Mistgabel. Die Ermordung des Nachbarhundes wird zum Urknall im streng abgezirkelten Universum des 15-jährigen Asperger-Autisten Christopher. Er, der sich eher im Weltraum zuhause fühlt als unter den Menschen, wagt sich zum ersten Mal über seinen engen alltäglichen Erfahrungshorizont hinaus. Was dabei passiert, erzählt das Kultbuch „Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone“ von Marc Haddon, das in der Bühnenfassung von Simon Stevens derzeit im Großen Haus zu sehen ist.

Christopher (David Lau) mag es, wenn alles geordnet ist. Und der Tod von Wellington hebt seine stereotype Welt aus den Angeln. Zumal er, der merkwürdige Junge aus der Nachbarschaft, auch noch der Tat verdächtigt wird.

Nein, Christopher hat durchaus nicht nur supergute Tage. Er ist sogar der Meinung, dass mehr hässliche Dinge passieren als schöne – und vom Weltraum aus betrachtet, wirken die kleinen und großen Probleme viel weniger bedrohlich. Der Lauf der Sterne erschließt sich ihm eher als simple Alltagsabläufe, die Welt der Primzahlen ist verständlicher und verlässlicher als die vagen und nebulösen Aussagen der Erwachsenen.

Christopher (David Lau) befragt die schräg-schrullige Mrs. Alexander (Anke Fonferek).

Frei im Weltall schweben

Christopher möchte Astronaut werden - und eigentlich trägt er immer eine Kapsel um sich herum. Seine Eltern (Anke Fonferek und Jens Schnarre) lieben ihn, sind aber zuweilen stark überfordert mit seiner Unzugänglichkeit und seinen Ausbrüchen. Besonders die (mittlerweile tot geglaubte) Mutter kam mit den Berührungsängsten des in sich verschlossenen Jungen nicht klar. Ein Familiendrama nahm seinen Lauf, das ausgerechnet Christopher, der es unfreiwillig verursacht hat, nun, Jahre später, durch seine Detektivarbeit aufklärt.

Denn Christopher, der alles sehr wörtlich nimmt und immer sagt, was er denkt, sucht die Wahrheit. Er will alles ganz genau wissen. So auch die Antwort auf die Frage: "Warum tötet man einen Hund?". Mit seinen Nachforschungen versetzt er seine Umgebung in Angst und Schrecken, doch die betagte Nachbarin bringt ihn auf die richtige Spur. (Herrlich schrullig: Anke Fonferek als Mrs. Alexander, die sich ihren Rollator häuslich eingerichtet hat.)

Die Unzulänglichkeit der „Normalen“

Die Detektivgeschichte ist keineswegs nur eine Nabelschau des Helden, sondern gewährt auch tiefe Einblicke in die Unzulänglichkeit der „normalen“ Erwachsenen um ihn herum, die ihre Welt mit Ausflüchten und Lügen zusammenkitten. Damit wird die Inszenierung von Thomas Ladwig dem Bekenntnis des Landestheaters zur gesellschaftlichen Vielfalt, zum anderen, Besonderen, Ungewöhnlichen gerecht. Und zur Stärke im vermeintlich Schwachen, wie die ebenso überraschende wie berührende Sicht des jungen Außenseiters Christopher auf die Welt und die Menschen zeigt.

Der Held und seine Förderer: Die fürsorgliche Lehrerin (Miriam Haltmeier), Vater Ed (Jans Schnarre) und der betuliche Schulrektor (André Stuchlik).

Verschiedenen Spiel- und Zeitebenen

Bühnentauglich wird der Roman durch die verschiedenen Spiel- und Zeitebenen, dargestellt im Wechsel von rückschauender Erzählung (Christophers Lehrerin (Miriam Haltmeier) liest aus dem von ihm verfassten Krimi vor) und aktueller Handlung. Während der erste Teil trotz guter Einfälle von Regisseur Thomas Ladwig zuweilen etwas statisch wirkt, legt das Stück in der zweiten Spielhälfte sehr an Spannung und Tempo zu. Die vier Schauspieler auf der Drehbühne schaffen es spielend, dem Zuschauer zu vermitteln, wie beängstigend und verwirrend die Vielfalt an Sinneseindrücken an belebten Plätzen wie dem Londoner Hauptbahnhof auf den Jungen wirken.

Mit intensiver Körpersprache, trotz syndromgerecht reduzierter Gestik, verkörpert David Lau den "leicht" autistischen Christopher sehr intensiv und glaubwürdig. Um ihn herum spielen Miriam Haltmeier, Anke Fonferek, Jens Schnarre und André Stuchlik insgesamt 17 verschiedene Rollen, darunter sogar ein Automat und ein Fahrkartenschalter. Das Bühnenbild von Swana Gutke kommt mit wenig Equipment aus: Wege, Wände, Schränke und Schranken - all das entsteht aus immer wieder neu arrangierten grauen Holzkisten.

„Heißt das, ich kann alles?“

Auf einer von diesen steht Christopher am Ende des Stückes als Held seiner Geschichte. Er hat den Fall gelöst, seine Familienangelegenheiten so weit als möglich geordnet und als erster seiner Förderschule in einer Matheprüfung brilliert. „Heißt das, ich kann alles?“, fragt er verwundert. Und diese letzte ist dann auch die erste Frage in dem Stück, die unbeantwortet bleibt.

Weitere Aufführungen im Großen Haus sind am 12. und 23. März, 26. Mai sowie 5. und 6. Juni zu sehen. Das für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren empfohlene Stück entstand in Kooperation mit der Lebenshilfe Ostallgäu.