„Wie geht denn das, tot sein?“

Anrührende Premiere von "Schlafen Fische" im Studiofoyer

veröffentlicht am 25.10.2017

Mit fliegendem Zopf und Superbunny: Regina Vogel verkörpert die zehnjährige Jette in dem heiter-melancholischen Monolog "Schlafen Fische?" meisterhaft. Fotos: Karl Forster

Memmingen (as). Erfrischend respektlos, aber dennoch tief anrührend ist das Stück „Schlafen Fische?“ von Jens Raschke, das vom Landestheater Schwaben in Kooperation mit dem Kinderhospiz Sankt Nikolaus aufgeführt wird. Großen Applaus bekam Regina Vogel bei der Premiere im Studiofoyer für ihre einfühlsame Darstellung der Jette. „Schlafen Fische?“ thematisiert nicht nur die Trauerarbeit der Zehnjährigen nach dem Tod ihres kleinen Bruders Emil, sondern auch die große Einsamkeit und Verlorenheit der Geschwister, wenn die Welt der Eltern sich – oft jahrelang - einzig um ihr schwerkrankes Kind dreht.

Schon der Aufführungsort ist ungewöhnlich: "Schlafen Fische?" spielt im Foyer vor dem Studio, wo die etwa 60 Premierenzuschauer auf drei langen Holzbänken aufgereiht sitzen. Die Fensterfront vor ihnen ist mit bunten Blättern bemalt. Die Natur bereitet sich also auch im Stück auf den Winter vor und aus dem Aufenthaltsort für Theatergäste ist - was Bühnenbilder Ulrich Leitner minimalistisch mit einem Holzblock andeutet, der als Sarg und als Grabstein fungiert - ein Friedhof geworden.

Der zehnjährigen Maya hat das Stück gefallen. "Sie hat es wie eine Zehnjährige gespielt", lobt sie Regina Vogels Darstellung. "Ich hab mich darin wiedererkannt". Foto: Sonnleitner

Zusammen mit Mr Bernie, dem intergalaktischen Superbunny, den sie Emil zum 5. Geburtstag geschenkt hatte, kommt Jette einmal in der Woche her, um ihren toten Bruder zu besuchen, der mit sechs Jahren an einer unheilbaren Krankheit gestorben ist. Das war vor einem Jahr, kurz nach ihrem neunten Geburtstag. Jetzt ist sie schon zehn, „das ist eine Eins mit einer Null dahinter“, hat Jettes Papa ihr erklärt. Das nenne man "zweistellig".  Ein komisches Gefühl, zweistellig zu sein, findet Jette - Emil war nur einstellig, als er starb…

Es ist ungerecht, dass manche Menschen sogar dreistellig werden und ihr Bruder so früh sterben musste. "Und wie kann ein gütiger Gott mir meinen Bruder wegnehmen?", fragt sich Jette wütend.

Die Einsamkeit des Geschwisterkindes

Aus ihrer noch kindlichen Sicht erzählt die Zehnjährige von der Zeit vor und nach Emils Tod und erinnert sich an Spiele und Gespräche mit Emil. Sie erzählt auch von ihrer Eifersucht, denn sie hat vor dem Bruder bereits die Mutter verloren - zumindest deren Zuwendung, denn diese hat sie vor lauter Sorge um ihr schwerkrankes Kind nicht mehr wahrgenommen und tut es auch später, versunken in Trauer und Depression, nicht. Und so mischen sich in Jettes eigene Trauer um Emil auch Schuldgefühle, weil sie sich manchmal gewünscht hatte, er wäre nicht mehr da. 

Es ist eine Freude, Regina Vogels Spiel zuzusehen. Ihr gelingt es, sich nahtlos in die zehnjährige Jette hineinzufühlen und ihrer Figur im steten Wechsel zwischen heiteren Impulsen, Nachdenklichkeit und Trauer einen erfrischend kindlichen und altersgerechten Ausdruck zu verleihen. Sehr plastisch wird ihre Darstellung zudem durch die  imaginären Dialoge mit dem Vater und dem Bruder.  - „Wie geht denn das, tot sein?“, hatte Emil sie gefragt, als sie kurz vor seinem Tod zusammen Beerdigung gespielt hatten.

„Und dann kamen die Erwachsenen dran..."

Jette beschreibt die ungelenke Herangehensweise der großen Menschen an das Tabuthema Tod. Die Kindergartenfreunde hatten Emils weißen Sarg mit vielen bunten Bildern bemalt, die Erwachsenen schrieben ihren Namen – in Druckbuchstaben.

Die kindliche Herangehensweise an existenzielle Erfahrungen wie den Tod unterscheidet sich grundlegend von der der Erwachsenen. So kann Jette vieles, was ihr Vater sagt, nicht nachvollziehen, weil es zu pragmatisch oder zu abstrakt ist. Außerdem muss sie feststellen, dass Papa auf Fragen wie „Was wird aus uns, wenn wir tot sind?“  keine Antwort weiß.

Auf eine Frage hat Jette jedenfalls selbst eine Antwort gefunden: "Natürlich schlafen Fische, wann sollten sie sonst träumen?".

Tiefgang ohne Schwere

Autor Jens Raschke und Regisseur Thomas Ladwig zeigen, dass Tiefgang auch ohne Schwere daher kommen kann und dass man den Zuschauer auch ins Herz trifft, ohne direkt auf die Tränendrüse zu drücken. Jettes Umgang mit dem Thema Tod ist direkt und unverstellt, konkret und gleichzeitig fantasievoll-bildhaft, frei von religiösen Dogmen und gesellschaftlichen Konventionen und vielleicht gerade deswegen so anrührend.  Ein einfühlsames Stück von leiser, spröder Poesie, das ohne Pathos auskommt, das die Dinge beim Namen nennt, ohne pietätlos zu sein.

Der Monolog "Schlafen Fische?" für Kinder ab 10 Jahre, den sich aber auch die Erwachsenen nicht entgehen lassen sollten, ist außerhalb der Schulvorstellungen noch am Samstag, 25. November, und am Sonntag, 10. Dezember, jeweils um 15 Uhr im 2. Stock des Stadttheaters zu sehen.

Kartenreservierung unter Telefon 08331/ 9459-16 (Montag bis Freitag von 11 bis 18 Uhr, Samstag 10 bis 14 Uhr) oder unter vorverkauf@landestheater-schwaben.de